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„Wenn du jetzt verlierst, hast du für immer verloren“: Mersad Selimbegovic hat Schlimmeres erlebt als eine Niederlage im Fußball.
  • „Wenn du jetzt verlierst, hast du für immer verloren“: Mersad Selimbegovic hat Schlimmeres erlebt als eine Niederlage im Fußball.
  • Foto: WITTERS

„Es ging um mein Leben“: Regensburgs Trainer über den Krieg

Wenn Regensburgs Trainer Mersad Selimbegovic seine Mannschaft auf das Spiel gegen St. Pauli am Sonntag vorbereiten wird, dann wird er von ihr keine Aggressivität einfordern, sondern Leidenschaft. Nicht, weil er knackige Zweikämpfführung nicht schätzt, sondern, weil der gebürtige Bosnier, aufgewachsen im und geflohen vor dem Krieg, der teils martialischen Sprache im Fußball wenig abgewinnen kann. Darüber spricht der 39-Jährige im MOPO-Interview ebenso wie über den Regensburger Höhenflug und sein „sehr gutes Verhältnis“ zu Timo Schultz.

MOPO: Herr Selimbegovic, Sie haben den perfekten Start in die Saison hingelegt. Gefragt nach dem Grund dafür sagen Sie: „Wir haben einen Lauf.“ Ist das so einfach?

Mersad Selimbegovic: Es ist vielleicht nicht ganz richtig, es nur auf so einfache Dinge herunterzubrechen. Aber das gehört 100-prozentig dazu. Dazu kommen viele Kleinigkeiten. Im Moment klappt und passt vieles.

Viele Experten sprechen von der sogenannten Eingespieltheit als Erfolgsfaktor, gerade in dieser 2. Liga. Wie wichtig ist das aus Ihrer Sicht?

Das hilft auf jeden Fall. Aber wir hatten bisher in jedem Spiel drei oder vier Neuzugänge in der Startelf. Weil die Integration in diesem Jahr aber außergewöhnlich schnell funktioniert hat, habe ich das Gefühl, dass das gar keine Neuzugänge sind. 

Selimbegovic: St. Pauli kann überraschen

Sie nennen außerdem die Fans bei Heimspielen als Erfolgsfaktor. Was stimmt Sie zuversichtlich, dass Sie auch St. Pauli auswärts besiegen? 

Allein schon, dass wir auf einer Welle schwimmen, auf der wir weiter reiten können und wollen. Wir wissen allerdings, dass es auf St. Pauli auch nicht so einfach ist. Zumal St. Pauli mit Mannschaft und Trainer-Team auch eingespielt ist. Das ist schon sehr gut, was die bei St. Pauli aktuell machen, da gucke ich gar nicht nur auf Ergebnisse. Ich habe für mich schon vor ein paar Wochen gesagt, dass ich sehr gespannt bin, was St. Pauli dieses Jahr macht. Das kann schon ein Überraschungsteam sein. 

Was zeichnet St. Pauli aus?

Sie haben eine klare Linie, mit der sie Fußball spielen, haben viele gute Individualisten, die ein Spiel immer in Richtung St. Pauli drehen können: Kyereh, dazu Burgstaller, der nicht viele Chancen braucht, Paqarada mit seinen gefährlichen Standards, die vielen spielstarken Spieler wie Becker, Benatelli und Hartel im Zen­trum. Die Struktur im Spiel ist einfach, aber jeder weiß genau, was zu tun ist. Und genau das macht sie stark.

Wie ist Ihr Verhältnis zu Timo Schultz? Haben Sie einen besonderen Blick auf ihn, weil er genau wie Sie ein Trainer mit langer Vergangenheit im Klub ist?

Unser Verhältnis ist dafür, dass wir uns noch nicht lange kennen, sehr gut. Ich schätze ihn und seine Arbeit sehr, insbesondere in der Zeit, in der es nicht lief. Bei all dem Druck auf Trainern kann man sich schnell verlieren und genau das macht er nicht. Ich muss ihm vor dem Spiel am Sonntag noch gratulieren, weil er nach ihrem erstem Spiel gegen Kiel einen Ball auf Höhe des Stadiondachs geschossen hat. Das war zwar ein nicht so wichtiger Teil des Spiels, aber ich habe das registriert. Das schafft auch nicht jeder (lacht).

Sie scheinen ihn sehr genau zu beobachten. 

Ich bin wahrscheinlich ein Detailbesessener (lacht).

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Wie sehen Sie denn grundsätzlich die Entwicklung hin zu mehr jungen Trainern in der 2. Liga? 

Jeder Trainer, der auf diesem Niveau arbeitet, ist auf seine Weise speziell. Und: Jüngere Trainer haben einen großen Vorteil – die neue Generation an Spielern ist nicht so einfach zu führen. Und junge Trainer können wahrscheinlich etwas besser verstehen, was die ganz jungen Spieler wollen und brauchen. Wir jungen Trainer sind außerdem eher bereit, Dinge zu verändern. Das ist oft nicht gut, erfahrene Trainer wissen ganz genau, was man berühren darf und was nicht. Und wir jungen forschen – manchmal auch zu viel, zu schnell, zu früh. 

Sie stehen seit mittlerweile 15 Jahren als Spieler und Trainer in Regensburg unter Vertrag. Können Sie sich daran erinnern, dass der Verein jemals so im Mittelpunkt stand wie gerade?

Ich muss ehrlich sagen: nein. Aber, und dafür muss ich Geld ins Phrasenschwein werfen: Nichts ist älter als der Erfolg von gestern. Es geht so schnell, man darf sich da nicht verlieren.

Regensburgs Trainer erlebte den Bosnien-Krieg als Kind

Sie wirken trotz des Traumstarts sehr geerdet und nicht so, als sei das aufgesetzt. Wie schaffen Sie es, nicht von der Euphoriewelle erwischt zu werden?

Das liegt an meiner Persönlichkeit und daran, wie ich Dinge wahrnehme. Ich muss da nichts vortäuschen. In meinem Leben habe ich Sachen erlebt, die mich prägen (stockt). Da kann mich kaum etwas so beeindrucken, dass ich mich davon mitreißen lasse. Das liegt auch daran, dass ich zum Beispiel nur wenig lese, was über uns geschrieben wird. 

Wird das nicht über Freunde oder Familie an Sie herangetragen?

Manche in meiner Familie und meinem Umfeld beschäftigen sich damit sehr, lesen mir alle möglichen Kommentare vor. Dann sage ich: Das bringt mir einfach nichts, mir darüber Gedanken zu machen und vielleicht ein schlechtes Gefühl zu bekommen. Ich habe im Leben Dinge geschafft, bei denen ich dachte: Es ist vorbei, es geht nicht mehr. Da ging es nicht um ein Spiel, da ging es um mein Leben. Und ich habe überlebt. Daraus habe ich gelernt, nie aufzugeben und bis zur letzten Sekunde dran zu glauben.

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Sie haben den Bosnien-Krieg als Kind erlebt und sind jetzt Profi-Trainer. Nervt es Sie, dass plötzlich alle diese Geschichte auskramen?

Natürlich löst das bei mir Erinnerungen aus, nach denen ich ein paar Minuten oder Stunden brauche, um das zu verarbeiten. Aber ich sehe es als Pflicht, darüber zu sprechen, damit so etwas nicht wieder passiert – ob das in Bosnien ist oder woanders. Nichts ist mehr wert als ein Leben. Und in jedem Krieg geht viel Leben verloren. Wir nehmen das immer auf die leichte Schulter, der Krieg findet ja woanders statt. Aber es geht nicht nur um Krieg, sondern vielleicht auch darum, mit den anderen Autofahrern besser zurechtzukommen, die im Stau genauso genervt sind wie man selbst. Wenn es hilft, darüber zu sprechen – und das sehe ich als meine Pflicht –, dann mache ich das.

Hilft Ihnen das im Leben, vielleicht sogar im Fußball, zum Beispiel im Umgang mit Spielern nach Negativ-Erlebnissen?

Auf jeden Fall. Egal ob das in der Politik oder im Sport ist: Wenn einer vor Menschen steht, ist es nicht wichtig, was er erzählt, sondern wie er es erzählt. Wenn das authentisch ist, folgen einem die Leute. Ich habe Sachen erlebt, bei denen ich wusste: Wenn du jetzt verlierst, hast du für immer verloren. Wenn du ein Spiel verlierst, kannst du nächste Woche wieder gewinnen. Wo ich war, war es schwierig, aufzustehen, wenn du einmal liegst.

Andere Trainer und auch Medien nutzen oft martialische Begriffe im Fußball. Stört Sie das?

Darüber habe ich mir viele Gedanken gemacht. Ein Trainer sagt oft: Wir müssen aggressiver sein. Was heißt das? Muss ich auf jemanden losgehen? Ich nehme das niemandem übel, versuche aber, so etwas nicht so oft in den Mund zu nehmen.

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