Fehleinschätzung und Falsch-Info der Polizei Hamburg: Neue Wende im Amokfall
„Die Wahrheit über Gott, Jesus Christus und Satan“ – so heißt das Buch des Hamburger Amoktäters Philipp F., der sieben Menschen und anschließend sich selbst getötet hat. In dem Pamphlet verbreitet er Wahnvorstellungen, verehrt Hitler und Putin. Bisher hieß es, dass das Buch zum Zeitpunkt der Recherche der Waffenbehörde nicht auffindbar war. Das ist offenbar falsch – die Polizei bestätigt der MOPO: „Der Titel des Buches war bekannt.“
„Die Wahrheit über Gott, Jesus Christus und Satan“ – so heißt das Buch des Hamburger Amoktäters Philipp F., der sieben Menschen und anschließend sich selbst getötet hat. In dem Pamphlet verbreitet er Wahnvorstellungen, verehrt Hitler und Putin. Bisher hieß es, dass das Buch zum Zeitpunkt der Recherche der Waffenbehörde nicht auffindbar war. Das ist offenbar falsch – die Polizei bestätigt der MOPO: „Der Titel des Buches war bekannt.“
Die Beamten begannen ihre Recherchen über den Mann, nachdem im Januar ein anonymes Schreiben bei der Waffenbehörde eingegangen war. In dem war davon die Rede, dass F. möglicherweise psychisch krank sei, dies aber nicht wisse, weil er nicht zum Arzt gehe. Der Hinweisgeber, den die Polizei nach MOPO-Informationen innerhalb der Familie des Amokschützen vermutet, schreibt auch von einem verdächtigen Buch, in dem Philipp F. krude Thesen verbreiten soll. Außerdem hasse F. seinen Arbeitgeber, Kirchen und die Zeugen Jehovas, denen er einst selbst angehörte.
Hamburg: Beamtin kannte den Titel des Buches doch
Bei ihrer Recherche suchten die Beamten das Buch über Google, konnten es dort allerdings nicht finden. Das hätten auch LKA-Experten im Nachgang bestätigt. Ralf Martin Meyer, Hamburgs Polizeipräsident, sagte, dies habe am damaligen Suchalgorithmus gelegen. Auch über die Homepage des späteren Täters sei man nicht auf das Buch gestoßen, wiederholte der Polizeipräsident bisher stets.
Eine Falsch-Information, wie sich jetzt herausgestellt hat: Tatsächlich sind die Beamten der Waffenbehörde doch auf das Buch gestoßen – allerdings über die Homepage, wie Sandra Levgrün, Sprecherin der Polizei, bestätigt. Demnach habe die an dem Fall arbeitende Beamtin über den Seitenbutton „Publikationen“ den Titel damals doch gesehen.

In der Hektik der ersten Tage nach der Amoktat habe man diese Information aber falsch übermittelt bekommen, so Levgrün. Demnach soll die Beamtin der Waffenbehörde, die sich seit längerem in einer Klinik aufhält, auf die Frage, ob sie das Buch kenne, mit Nein geantwortet haben. Die Frau soll angenommen haben, ihre Chefin meine den Inhalt des Buchs. Und gelesen hatte sie es nicht, deswegen soll sie die Frage nach dem Buch verneint haben.
Amoktäter Philipp F.: Polizei Hamburg räumt Fehler ein
Levgrün erklärt das „Missverständnis, das auf internen Kommunikationsfehlern beruht“ als Folge der Aufarbeitung der Amoktat unmittelbar nach den Geschehnissen. Man habe in den ersten Tagen versucht, so schnell wie möglich an Informationen zu kommen und diese dann im Rahmen der Pressekonferenzen der Bevölkerung mitzuteilen.

Die Waffenbehörde entschied sich damals dennoch, das Buch nicht zu kaufen – obwohl sie den Titel des Buches kannte und den Link zu der Amazon-Seite sah, auf der es vermarktet wird: Der Titel wurde als „nicht alarmierend“ eingeschätzt.
Levgrün: „Die Beamten nahmen die Umstände sehr ernst und entschieden sich daher auch, den Mann zu Hause aufzusuchen und persönlich Kontakt aufzunehmen.“ Bei der Kontrolle hatte F. die legal erworbene Pistole und Munition fachgerecht im Tresor verstaut. Nur eine Patrone lag auf dem Tresor. Er wurde mündlich verwarnt.
Hamburger Amoktäter: „Religiöser Fanatiker“, aber kein Rassist
Meyer sagte, dass der Inhalt des Buches wohl gereicht hätte, eine psychische Eignung von F. als Waffenbesitzer zu überprüfen. Auch ein Gutachten hätte man vermutlich erstellen lassen können. Ein direkter Waffenentzug wäre aber auch mit dem Wissen über den Inhalt des Buches rechtlich nicht möglich gewesen.
Deniz Celik, Innenexperte der Linksfraktion, sagt, dass Meyer als Polizeipräsident „nicht mehr tragbar“ sei. Er habe „entweder die Öffentlichkeit bewusst getäuscht oder er weiß nicht, was innerhalb der Polizei vor sich geht“. Er meint die ursprünglichen, „felsenfesten“ Aussagen Meyers, die Beamten hätten das Buch des Täters nicht gefunden. Eine Woche sei vergangen, ohne dass die Behauptung offiziell korrigiert wurde. Dass eine Richtigstellung unterblieben ist, sei antidemokratisch und wecke den Verdacht, „dass der Sachverhalt vertuscht werden sollte“. Die Polizei weist die Vorwürfe zurück. Die CDU fordert unterdessen den Rücktritt von Innensenator Andy Grote (SPD), der sich hinter Meyer stellt und diesen verteidigt.
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Zwei Gutachten renommierter Forscher kommen zu dem Schluss, dass Philipp F. ein „religiöser Fanatiker“ war, aber kein Rassist. „Hass auf christliche Religionsgemeinschaften ist das plausibelste Motiv für die Tat“, so Extremismus-Experte Peter Neumann. Er sehe das Buch nicht als Manifest an. Dass F. seine Amoktat plante, könne man nicht aus der Lektüre schließen.
Ein zweites Gutachten bescheinigt dem Täter eine kombinierte Persönlichkeitsstörung mit großen narzisstischen Anteilen. F. habe ein übersteigertes Bedürfnis nach Anerkennung gehabt und deutliche Anzeichen von Selbstüberschätzung und Größenwahn gezeigt. Hinweise auf eine psychische Erkrankung hätten sich aber nicht aus dem Buch ableiten lassen können.

Meyer kündigte derweil an, die Waffenbehörde strukturell wie personell besser aufstellen zu wollen. Dafür sei ein Fünf-Punkte-Plan erstellt worden, der vorsieht, anonyme Tipps auf psychische Störungen von Waffenbesitzern intensiver, auch mit stärkerer Einbindung des Landeskriminalamts, zu bearbeiten.
Zudem wolle man eine „Gefährdungsanalyse durch Psychologen“ betreiben: Künftig soll jeder Antragsteller einer Waffenbesitzkarte auf eigene Kosten ein psychologisches Gutachten vorlegen müssen. Anonyme Hinweise sollen rechtlich gesehen stärker bewertet werden können, um potenziell gefährlichen Menschen die Waffe zu entziehen. Meyer sprach sich außerdem für eine Registrierung der Munition aus. Bisher sieht das Waffenrecht nicht einmal eine Obergrenze vor.