Erpressung, Gewalt, Morde: Hamburgs Drogenkrieg und die Schlüsselrolle des Hafens
Die Zahl der Drogenfunde steigt, überall in der Stadt wird gedealt, in den krassesten Fällen eskaliert die Gewalt im Milieu derart, dass Menschen sterben. Eine Schlüsselrolle im Kampf gegen das Koks: der Hamburger Hafen. MOPO-Recherchen zeigen: Der Einfluss der Kartelle ist enorm. Hafenarbeiter werden bedroht, Drogengelder gewaschen, Experten vermuten Einflussnahme bis in die Sicherheitsbehörden hinein. Wie Hamburg Zustände wie in der Niederlande oder Belgien verhindern will.
Die Zahl der Drogenfunde steigt, überall in der Stadt wird gedealt, in den krassesten Fällen eskaliert die Gewalt im Milieu derart, dass Menschen sterben. Eine Schlüsselrolle im Kampf gegen das Koks: der Hamburger Hafen. MOPO-Recherchen zeigen: Der Einfluss der Kartelle ist enorm. Hafenarbeiter werden bedroht, Drogengelder gewaschen, Experten vermuten Einflussnahme bis in die Sicherheitsbehörden hinein. Wie Hamburg Zustände wie in der Niederlande oder Belgien verhindern will.
In den vergangenen zehn Jahren ist die Menge an geschmuggeltem Kokain in Hamburg durch die Decke gegangen. Es herrsche ein „enormer Zufahrtsdruck“, heißt es aus Sicherheitskreisen. Wurden 2014 noch knapp 400 Kilo Kokain durch den Zoll sichergestellt, stieg die Zahl bis 2019 auf neuneinhalb Tonnen. Eine Steigerung um das Zwanzigfache. 2021 machten die Ermittler einen Rekordfund: 16 Tonnen Kokain in mehr als 1700 Dosen – geschmuggelt in einem Container mit Spachtelmasse. Und doch findet der Zoll nur einen Bruchteil des Stoffes, der im Hafen umgeschlagen wird. Die Sicherheitslücken sind gewaltig.
Während die Polizei die Dealerei an der Balduintreppe auf St. Pauli genau im Blick hat, ist der Hafen in großen Teilen ein blinder Fleck. Das liege zum einen an den privaten Firmen im Hafen, die kein Interesse an hohen und teuren Sicherheitsstandards hätten, zum anderen an der unzureichenden Sicherheitsüberprüfung des Hafenpersonals, so Jan Reinecke, Landeschef beim Bund Deutscher Kriminalbeamter (BDK). „So sind dort viele Freigänger aus dem Strafvollzug, ehemalige Drogenhändler und ,Verbündete‘ der Organisierten Kriminalität beschäftigt.“
Nach MOPO-Informationen geraten die Arbeiter durch das schnelle Geld in Versuchung, das durch vermeintlich kleine Dienste im Drogenmilieu erwirtschaftet werden kann. Doch nicht alle helfen freiwillig: So sollen Arbeiter im Hafen bereits mit Waffengewalt zur Mitarbeit gezwungen worden sein. Gleichzeitig bleiben die beschlagnahmten Tütchen und Beutel nur die Spitze des Koksberges.
Schätzungen: Nur jedes zehnte Kilo Kokain wird gefunden
Entdeckt wird das Rauschgift beim Röntgen durch die Container-Prüfanlage des Hamburger Zolls. Seit 1996 ist die Anlage in Betrieb und scannte bislang 550.000 Container. Zur Einordnung: Allein im vergangenen Jahr gingen 8,3 Millionen Container im Hamburger Hafen über die Kaikanten. Die kontrollierten Container machen demnach nur einen Bruchteil der Gesamtmenge aus. Nach MOPO-Informationen wird schätzungsweise nur jedes zehnte Kilo Kokain überhaupt gefunden.

BDK-Chef Reinecke schätzt die Macht der Drogenbosse in Hamburg dabei als extrem hoch ein – und warnt gegenüber der MOPO vor Korruption: „Da davon auszugehen ist, dass Organisierte Kriminalität auch in Hamburg über Einfluss verfügt, dürften auch Kontakte in Ermittlungs- und anderweitige Verwaltungsbehörden existieren.“
Schmuggel: Täter nutzen vorhandene Strukturen
Der enorme Anstieg des geschmuggelten Kokains ist Folge einer Professionalisierung jenseits des Atlantiks: Die Kartelle in Mittel- und Südamerika haben ihre Produktion erheblich verbessert. Europa ist als Absatzmarkt lukrativ, da hier die höchsten Gewinnmargen zu erwarten sind, wobei die Häfen Antwerpen, Rotterdam und Hamburg im Fokus der Schmuggler stehen.
Insbesondere zwei Methoden stehen mit Blick auf die Kokswege oft im Fokus: Ripp-Off und Drop-Off. Bei ersterer werden oft Sporttaschen, in die 25 bis 30 Kilo Ware passen, in Containern mit legalen Transportgütern versteckt. Bei der zweiten Methode werden die Drogen wasserdicht verpackt und zunächst an Bord des Schiffs gelagert. An einem abgesprochenen Ort werden die Pakete ins Meer geworfen und von einem Mittäter eingesammelt.
Koks ist längst nicht mehr nur die Droge der Schickeria
Ein Teil des eingeführten Rauschgiftes bleibt in Hamburg, wodurch es in der Vergangenheit und aktuell zu einer hohen Verfügbarkeit bei einem gleichzeitig relativ niedrigen Preis komme, so die Sprecherin der Polizei, Nina Kaluza. Ein Kilogramm Kokain wird für 30.000 bis 35.000 Euro weiterverkauft. Der Konsument kann 0,6 Gramm reinen Stoff für einen Straßenpreis von 60 bis 70 Euro erwerben. Längst ist Kokain keine Schickeria-Droge mehr, sondern Massenware. Und die Methoden der Kartelle sind brutal.
In Belgien und den Niederlanden ist die Gewalt durch Drogenbosse bereits allgegenwärtig. Sie beginnt auf den Straßen und zieht sich bis in die Politik: Belgiens Justizminister Vincent Van Quickenborne entkam im vergangenen Jahr nur knapp einer Entführung, seine Kinder stehen unter Polizeischutz. Auch Polizisten, Staatsanwälte und Journalisten werden bedroht.
In Hamburg sind konkrete Bedrohungen gegenüber Organen der Strafverfolgung bislang nicht bekannt. Anders sieht es mit Blick auf das Drogenmilieu selbst aus: „Analog zu den Verfahren in Belgien und den Niederlanden werden Tatkonkurrenten, Zeugen und Mittäter auch in Hamburg mit dem Tod bedroht oder gar ermordet“, sagt Jan Reinecke zur MOPO. Zuletzt erreichten die Verteilungskämpfe extreme Ausmaße: Im Juli 2022 kam es in einer Shisha-Bar zu einer mutmaßlichen Hinrichtung, im Januar 2023 wurde ein Audi auf offener Straße von Kugeln durchsiebt.

Drogengelder werden im Gastro- und Immobiliengewerbe gewaschen
Polizei-Sprecherin Nina Kaluza sieht allerdings einen Unterschied im Auftritt der Drogenbosse in Hamburg im Vergleich zu den Niederlanden oder Belgien: Die Hamburger Täter seien bislang bemüht, „ihre Geschäfte möglichst unauffällig durchzuführen“, sagt sie zur MOPO. Doch auch so gebe es Auswirkungen auf die Gesellschaft, beispielsweise durch Investitionen in den Immobiliensektor über dem üblichen Marktpreis, um die Drogengelder zu waschen.
Reinecke wird noch konkreter: Durch die massiven Lücken bei der Ahndung von Geldwäsche in Deutschland sei die Gefahr durch Drogenbosse riesig. Neben dem Immobiliensektor stehe dabei auch das Gastro-Gewerbe im Fokus der Täter: „In den Wirtschaftskreislauf eingebrachte Drogengelder hebeln den Wettbewerb aus. So kann beispielsweise ein Restaurant, was der Geldwäsche dient, seine Speisen zu Dumpingpreisen anbieten, wodurch ehrbare Konkurrenzunternehmen Pleite gehen.“

HHLA verlangt teilweise polizeiliches Führungszeugnis
Um die Macht der Kartelle einzudämmen, sei das Landeskriminalamt in Hamburg seit Jahren auf unterschiedlichen Ebenen mit den Städten Antwerpen und Rotterdam vernetzt, sagt Claus Cortnumme, Leiter der Abteilung für Organisierte Kriminalität, zur MOPO. Gemeinsam wolle man die illegale Einfuhr von Kokain bekämpfen und die Sicherheitslage im nordeuropäischen Raum verbessern. „Jüngst wurden auch die Beziehungen zu südamerikanischen Ländern intensiviert, um im Rahmen eines verbesserten Informationsaustausches und einer engeren Zusammenarbeit dem Kokaineinfuhrschmuggel über den Hamburger Hafen noch effektiver begegnen zu können“, so Cortnumme.
Auch die Hafenwirtschaft ist alarmiert. Man nehme die Gefahr durch die organisierte Drogenkriminalität sehr ernst, so eine Sprecherin der HHLA. „Das Unternehmen hat weitreichende Maßnahmen implementiert, um dem illegalen Drogenschmuggel über den Hafen entgegenzutreten und die Beschäftigen zu schützen.“ Man arbeite eng mit den Ermittlungsbehörden zusammen und überprüfe Prozesse und Systeme laufend auf mögliche Schwachstellen.
Außerdem schule und sensibilisiere man auch die Mitarbeiter. „Neben den bestehenden Personalauswahlprozessen, führt die HHLA Überprüfungen bei bestimmten Funktionen durch, unter anderem durch die Vorlage eines polizeilichen Führungszeugnisses bei Neueinstellungen.“
Um die Drogenbosse und ihre Komplizen aufzuhalten, reichen die bisherigen Sicherheitsmaßnahmen im Hafen insgesamt aber ganz offensichtlich nicht aus. Aus Sicherheitskreisen heißt es: Man müsse schnell tätig werden, um dieser Entwicklung Einhalt zu gebieten.