„Wenn ihr morgen durch Hamburg geht“: Polzin appellierte an Ehre der HSV-Verlierer
Die Bayern, sie waren an diesem Samstagabend mal wieder eine Nummer zu groß für den HSV. Oder besser: zwei bis drei Nummern. 3:51 Tore, null Punkte aus neun Auswärtsspielen, so lautete die Hamburger Bilanz vor der ersten Reise in die Allianz Arena seit siebeneinhalb Jahren. Und nun setzte es, wie befürchtet, eine erneute Packung: Die Mannschaft von Merlin Polzin ging in München mit 0:5 (0:4) unter. Erschreckender als die Pleite an sich, die sicherlich keine Schande ist, war die Art und Weise, wie der deutlich unterlegene HSV zunächst begann. Immerhin: Die Hamburger fingen sich noch, auch dank des gnädigen Meisters – und konnten ein ganz schlimmes Resultat abwenden.
Immerhin kein 0:8 wie 2015. Oder kein 2:9 wie 2013. Trotzdem: „Das 0:5 tut weh“, hielt Nicolai Remberg fest, zumal es auf das 0:2 gegen den FC St. Pauli folgte. Das sei „scheiße“, befand der Mittelfeldmann, und musste zugeben, dass die Qualität des FC Bayern „enorm“ gewesen sei. „Das müssen wir so anerkennen.“ Weil es unübersehbar war.
Bundesliga-Topspiel: HSV verliert beim FC Bayern mit 0:5
Polzin blickte sofort auf die Videoleinwand, als das 0:1 durch Serge Gnabry (3.) gerade gefallen war. Er sah diesen Timecode: 2:40. Und es ertönte zum ersten Mal am Abend die vielleicht nervigste Torhymne im deutschen Fußball: „Jabadabaduuuu …“ Als Harry Kane dann wenige Minuten später auf Aleksandar Pavlović durchsteckte und der Youngster zum zweiten Mal für die Hausherren einschob (9.), klatschte sich Polzin seitlich an seine Oberschenkel.
Er wusste: Der Matchplan, den er sich für das Spiel beim Rekordmeister zurechtgelegt hatte, war hiermit obsolet. Denn schlechter, überforderter, hätte der HSV, der zunächst überrumpelt wurde, nicht in die Partie starten können.

Dass mit Jordan Torunarigha, Jean-Luc Dompé und Yussuf Poulsen gleich drei potenzielle HSV-Stammkräfte angeschlagen im Kader fehlten, war kein gutes Vorzeichen. Polzin setzte auf drei Debütanten, was auch Daniel Elfadli zum Verhängnis wurde: Für den Deutsch-Libyer stand Luka Vuskovic nach nur drei Mannschaftstrainings als zentraler Abwehrchef in der Startelf, zudem durften Aboubaka Soumahoro (defensiv halblinks für Torunarigha) und Fábio Vieira (offensiv halbrechts für Emir Sahiti) beginnen. Soumahoro sah allerdings nach 30 Sekunden für ein Foul an Michael Olise die Gelbe Karte – und verursachte später den Handelfmeter, den Kane nach VAR-Check zum 3:0 aus Bayern-Sicht verwandelte (26.). Vuskovic fälschte einen Schuss von Luís Díaz dann auch noch zum 0:4 ab (29.).
Nach 30 Minuten hieß es in der Allianz Arena schon 0:4
Ein knallharter Zwischenstand. Nie zuvor hatte der HSV in der Bundesliga nach 30 Minuten so hoch zurückgelegen. „Die Gegentore sind zu einfach“, monierte Remberg nach Abpfiff. „Der Spielstand war alles andere als wünschenswert“, meinte Polzin. HSV-Keeper Daniel Heuer Fernandes hatte gegen Olise (13./41.) und Díaz (21.) noch Schlimmeres verhindert. Der HSV trat vor der Pause offensiv nur einmal wirklich in Erscheinung: Rechtsverteidiger William Mikelbrencis, der seinen Job als Vertreter des gesperrten Giorgi Gocholeishvili – gemessen an den Umständen – solide erledigte, ließ nach einem Steilpass von Remberg erst Josip Stanisic und dann Jonathan Tah stehen, scheiterte per Linksschuss im Strafraum aber an Manuel Neuer (18.).
Ansonsten konzentrierte sich der HSV auf die Abwehrarbeit – weil er es musste. Die Bayern machten zunächst keine Anstalten, ihren Fuß vom Gaspedal zu nehmen, und zeigten den Gästen auf, was Topniveau in der Bundesliga bedeutet. Erst, nachdem Vuskovic seine Kollegen nach dem 0:4 zusammengetrommelt hatte, wurde es besser.
HSV-Trainer Merlin Polzin wechselte zur Pause dreimal
Polzin wechselte zur zweiten Halbzeit dreimal, brachte Elfadli für Soumahoro, Jonas Meffert für Nicolás Capaldo, der anstelle von Poulsen wieder die Kapitänsbinde trug, und Rayan Philippe für Alexander Røssing-Lelesiit. „Wir müssen uns wehren – und dann wollen wir uns bestmöglich verkaufen“, sagte Sportdirektor Claus Costa kurz vor dem Wiederanpfiff. Die Bayern konnten es sich ihrerseits leisten, zunächst zweimal zu wechseln – und das Tempo spürbar zu reduzieren. Auch wegen zweier medizinischer Notfälle auf den Rängen, mindestens einer davon auf der Südtribüne der Bayern-Ultras, plätscherte die Partie etwas dahin. Zumindest, bis Kane einen Konter selbst einleitete und krönte, indem er auf 0:5 stellte (62.). Vuskovic sah da wie schon vor dem zweiten Gegentor schlecht aus.

Die HSV-Fans feierten ihren Besuch in Süddeutschland dennoch unermüdlich weiter. Sie bejubelten, wie Heuer Fernandes gegen Lennart Karl (66.) und Nicolas Jackson (71.) hielt. Und sie beobachteten, wie Vieiras Schuss im letzten Moment geblockt wurde, schon das hätte der Ehrentreffer sein können (72.). Oder zehn Minuten später der Kopfball des eingewechselten Robert Glatzel (82.). Es gab das 1:5 nicht, aber auch keine Vollblamage für die Gäste, nach der es in der ersten halben Stunde verdächtig gerochen hatte. Das sah auch Polzin – weshalb er in der Halbzeitpause an die Ehre seiner Profis appellierte.
Polzins HSV-Mängelliste: „Bin damit nicht einverstanden“
„Wenn man so ins Spiel startet, wird die ohnehin schwere Aufgabe nicht unbedingt leichter“, bedauerte der HSV-Coach in seinem Spielfazit. Und kritisierte mit Blick auf die ersten 45 Minuten: „Ich bin nicht einverstanden, wie wir das Durchschiebeverhalten teilweise gestaltet haben. Wir haben nicht die Aggressivität gezeigt, die hier vonnöten ist, wenn der FC Bayern in Fahrt kommt.“ Die Mängelliste führte zu Klartext in der Kabine. „Ja, natürlich waren da scharfe Worte dabei“, verriet Heuer Fernandes. „Wir haben in der Halbzeit alles klar angesprochen“, sagte Polzin, nachdem Stefan Kuntz zuvor etwas tiefer ins Detail gegangen war.

„Merlin hat (in der Pause; d. Red.) gesagt: Wenn wir morgen durch Hamburg gehen, ob wir uns dann gut fühlen mit der ersten Halbzeit – oder ob wir ein bisschen mehr Engagement und Mut zeigen sollten“, berichtete der Sportvorstand bei Sky. Was auch Kuntz nicht gefiel: „Man kann ja defensiv stehen, aber defensiv stehen heißt ja nicht passiv, sondern wir wollten aktiv verteidigen. Das haben wir in der ersten Halbzeit überhaupt nicht hinbekommen, wir haben auch keinen Rhythmus gestört.“ Immerhin, so der 62-Jährige: „Das hat in der zweiten Halbzeit eine Idee besser ausgesehen.“
Das könnte Sie auch interessieren: HSV-Noten in München: Mehrmals die Fünf für die Verlierer aus Hamburg
Auch Polzin registrierte, dass der HSV nach dem Seitenwechsel „ein anderes Gesicht“ gezeigt habe. Wohl wissend darum, dass die Münchner „einen Gang zurückgeschaltet“ hätten. Der Klassenunterschied, er blieb dennoch unverkennbar. Polzin versprach: „Wir werden daraus lernen.“ Was auch nötig ist, denn am kommenden Samstag steht das deutlich wichtigere Spiel an – daheim gegen den 1. FC Heidenheim. „Auf die zweite Halbzeit müssen wir aufbauen“, erklärte Remberg. „Es bringt jetzt nichts, uns fünf Tage hierüber Gedanken zu machen. Wir müssen es schnell abhaken.“
Anmerkungen oder Fehler gefunden? Schreiben Sie uns gern.