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Es gibt immer mehr Jugendkriminalität in Schleswig-Holstein – dagegen soll nun vorgegangen werden. (Symbolfoto)
  • Es gibt immer mehr Jugendkriminalität in Schleswig-Holstein – dagegen soll nun vorgegangen werden. (Symbolfoto)
  • Foto: imago images

So will die Polizei im Norden Jugendkriminalität bekämpfen

Das Herold-Center in Norderstedt ist ein beliebtes Einkaufszentrum mit U-Bahn und Busbahnhof. Drumherum gibt es einen Park, Schulen, Freizeiteinrichtungen, Hochhäuser und immer mal wieder Jugendgewalt. Das Problem ist lange bekannt und die Gegend, ebenso wie der Bereich um den U-Bahnhof Norderstedt Mitte, als gefährlicher Ort definiert, was der Polizei erweitere Kontrollrechte gibt. Die Landespolizei spricht von Kontrollgebieten. Hauptkommissarin Sandra Wulff leitet die dreiköpfige Ermittlungsgruppe Jugendgewalt in der viertgrößten Stadt des Landes und hat viele Jahre Erfahrung mit dem Phänomen.

„Aus meiner Sicht ist es zur Zeit eher unruhig“, sagt sie. Im Februar nahmen Beamte zwei 14 und 17 Jahre alte Jungs fest, die einen 17-Jährigen im Willy-Brandt-Park überfallen haben sollen. Der ältere der Verdächtigen kam in Untersuchungshaft. Im Januar hatte eine Gruppe Jugendlicher ein junges Pärchen in der Nähe des Einkaufszentrums ausgeraubt. Im vergangenen Herbst hatte es eine Raubserie auf Spielhallen und Tankstellen gegeben. Der jugendliche Haupttäter wurde schließlich festgenommen und kam in Untersuchungshaft. Einen weiteren jungen Verdächtigen für Überfälle habe man im Blick.

Bis zur gefährlichen Körperverletzung: Oft Gewalt im Spiel

Zum Schwellentäter wird ein Jugendlicher aus Sicht der Ermittlungsgruppe oft bereits nach der zweiten Tat. „Das heißt, wir gucken schon mal, wie ist das soziale Umfeld, welche Auffälligkeiten gibt es“, sagt Wulff. Zur Einschätzung dient ein Punktesystem. Für Raubstraftaten gibt es 5 Punkte, mit 15 Punkten wird ein Jugendlicher zum Intensivtäter. „Das Ziel ist eine zentrale und intensivierte Sachbearbeitung, die zu einer schnellen Verurteilung kommt.“ Es gehe darum, frühzeitig Entwicklungen zu erkennen und zu stoppen. Zwischen 15 und 20 Personen sind durchschnittlich im Blickfeld der Ermittlungsgruppe. „Die Ermittlungserfolge der Kripo machen Eindruck in den Gruppen“, ist Revierleiter Florian Born überzeugt.

Die meisten Täter sehen Wulff und ihre Kollegen regelmäßig wieder, bis sie 21 Jahre alt werden. Selbst Haftstrafen änderten daran meist nichts. „Sie kommen in ihr soziales Umfeld zurück und das macht es den meisten schwer, nicht wieder straffällig zu werden.“ Aktuell hat die Ermittlungsgruppe nur männliche Jugendliche im Blick, überwiegend mit Migrationshintergrund. Oft sei bei den Straftaten Gewalt im Spiel, häufig in Form von gefährlicher Körperverletzung. Etwa wenn ein Messer dabei sei, was immer häufiger vorkomme. „Die Geschädigten sind oft verletzt und traumatisiert. Das ist schon erheblich.“

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Aus Wulffs Sicht ist entscheidend, dass jugendliche und heranwachsende Straftäter zeitnah verurteilt werden. Das sei so auch per Erlass vorgeschrieben. Aktuell dauere es aber in der Regel rund ein Jahr, bis es zu einer Verhandlung komme. Personalmangel mache sich bemerkbar.

Kürzere Hecken, Ordnungsdienst und bessere Beleuchtung

Born betont, Norderstedt sei insgesamt bei der Kriminalität nicht auffällig. Aus seiner Sicht sollte es keine Räume in der Stadt geben, die Straftaten begünstigen. „Wir haben ein Interesse daran, dass Örtlichkeiten städtebaulich so angepasst werden, dass sie unattraktiv werden, solche Straftaten zu begehen.“ Täter versuchten, nicht gesehen zu werden. Das betreffe etwa die Ausleuchtung in der Dunkelheit oder den Schnitt von Hecken und Büschen. Es gelte, keine Situationen zu schaffen, in denen sich potenzielle Straftäter wohl fühlen. „Damit der rechtstreue Bürger nicht ausweichen muss.“

Auch die Landesregierung hat das Ziel ausgegeben, Angsträume zu beseitigen – wo nötig auch mit Videoüberwachung und kommunalen Ordnungsdiensten. „Deshalb versuchen wir, auf die Verantwortlichen in der Stadt hinzuwirken.“ Die Polizei stehe für Ortstermine zur Verfügung, sagte Born. „Wir warten, dass das Angebot abgerufen wird.“ Eine starke Präsenz eines Ordnungsdienstes wäre aus Sicht des Revierleiters ein wichtiger Baustein. Die Ressourcen der Polizei seien begrenzt. An den kritischen Orten seien Beamte in Uniform und Zivil aber vermehrt im Einsatz.

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Die Norderstedter Oberbürgermeisterin Elke Christina Roeder (SPD) verweist auf Maßnahmen, die die Stadt bereits ergriffen habe, etwa das starke Kürzen einer Hecke an einer kritischen Stelle. Es werde über eine bessere Ausleuchtung bestimmter Bereiche gesprochen. „Wir werden probehalber einen Sicherheitsdienst einsetzen“, kündigt Roeder an. Dafür würden gerade die Kosten ermittelt. Zusammen mit dem kriminalpräventiven Rat versuche man aber auch, die Jugendlichen zu erreichen, um sie möglichst von Taten abzuhalten.

Bei diesen Delikten gab es einen starken Anstieg im Norden

„Wir nehmen das schon sehr ernst“, sagt Roeder. Es sei wichtig, dass die Menschen die beiden Verkehrsknotenpunkte auch in den Abendstunden sicher nutzen können. Mit der Stadtpolitik wolle sie auch über eine personelle Verstärkung des kommunalen Ordnungsdienstes sprechen, um vor allem an den Wochenenden präsent sein zu können. Roeder wünscht sich kombinierte Streifen aus Polizisten und Ordnungsdienst. Über die Möglichkeiten einer Videoüberwachung informiere die Stadtverwaltung sich gerade.

In Schleswig-Holstein gibt es nach Angaben des Landespolizeiamts aktuell neun Kontrollgebiete. Die Maßnahmen dauern so lange, bis das Ziel – weniger Straftaten und ein größeres Sicherheitsgefühl der Bevölkerung – erreicht ist. Das könne je nach Entwicklung von wenigen Wochen, wie bei „Rencks Park“ in Neumünster, bis zu mehreren Jahren dauern. Sämtliche polizeiliche Kontrollorte wurden aufgrund eines starken Anstieges von Rohheits- (also Raub, Körperverletzung und Straftaten gegen die persönliche Freiheit), Eigentums- und/oder Betäubungsmitteldelikten eingerichtet.

In Heide gab es im vergangenen Jahr große Probleme mit Jugendkriminalität auf dem Südermarkt, weswegen vorübergehend ein Kontrollgebiet eingerichtet worden war. Gerade geriet die Dithmarscher Kreisstadt aber wegen einer erschütternden Tat in die Schlagzeilen. Mehrere Mädchen im Alter von etwa 13 bis 16 Jahren sollen ein 13-jähriges Mädchen geschlagen und gedemütigt haben. Die Taten seien per Smartphone gefilmt worden.

Ein knappes Viertel der Tatverdächtigen unter 21 Jahre alt

Heides Bürgermeister Oliver Schmidt-Gutzat (SPD) sagte der „Dithmarscher Landeszeitung“, man sei seit einem Jahr an dem Thema dran. Versäumnisse sieht er nicht. „Wir haben sehr viel gemacht im Rahmen der Möglichkeiten.“ Ein Beispiel sei der alle drei Monate tagende kommunalpräventive Rat. Durch aufsuchende Jugendarbeit sei es gelungen, viele Jugendliche aus dem Mitläufermilieu herauszulösen. Schmidt-Gutzat sieht das Land in der Pflicht und fordert mehr Polizei. „Die Polizei muss im Alltag präsenter sein.“

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Rund 15.300 Tatverdächtige in Schleswig-Holstein waren nach der Polizeilichen Kriminalstatistik 2022 unter 21 Jahre alt. Das waren 21,8 Prozent aller Tatverdächtigen und eine leichte Steigerung im Vergleich zum Vorjahr. Zu der Altersgruppe zählten 19,2 Prozent der Gesamtbevölkerung. (dpa)

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