Ein Haus aus Holzlatten rechts, darauf steht ein Mann. Im Hintergrund sitzen schwarzgekleidete Menschen in einer Reihe.
  • Intensiv und düster: Die Uraufführung von Kirill Serebrennikovs „Der schwarze Mönch“ am Thalia-Theater
  • Foto: Krafft Angerer

Minutenlanger Beifall: Diese Uraufführung riss alle von den Sitzen

Nach jahrelangem Reiseverbot inszeniert der russische Starregisseur Kirill Serebrennikov persönlich am Thalia-Theater. Im düsteren Stück „Der schwarze Mönch“ geht es um Genie und Wahnsinn, um Leben und Tod und um Freiheit und Angst. Das Publikum feierte die Uraufführung des fast dreistündigen Bühnenprojekts nach einer Erzählung von Anton Tschechow mit minutenlangem Beifall im Stehen und Bravorufen.

Nach dieser Premiere muss der Theater-, Opern- und Filmregisseur Serebrennikov (52) sofort in seine Heimat zurückkehren. Im Jahr 2017 war er verhaftet und unter Hausarrest gestellt worden. Bei einem Prozess wegen angeblicher Veruntreuung von Geldern 2020 verurteilte man ihn zu einer dreijährigen Bewährungsstrafe mit Ausreiseverbot. Regiearbeit leistet er von seiner Wohnung aus per Videos und Zoom. Überraschend durfte er jedoch Anfang Januar ausfliegen, um die Tschechow-Proben in Hamburg persönlich fortzusetzen.

Regisseur musste Hamburg nach Premiere wieder verlassen

Intensiv und wirkungsstark verhandelt dort nun ein großes Ensemble aus russischen, deutschen, lettischen, amerikanischen und armenischen Künstlern Fragen nach Normalität und Wahnsinn, sozialer Anpassung und freiheitlicher Selbstverwirklichung. Und überlässt die Beantwortung jedem einzelnen Zuschauer.

Zu den Thalia-Stars der Aufführung, deren Proben in Moskau begonnen hatten, gehören Mirco Kreibich als Intellektueller auf Identitätssuche sowie Gabriela Maria Schmeide als dessen spätere Ehefrau. Mit Live-Musik, Gesang, Tanz und Film entwickelt der Regisseur, der auch das Bühnenbild geschaffen hat, einen atmosphärischen Stilmix.

Proben von „Der schwarze Mönch“ starteten in Moskau

„Wie sollen wir leben?“ – darum kreist der Abend, an dem der seelisch erschöpfte Sinnsucher Kowrin das Landgut seines alten Ziehonkels (Bernd Grawert) und dessen Tochter Tanja besucht. Soll man so angepasst, eigennützig und wohl deshalb oft auch schlecht gelaunt sein wie der Alte, der Obstbäume und Landarbeiter streng zurechtstutzt? Und der seine Tochter mit Kowrin verheiratet, damit nach seinem Tod ein Enkel die Geschäfte weiterführt. Oder bringt ein gewisser Wahn wie der Kowrins einen selbst und die Gesellschaft weiter? Der mittelmäßige Autor halluziniert, ein Genie zu sein. Ein schwarz gekleideter Mönch habe ihm das mitgeteilt.


„MOPOP – Der Kultur-Newsletter“ bringt Ihnen jeden Donnerstag gute Nachrichten frei Haus. Ob auf, vor und hinter den Bühnen – wir sind für Sie dabei und sprechen mit den spannendsten Menschen. Dazu gibt’s Tipps zu Veranstaltungen und Neuerscheinungen und vieles mehr. Wir freuen uns auf Sie! Hier klicken und anmelden.


Bei alledem leuchten Mond und Sterne über drei akkurat aufgestellten Gewächshäusern, die am Ende zerstört daliegen. Kowrin wird noch von Odin Biron und Philipp Awdejew verkörpert, die junge Tanja von Viktoria Miroschnitschenko. Auch Musik spielt bei dem in Hell-Dunkel-Effekten gezeichneten, immer opernhafter und opulenter werdenden Geschehen eine große Rolle – immer wieder werden im Gewächshaus betörende Jazz- und Barklänge produziert. Mit spirituellen Gesängen markiert ein großer Mönchschor das Auf- und Untergehen der Sonne.

Das könnte Sie auch interessieren: „Lessingtage“ starten: Dieses Festival feiert das Leben

Am Ende des vielsprachigen vierteiligen Abends, der die Geschichte aus verschiedenen Perspektiven beleuchtet, tanzen die geistlichen Herren mit nackten Oberkörpern furios, werfen sich auf den Boden. „Freut euch! Freut euch! Freut euch! Freut euch!“, singen sie. Ausdruck geistiger Freiheit? „Hab’ keine Angst“ – so lauten die letzten Worte Kowrins, als er an einem Blutsturz stirbt. Sein Schicksal war es, dass seine Familie ihn mit medizinischen Methoden vom Wahnsinn kuriert hat. Und damit von seinem Streben über das Mittelmaß hinaus. Was ihm blieb, war Langeweile. Aus einem an Selbstüberschätzung leidenden Künstler wurde ein Herdenmensch.

Wie man tatsächlich richtig lebt, das sagt Serebrennikov nicht. Bei seiner Ankunft in Hamburg Anfang des Monats hatte der Regisseur gesagt: „,Der schwarze Mönch‘ ist eine Geschichte über Leben und Tod, über die Grenze zwischen Leben und Tod. Wir alle sind nun an dieser Kante – und es ist sehr wichtig, das zu wissen und das richtige Verhalten zu finden.“

Thalia-Theater: 12./13.2., 4.-6.3., diverse Uhrzeiten, Tickets gibt’s hier

Email
Share on facebook
Share on twitter
Share on whatsapp