„Die Luft wird dünner“: So dramatisch ist die Lage in den Apotheken
Fieber, Schmerzen, Diabetes? Passende Medikamente kommen aus der Apotheke. Doch immer mehr in Schleswig-Holstein geben auf – aus wirtschaftlichen Gründen. Für viele Patienten und Patientinnen bedeutet das: längere Wege, weniger Beratung und drohende Versorgungslücken. Die Branche schlägt Alarm.
Wer hat in den vergangenen Jahren in seiner Nähe nicht schon miterlebt, wie eine Apotheke für immer geschlossen wurde? In Schleswig-Holstein gibt es derzeit 556 Apotheken. 2009 seien es noch 737 gewesen, sagt der Geschäftsführer des Apothekerverbands Schleswig-Holstein, Georg Zwenke.
Immer weniger Apotheken im Norden
Der Rückgang habe sich beschleunigt. „Es ist dünn geworden, aber noch funktioniert es”, schätzt der Vorsitzende des Verbands, Hans-Günter Lund, die aktuelle Situation ein. Er ist selbst in Leck (Kreis Nordfriesland) Apotheker. Vom Apothekenschwund seien Städte und ländliche Räume gleichermaßen betroffen. „Quer durch den Garten und auch quer durch alle Betriebsgrößen.”
Die Folgen vor allem auf dem Land sind unter anderem längere Wege für die Patienten und eine noch höhere Belastung der Apotheker – auch mit Notdiensten. Aber auch in Orten mit mehreren Apotheken könne schon der Verlust einer einzelnen Apotheke Probleme bereiten, sagt Lund.

Oftmals seien diese in der Nähe von spezialisierten Ärzten auch entsprechend spezialisiert, etwa auf Onkologie oder Diabetologie, erläutert Zwenke. Schließe eine Facharztpraxis oder ziehe sie weg, könne das auch das Ende für eine solche Apotheke bedeuten. Umgekehrt könne das Aus einer Apotheke in Facharztnähe Nachteile für Patienten bedeuten.
Im Norden: Warum die Apotheken schließen
„Die Rahmenbedingungen haben sich in den vergangenen 15 Jahren massiv verschlechtert“, sagt Lund, „so dass man auch nur schwer eine Nachfolge bekommt”. Das wirtschaftliche Risiko sei viel größer geworden. „Sie haften persönlich mit allem, was sie haben”, sagt der 65 Jahre alte Apotheker.
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Vom Betriebsgewinn müssten zum Beispiel Altersversorgung und Investitionen bestritten werden. Das in der Statistik angegebene durchschnittliche Betriebsergebnis von 162.000 Euro (2024) erreichen die meisten Apotheken nach Lunds Angaben nicht, manche schreiben rote Zahlen. Er selbst arbeite etwa 60 Stunden in der Woche. So lange Arbeitszeiten wollten viele junge Menschen nicht, denn das sei mit den heutigen Vorstellungen von Familie kaum zu vereinbaren.
Online-Konkurrenz drückt Umsätze
Der Umsatz mit nicht verschreibungspflichtigen Produkten mache nur einen kleinen Teil der Einnahmen aus, sagt Lund, und viele Apotheker verzichteten bewusst auf möglichen Umsatz. Denn: „Wir raten auch gerne ab, wenn die Leute mit einem Werbeschnipsel aus der Fernsehzeitung kommen.” Etwa bei Produkten, die nur den Herstellern helfen, aber keinen Nutzen für die Kunden hätten.
Apotheker seien zwar eingetragene Kaufleute, aber auch Heilberufler, sagt Zwenke. „Das ist ein Spannungsverhältnis, es geht nicht um Geschäftemacherei um jeden Preis.” Viele Kunden seien Stammkunden, deren Krankheitsgeschichte der Apotheker kenne. Er wisse, ob etwa das gewünschte Melatonin zum leichteren Einschlafen einen individuellen Nutzen habe oder im Zusammenhang mit anderen Medikamenten sogar schaden könne.
Der Umsatz vor allem mit nicht rezeptpflichtigen Medikamenten sei durch die wachsende Konkurrenz der Online-Apotheken stark zurückgegangen, sagt Lund. Diese könnten wegen der großen Einkaufsmenge und geringerer Kosten deutlich preiswerter anbieten. Aus Sicht des Verbandsvorsitzenden gibt es aber einen entscheidenden Nachteil für Patienten: Es fehle die persönliche Beratung, etwa bei Schmerzmitteln wie Paracetamol, die bei Überdosierung sehr gefährlich sein könnten.
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Für rezeptpflichtige Arzneimittel erhalten die Apotheken eine festgelegte Vergütung nach einem Kombimodell. Pro abgegebener Arzneimittelpackung gibt es einen Fixzuschlag von 8,35 Euro. Dazu kommt ein variabler Zuschlag von drei Prozent auf den Apothekeneinkaufspreis.
Ein großes Problem aus Sicht der Apotheker ist nach Zwenkes Angaben der zeitliche Abstand zwischen Einkauf der Medikamente und Vergütung durch die Krankenkasse. Die Apotheker müssen die Ware vorfinanzieren. „Es gibt Apotheken, die zahlen für die Finanzierung 18 oder 19 Prozent Zinsen.” Dabei gehe es mitunter um große Summen. Einzelne Medikamente könnten 100.000 Euro und mehr kosten. Nach einem Monat Vorfinanzierung sei ein großer Teil der Vergütung bereits weg.
Versorgung im Norden: „Die Luft wird dünner“
Bei der Apothekendichte steht Schleswig-Holstein im bundesweiten Vergleich schon jetzt nicht gut da. Je 100.000 Einwohner gab es Ende 2024 noch 19 Apotheken. Die höchste Apothekendichte (23 oder mehr) haben der Kreis Ostholstein sowie die Städte Kiel und Neumünster. Im Mittelfeld (20 bis 22) liegen die Kreise Nordfriesland, Schleswig-Flensburg und die Stadt Flensburg. Alle anderen Kreise und Städte liegen darunter.
Eine geringere Apothekendichte als in Schleswig-Holstein gibt es nur in Bremen (18). Die meisten Apotheken je 100.000 Einwohner haben Sachsen-Anhalt (26) und das Saarland (25). In Hamburg kamen Ende vergangenen Jahres 19 Apotheken auf 100.000 Einwohner. Der EU-Durchschnitt liegt bei 31 Apotheken je 100.000 Menschen. Die Spanne reicht von 101 in Griechenland bis 9 in Dänemark.
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Nach Einschätzung von Schleswig-Holsteins Gesundheitsministerin Kerstin von der Decken (CDU) gelingt den Apotheken im Land derzeit eine bedarfsgerechte Arzneimittelversorgung. „Dennoch beobachten die für die Notdienstplanung zuständige Apothekerkammer sowie das Gesundheitsministerium die Entwicklung fortlaufend.“
Apotheken-Schwinden: Wann wird es kritisch?
Wenn die Versorgung nicht mehr gewährleistet ist, müsse als letzte Option nach dem Apothekengesetz die betroffene Gemeinde eine Notapotheke einrichten, sagt Zwenke. „Die Gemeinde trägt dann auch das wirtschaftliche Risiko.“ Auf der Insel Helgoland wäre diese Situation beinahe einmal eingetreten. Auf Föhr gab es mal drei Apotheken, jetzt sind es noch zwei.
„Die Luft wird dünner“, so Zwenke. Aber: „Es gibt keinen Fahrplan, keine Checkliste“, ergänzt Lund. Zunächst würde die Apothekerkammer versuchen, etwas zu organisieren, etwa mit einer Rezeptsammelstelle. Letztlich stehe aber der Bürgermeister in der Pflicht.
Von der Decken verweist auf die Möglichkeit der Zulassung von Zweigapotheken durch die Apothekenaufsicht im Landesamt für Arbeitsschutz, Soziales und Gesundheit. Ein Beispiel dafür sei die Insel Pellworm.
Apothekerverband fordert höhere Honorare
„Wir brauchen eine Stärkung der Wirtschaftlichkeit“, sagt Zwenke. Seit 2013 habe es keine Steigerung der Honorare mehr gegeben. Die Kosten seien gleichzeitig stark gestiegen, etwa um fast 79 Prozent beim Personal. Die Sachkosten seien heute um gut 47 Prozent höher.
Gleichzeitig seien die Einnahmen der gesetzlichen Krankenversicherungen um mehr als 72 Prozent gestiegen. Der Koalitionsvertrag von CDU und SPD in Berlin sieht eine Steigerung des Festbetrags pro Packung auf 9,50 Euro vor. Das reiche aber nicht aus, sagt Zwenke.
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Auch die Landesregierung sieht nach Angaben der Ministerin die Notwendigkeit für eine Anpassung, die seit längerer Zeit ausstehe. Die Entscheidung über Apothekenvergütungen und Honorarstrukturen bei pharmazeutischen Dienstleistungen werde auf Bundesebene gefällt.
„Wir haben uns daher als Land im Bundesrat und auf der Gesundheitsministerkonferenz dafür eingesetzt, die Rahmenbedingungen für Apotheken zu verbessern, damit auch zukünftig die Arzneimittelversorgung in Flächenländern wie Schleswig-Holstein sichergestellt werden kann“, so von der Decken.
In Lunds Heimatstadt Leck gibt es noch zwei Apotheken. Er selbst möchte noch fünf Jahre arbeiten. Ob er dann einen Nachfolger in der nordfriesischen Stadt findet, ist offen.
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