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Senator Andreas Dressel
  • Steht ganz schön im Regen: Finanzsenator Andreas Dressel.
  • Foto: dpa

Filz-Vorwürfe: Jetzt steht Senator Dressel im Regen

Hat Senator Andreas Dressel einem SPD-Parteifreund einen Neun-Millionen-Auftrag zugeschustert? Vier Wochen ist es her, dass die MOPO erstmals exklusiv über den Filz-Verdacht in der Finanzbehörde berichtete. Seitdem kamen immer mehr Details ans Licht und Dressel geriet unter enormen Druck. Am Dienstagabend knickte der Senator ein und zog den Auftrag zurück. Die Schuld gab er der Opposition – und den Medien, maßgeblich der MOPO. Dabei haben unsere Recherchen offensichtlich geholfen, einen Steuerskandal zu verhindern. 

Am 13. Dezember hatte die MOPO erstmalig über den Fall berichtet. Der Auftrag zur Bildung eines sogenannten FinTech-Accelerators, also eines Programms zur Förderung von Start-ups aus der Finanzbranche, war unter Umgehung einer EU-weiten öffentlichen Ausschreibung direkt vergeben worden – an die Firma Next Media Accelerator von SPD-Mitglied Nico Lumma, der nicht nur im Verwaltungsrat der „Kasse Hamburg“ sitzt, sondern auch den SPD-Vorstand im Wahlkampf beraten hat. Auf Twitter sind Dressel und Lumma per „Du“, tauschen sich regelmäßig aus. 

Ein Austausch zwischen Dressel und Lumma bei Twitter hfr
Dressel Lumma Twitter
Ein Austausch zwischen Dressel und Lumma bei Twitter

Trotz geeigneter Wettbewerber: SPD-Parteifreund wurde bevorzugt

Das warf viele Fragen auf. Nicht nur, weil Nico Lumma bisher nichts mit der Finanzbranche zu tun hatte und im MOPO-Interview zugab, davon auch keine Ahnung zu haben („Ich will mir nicht anmaßen, ein FinTech-Experte zu sein“). Er ist Experte für digitale Medien. Sondern auch, weil es in Hamburg sehr viel geeignetere Wettbewerber gibt, die in der Finanzbranche bereits Acceleratoren betreiben und erfolgreiche Startups wie den bei jungen Leuten beliebten Online-Broker „Trade Republic“ oder „Pockid“ hervorgebracht haben. Letzteres wurde kürzlich zum „Newcomer Fintech of the Year 2021“. 

Wie MOPO-Recherchen ergaben, wurden die Wettbewerber, anders als die Finanzbehörde behauptet, nicht alle zum Vorstellungsgespräch eingeladen. Obwohl sie deutlich mehr Expertise haben, wurde Lumma der Vorzug gegeben. Als Kritiker auch noch die bisherigen wirtschaftlichen Erfolge Lummas in Frage stellten, knickte Dressel ein.

Kriterien für Bewerberauswahl wurden auf Lumma zugeschrieben

„Der Vertrag wird rückabgewickelt“ – die bahnbrechende Nachricht versteckte der Finanzsenator bei seinem Auftritt im Haushaltsausschuss der Bürgerschaft am Dienstagabend, wo er sich den Fragen der Opposition zu der dubiosen Direktvergabe stellen musste, eher in einem Nebensatz. Länger als eine halbe Stunde sprach Dressel über den umstrittenen Vorgang und wiederholte dabei nur das, was er schon seit Wochen gebetsmühlenartig sagt: Der Begünstigte sei ihm bekannt, aber kein Freund. Lumma sei der geeignetste Kandidat gewesen. Die Vergabe sei juristisch sauber gelaufen. Eine EU-weite Ausschreibung hätte zu lange gedauert. Da es sich um befristete Corona-Mittel handele, hätten die Gelder schnell ausgegeben werden müssen. 

Dafür präsentierte Dressel zwei Juristen aus seiner eigenen Behörde, die – wenig überraschend – seine vom Blatt abgelesene Darstellung stützten. Einen Hinweis des CDU-Abgeordneten Thilo Kleibauer, die Kriterien, auf die Lumma angeblich am besten passe, seien doch eindeutig auf ihn zugeschrieben worden, überging der Senator geflissentlich. Ebenso wie Kleibauers Einwand, der Antrag der rot-grün dominierten Bürgerschaft zur Bildung eines FinTech-Accelerators sei erst gestellt worden, als die Finanzbehörde schon längst die Entscheidung für Lumma gefällt hatte. Nämlich drei Monate vorher. 

Auftragsstopp kommt einem Schuldeingeständnis gleich

Immer wieder wies der Senator darauf hin, dass niemand nach der Veröffentlichung der Auftragsvergabe an Lumma Rüge eingelegt hätte. Jeder Wettbewerber in ganz Europa hätte es ja im Amtsblatt der Europäischen Union lesen können. „Es hat sich niemand gemeldet. Unser Briefkasten blieb leer“, so Dressel. Nur: Glaubt wirklich irgendjemand, dass Accelerator-Betreiber so regelmäßig das EU-Amtsblatt lesen? Nicht erwähnt hat der Senator, dass die Frist zum Widerspruch nur zehn Tage beträgt. Und dass die Veröffentlichung zufällig Anfang Juli lag – genau zu Beginn der Sommerferien. Nicht nur in Hamburg, sondern auch in Frankreich, Griechenland, Spanien und Portugal, wo viele FinTechs sitzen. Mal abgesehen davon, dass die Kosten eines juristischen Nachprüfungsverfahrens jeden Accelerator-Experten in den Ruin treiben könnten.

Es fällt schwer, die Rückabwicklung des Auftrags als etwas anderes als ein Schuldeingeständnis Andreas Dressels zu sehen. Er hatte gar keine andere Wahl. Denn eine juristische Aufarbeitung, die der Fall in naher Zukunft schon wegen der gewählten Verfahrensart „Verhandlungsverfahren ohne vorherige Bekanntmachung“ nach sich gezogen hätte, hätte seine politische Zukunft ernsthaft gefährdet. Wohl aus diesem Grund hat Dressel sich am Dienstagabend auch nicht für seinen offensichtlichen Fehler, seine Behörde dem Verdacht der Vetternwirtschaft ausgesetzt zu haben, entschuldigt. So wie es sein Vorgänger Peter Tschentscher als Finanzsenator im Cum-Ex-Skandal getan hat. 

Senator schadet mit seiner Medienschelte der Demokratie

Dressel beharrt nicht nur auf seiner löchrigen Version der Geschehnisse. Er gibt auch noch der kritischen Öffentlichkeit die Schuld für sein Versagen. Die „Medien“ mit ihrer Berichterstattung und die Opposition hätten dem Accelerator-Vorhaben so sehr geschadet, dass es nun kaum möglich sei, private Investoren für das Projekt zu gewinnen. Nur das sei der Grund für die Rückabwicklung. Wer’s glaubt!  

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Eigene Fehler nicht selbstkritisch eingestehen zu wollen ist das eine. Mit seiner Medienschelte und der Diffamierung der Opposition, die die Vergabe auf dem üblichen parlamentarischen Weg mit Kleinen Anfragen überprüft hat, schadet Senator Dressel dem demokratischen Prozess. Das sollte einem über Parteigrenzen angesehenen Politiker, der einmal Bürgermeister werden möchte, nicht passieren. Aufgabe der Opposition und der Medien ist es, den Senat und sein Handeln zu prüfen – besonders, wenn eine Partei jahrelang regiert und damit immer leicht anfällig für Filz und Korruption ist. Gerade die SPD sollte das sehr genau wissen.  

Die MOPO wird die Sache weiter verfolgen und genau prüfen, was jetzt mit dem Geld der Steuerzahler passiert. Wie viel davon an Nico Lumma und seine Firma für die entstandenen Kosten fließen wird. Und was mit dem Rest des Geldes geschieht. Ebenso werden wir weiter ein Auge darauf haben, wie die Stadt es mit der Ausschreibung von öffentlichen Aufträgen hält. Weil es unser Job ist! 

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