Warum St. Paulis Mini-Gewinn ein großer Erfolg ist – und die KI an Göttlich scheitert
Es sind besondere, bewegte und einschneidende Zeiten beim FC St. Pauli. Endlich wieder Bundesliga, der harte Kampf um Punkte für den Klassenerhalt und das erste Heim-Tor sowie die Gründung der Genossenschaft und bereits zweistellige Millionen-Einnahmen. Dennoch ist längst nicht alles rosarot bei den Braun-Weißen, denn im knallharten Wettbewerb Profifußball muss der Kiezklub auf dem höchsten Level auf und neben dem Platz kämpfen. Der bei der Mitgliederversammlung mit Überlänge verkündete winzige Gewinn im abgelaufenen Geschäftsjahr ist dennoch ein großer Erfolg, der vielen anderen Klubs beim Aufstieg nicht gelingt. Der Verein wächst rasant, was auch für Probleme sorgt. Grandios gescheitert ist die Künstliche Intelligenz – und zwar an Präsident Oke Göttlich.
Mit Verspätung startete die Versammlung im Saal 3 des CCH. Nicht wie geplant um 19 Uhr, sondern wegen des Andrangs beim Einlass um – nein, nicht um 19.10 Uhr – sondern um 19.15 Uhr. Anders als sonst ausnahmsweise ohne die Mannschaft, was mit der Länderspielpause, internationalen Einsätzen der Nationalspieler und dem langen freien Regenerations-Wochenende für den Großteil des Kaders zu tun hatte.
Oke Göttlich: FC St. Pauli „sorgt für Schlagzeilen“
„Es liegen emotionale Monate hinter uns“, sagte Präsident Göttlich in seiner Rede zu Beginn vor den mehr als 1000 Mitgliedern und lobte besonders die erfolgreiche Arbeit im sportlichen Bereich von Sportchef Andreas Bornemann sowie Ex-Trainer Fabian Hürzeler. „Der FC St. Pauli wächst, sorgt für Schlagzeilen und sendet wichtige Botschaften in die Welt.“ Neben der Gründung der Genossenschaft sorgte zuletzt St. Paulis Ausstieg bei Elon Musks Plattform X für internationale Aufmerksamkeit. Der Verein habe eine „klare Haltung, ist streitbar und sportlich erfolgreich“.
Die vergangene Saison – eine grandiose, denn sie bedeutete die ersehnte Rückkehr in die Bundesliga nach mehr als 13 Jahren Abstinenz. „Unter dem Strich steht nicht nur sportlich, sondern auch wirtschaftlich ein erfolgreiches Geschäftsjahr.“
St. Pauli verzeichnet Gewinn von 188.020 Euro
Nach dem 4,8-Millionen-Minus im Geschäftsjahr 2022/23 kann der Kiezklub diesmal ein zartes Plus aufweisen. Bei einem Konzern-Rekordumsatz von rund 80 Millionen Euro (zuvor 63,7 Millionen) verzeichnet St. Pauli zum 30. Juni 2024 einen Gewinn in Höhe von 188.020 Euro.
Klingt wenig, ist aber viel wert und durchaus ein Erfolg, wie Finanz-Boss Wilken Engelbracht betont. Der Überschuss sei „deshalb bemerkenswert, da die meisten Aufsteiger im Aufstiegsjahr Verluste machen“.
Die Steigerung ist vor allem auf erhöhte Fernsehgelder aus Liga- und DFB-Pokal (Erreichen des Viertelfinales) von 10,9 auf 13 Millionen Euro, Transfererlöse (8,3 Millionen Euro), primär durch den Verkauf Fabian Hürzelers nach Brighton, eine erhebliche Steigerung im Merchandising (knapp drei Millionen Plus auf 13,5) sowie die Steigerung von Einnahmen bei Hospitality-Tickets zurückzuführen.
TV-Einnahmen werden sich fast verdreifachen
Was die TV-Gelder angeht: Die große Explosion durch den Aufstieg wird sich erst im laufenden Geschäftsjahr auszahlen. Mit einer satten Steigerung der 13 Millionen auf 36,9 Millionen Euro.
Apropos Millionen. Die neugründete Genossenschaft sei nach der ersten Woche des Anteils-Verkaufs „bislang ein Erfolg“, so Göttlich. Rund 11.000 Mitglieder hat die Genossenschaft mittlerweile, welche im Schnitt 1,55 Anteile zeichnen. Bislang hat der Verein durch die Verkäufe fast 15 Millionen Euro eingenommen. „Doch wir sind noch nicht am Ziel, wir müssen weiter Menschen für dieses Projekt werben.“
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Auf bis zu 30 Millionen hofft der Verein. Und dann sollen „weitere Projekte“ der Genossenschaft folgen, um im harten Wettbewerb mit Investoren-finanzierten Klubs „handlungsfähiger“ und „flexibler“ zu sein. Göttlich appellierte: „Wir brauchen alle 48.500 Mitglieder!“ Als Anteils-Käuferinnen und -Käufer. Bis Ende Januar läuft der Anteilsverkauf.
Was die Mitgliederzahl angeht, ist der FC St. Pauli weiter ein echter Boomer. In der Aufstiegssaison wurde die Zahl von 37.270 auf 46.105 gesteigert – und bis Ende dieser Saison erwartet der Klub einen Anstieg auf bis zu 55.000 Mitglieder.
Gottberg ins Präsidium gewählt, Schwedler gibt Vorsitz ab
„Wir erleben einen unglaublichen Andrang“, so Göttlich, bei dessen Amtsantritt 2014 die Mitgliederzahl noch bei rund 18.000 lag. Das aktuell sehr starke Wachstum dürfte auch mit der Hoffnung zusammenhängen, durch die Mitgliedschaft eine Chance auf die begehrten Karten für Heimspiele zu bekommen.
In den Führungsgremien des Kiezklubs gab es auch personelle Veränderungen. Wie erwartet wurde Luise Gottberg offiziell ins Präsidium gewählt, in dem sie bereits seit März kommissarisch aktiv ist. Es war die erwartete Formsache, aber das Votum für sie fiel mit 98,1 Prozent überwältigend aus. Die Aufsichtsratsvorsitzende Sandra Schwedler zieht sich nach zehn Jahren an der Spitze des Gremiums turnusmäßig zurück, bleibt aber im Aufsichtsrat. Den Vorsitz übernimmt ab sofort Kathrin Deumelandt. Neu in den Ehrenrat wurde Georg Möller gewählt, der die Nachfolge des zurückgetretenen Manfred Heinzinger antritt, der sagenhafte 32 Jahre in dem Gremium aktiv war. Für ihn und auch Schwedler gab es Standing Ovations.
Das Dauer-Thema Tarifvertrag bleibt eines. Zwar habe der Verein mit der regelmäßig tagenden Tarifkommission Fortschritte gemacht, berichtete Engelbracht, aber konnte keinen Durchbruch oder Zeitplan verkünden. „Wir gehen den Prozess Schritt für Schritt.“ Es gehe „auch darum, was wir in den nächsten Jahren als Verein stemmen können“, denn: „Ein Tarifvertrag kommt nicht umsonst.“ Ziel sei es, zunächst die „niedrigeren Gehälter anzuheben und anzupassen“, so Engelbracht.
Anträge im Eiltempo, Wartelisten-Wunsch abgeschmettert
Göttlich sagte zum Thema, es stelle sich die Frage, „inwieweit ein Tarifvertrag in allen Bereichen des Vereins praktikabel und überhaupt gewünscht ist“. Klar ist: Eine Einführung im großen Stil würde den Kiezklub vor zusätzliche wirtschaftliche Herausforderungen stellen.
Die Versammlung wurde mal wieder eine Spätschicht. Erst nach 23 Uhr wurde mit den Ehrungen für lange Mitgliedschaften, besondere Verdienste und sportliche Erfolge in den Abteilungen begonnen. Und erst nach diesem traditionell langen Prozedere der verdienten Würdigungen stand überhaupt der Tagesordnungspunkt Anträge an. Diese gingen dann aber sehr zügig über die Bühne.
Über die vier Satzungsänderungsanträge wurde noch vor Mitternacht abgestimmt, alle wurden mit jeweils rund 90 Prozent angenommen. Der Antrag auf Wiederinkrafttreten der vom Verein abgeschafften Warteliste für Dauerkarten wurde dagegen mit klarer Mehrheit (85 Prozent) abgelehnt – ohne große Diskussionen oder Emotionen, was auch an der fortgeschrittenen Stunde gelegen haben dürfte. Der Antrag auf die Aktualisierung der vereinseigenen Leitlinien, wie die Erweiterung um Diversität oder Inklusion, wurde mit dem überwältigenden Wert von 98 Prozent angenommen. Alles im Eiltempo, ohne viele Wortbeiträge, sodass die Mitgliederversammlung um 0.15 Uhr beendet war.
Viele Lacher: KI macht Oke zu Woke, UKE und Roger
Für Lacher war auch gesorgt – das lag vor allem am Einsatz des Transkriptionsprogramms, das Wortbeiträge bei der Versammlung live und direkt in Text umwandelte, der auf der riesigen Leinwand auf dem Podium zu lesen war. Die künstliche Intelligenz scheiterte mehrfach am Namen Oke Göttlich. Zunächst wurde der Präsident vom KI-Programm „Onkel Göttlich“ genannt, dann „UKE Göttlich“, „Ucke“ und „OK, Göttlich.“
Während der Rede von St. Paulis Finanz-Boss Engelbracht wurde aus Oke dann noch „Woke“ und „Roger“. Großes Gelächter im Saal. Das Tool, das bereits bei der Premiere im Vorjahr für Erheiterung sorgte, hat definitiv das Potenzial als Party-Gag. Engelbracht fragte im Spaß: „Hast Du einen zweiten Namen, Oke? Peter oder Michael? Ich nenne dich jetzt einfach Michael.“
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Göttlich hatte im Laufe des Abends auch die Ziele des Kiezklubs für die nähere Zukunft umrissen: „Wir wollen, dass der FC St. Pauli sportlich so erfolgreich wie möglich ist, die Nummer eins in Hamburg bleibt und auch den Klassenerhalt in der Bundesliga schafft.“ Damit einher geht auch eine Anpassung des jahrelang gepredigten Ziels der Etablierung in Deutschlands Top 25. Sukzessive wolle man „in die Top 18 oder besser“, sagte Göttlich.