„Das ist wie eine Droge“: Wie Eva (28) den Kriegshorror in Kiew überlebt
Wohnviertel, Hochhäuser, kleine Dörfer, sogar eine Geburtsklinik: Der russische Präsident Wladimir Putin schreckt bei seinem Angriff auf Ukraine vor nichts zurück. Er lässt unschuldige Menschen bombardieren, raubt ihnen ihre Zukunft, lässt sie verzweifeln und tötet sie. Viele Ukrainerinnen und Ukrainer sind aus Angst bereits geflohen, so wie etwa Anna Dovbysh, deren Geschichte die MOPO bereits erzählte. Andere bleiben trotz des Raketenhagels in ihrer Heimat – weil sie nicht anders können. So wie die Schauspielerin Eva Klyatskina (28) aus Kiew, mit der die MOPO in Kontakt steht. Dies ist das Protokoll ihres Widerstands.
Der Krieg begann am Geburtstag meiner Oma. Es war geplant, dass ich an diesem Tag aus Kiew zu ihr nach Hays fahre, einer Kleinstadt in der Gegend um Vinnytsya. Aber an diesem Morgen um 5.30 Uhr fielen die ersten Bomben. Der Fahrer, der mich nach Hays bringen sollte, rief mich an und fragte, ob ich immer noch fahren wollte und wenn ja, ob wir Kiew früher als vereinbart verlassen könnten. Ich sagte ihm, dass ich vorhatte, in Kiew zu bleiben. Hier ist mein Zuhause. Nicht nur physisch, sondern auch für meine Seele. Deshalb muss ich bleiben.
Ich wünschte dem Fahrer eine sichere Reise und bin sofort ins Büro gegangen, um Unterlagen und meinen Laptop zu holen. Danach habe ich einen Freund angerufen, der mich fragte, ob ich nicht zu ihm kommen wollte, sein Haus ist sicherer als meins. Ich habe dann in Windeseile eine ganz kleine Tasche, so klein wie möglich, gepackt und bin zu ihm gefahren. Seit dem 24. Februar verbringe dort die Nächte.
„Ich bin nie in einen Schutzbunker gegangen“
- Deutsch (Deutschland)
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Wohnviertel, Hochhäuser, kleine Dörfer, sogar eine Geburtsklinik: Der russische Präsident Wladimir Putin schreckt bei seinem Angriff auf Ukraine vor nichts zurück. Er lässt unschuldige Menschen bombardieren, raubt ihnen ihre Zukunft, lässt sie verzweifeln und tötet sie. Viele Ukrainerinnen und Ukrainer sind aus Angst bereits geflohen, so wie etwa Anna Dovbysh, deren Geschichte die MOPO bereits erzählte. Andere bleiben trotz des Raketenhagels in ihrer Heimat – weil sie nicht anders können. So wie die Schauspielerin Eva Klyatskina (28) aus Kiew, mit der die MOPO in Kontakt steht. Dies ist das Protokoll ihres Widerstands.
Der Krieg begann am Geburtstag meiner Oma. Es war geplant, dass ich an diesem Tag aus Kiew zu ihr nach Hays fahre, einer Kleinstadt in der Gegend um Vinnytsya. Aber an diesem Morgen um 5.30 Uhr fielen die ersten Bomben. Der Fahrer, der mich nach Hays bringen sollte, rief mich an und fragte, ob ich immer noch fahren wollte und wenn ja, ob wir Kiew früher als vereinbart verlassen könnten. Ich sagte ihm, dass ich vorhatte, in Kiew zu bleiben. Hier ist mein Zuhause. Nicht nur physisch, sondern auch für meine Seele. Deshalb muss ich bleiben.
Ich wünschte dem Fahrer eine sichere Reise und bin sofort ins Büro gegangen, um Unterlagen und meinen Laptop zu holen. Danach habe ich einen Freund angerufen, der mich fragte, ob ich nicht zu ihm kommen wollte, sein Haus ist sicherer als meins. Ich habe dann in Windeseile eine ganz kleine Tasche, so klein wie möglich, gepackt und bin zu ihm gefahren. Seit dem 24. Februar verbringe dort die Nächte.
„Ich bin nie in einen Schutzbunker gegangen“
Einmal sind in der Nähe drei Raketen eingeschlagen. Ich weiß nicht, in was, aber der Himmel war komplett orange und die Geräusche waren heftig. Das war eine der Nächte, in der wir überhaupt nicht schliefen und die ganze Zeit weinten – und zwar in der Küche. Es ist bei Gefahr der sicherste Ort im Haus, wir haben da alles für Notfälle bereit gelegt. Jedes Mal, wenn wir Waffen oder Raketen hören, oder wenn wie die Sirenen heulen, schnappen wir uns die Katze, laufen in die Küche und warten dort.
In einen Schutzbunker oder so bin ich nie gegangen. Soweit ich weiß (und ich weiß mittlerweile mehr als mir lieb ist), gibt es bei den Schutzbunkern ein großes Risiko: Sie können zur Falle werden. Hier, zwischen lauter tragenden Wänden, sind wir sicherer und können bei direktem Beschuss hoffentlich rechtzeitig ins Freie gelangen.
„Wenn die Russen in meine Stadt kommen, werde ich auch Tomatengläser werfen“
Tagsüber bin ich bei einer zivilen Freiwilligen-Organisation tätig. Einen Tag nach Kriegsbeginn habe ich mich direkt angemeldet. In der Ukraine gibt es gerade mehrere Kriege, jeder einzelne von uns führt einen Krieg gegen die Angreifer. Es gibt Leute, die Panzer mit Molotow-Cocktails zerstören, es gibt Leute, die sich ohne Waffen, ohne alles, den Panzern entgegenstellen. Eine Frau hat angeblich eine russische Drohne mit einem Glas eingelegter Tomaten zerstört. Andere helfen bei der Verteilung und dem Transfer von Medizin oder Lebensmitteln. Wieder andere kämpfen digital und versuchen, die Wahrheit über den Krieg zu verbreiten. Wenn die Russen in meine Stadt kommen, werde ich auch Tomatengläser werfen.
Wenn nicht gerade Krieg ist, arbeite ich als Schauspielerin an einer Schule für Improvisationskunst. Jetzt versuchen wir, den Leuten in Kiew bei den Grundbedürfnissen zu helfen. Wir besorgen Sachen, kümmern uns um Transfers und Zufluchtsorte in der ganzen Ukraine und unterstützen diejenigen, die das Land verlassen wollen, bei ihrer Reise über die Grenze.
Mein Kriegsalltag sieht so aus: Normalerweise stehe ich so zwischen 7 und 8 Uhr auf und danke, dass ich einen weiteren Tag am Leben bin. Dann schreibe ich meinen Verwandten und Freunden. Ich gehe unter die Dusche, frühstücke und mein Freund fährt mich zu mir nach Hause. Dort arbeite ich dann den ganzen Tag und um 19.30 Uhr holt er mich da wieder ab und bringt mich zurück zu sich zum Übernachten. Meistens habe ich dann keine Kraft mehr und gehe direkt ins Bett. Am zehnten Kriegstag hatte ich einen emotionalen Zusammenbruch. Ich habe noch nie so viel und so lange geweint. 24 Stunden meines Lebens habe ich weinend verbracht.
„Jeder Tag fühlt sich an wie ein ganzes Jahr“
Manchmal kriege ich mit, dass Leute im Ausland die Russen mit Medizin und Lebensmitteln versorgen. Wie sollen wir das aushalten? Da gibt es wirklich Menschen, die wollen Krieg und tausende Tote. Da gibt es wirklich Menschen, die den Krrieg sponsern. Ich bin nur am Weinen, wenn ich sowas höre. Ich kann nicht aufhören zu weinen, weil ich nicht weiß, ob mir genug Zeit bleibt, zu helfen.
An jedem Tag und in jedem Moment treffen wir eine Wahl. Und das ist eine Wahl, bei der es um Leben und Tod geht. Ich habe das Gefühl, meine Nerven sind 24 Stunden pro Tag, sieben Tage die Woche, zum Zerreißen gespannt. Jeder Tag fühlt sich an wie ein ganzes Jahr. Wenn ich das hier überlebe, dann brauche ich auf jeden Fall kosmetische Behandlungen und sehr viel Botox. Wenn ich in den Spiegel blicke, sehe ich eine 40-jährige Frau. Aber ich bin 28.
Viele Leute fragen mich: „Eva, was brauchst du? Bist du in Sicherheit?“ Und sie würden mir jederzeit mit allem helfen. Aber vor dem Krieg war ich eine erfolgreiche Business-Frau, total strukturiert, eigenständig und selbstbewusst. Jetzt sehe ich keine Zukunft mehr. Alles, was passiert, verändert für mich und meine Zukunft alles. Für mich als Frau. Für meinen Beruf.
„Humor hilft uns beim Überleben“
Bis zum 24. Februar war mein Leben voll von Humor. Ich habe meine Leben, meinen Beruf, einfach alles geliebt. Ich war erfüllt von Dankbarkeit. Wir waren gerade mitten in der Vorbereitung für die nationalen Impro-Comedy-Meisterschaften. Am 27. Februar sollte die erste Show stattfinden, die erste von 15 in der ganzen Ukraine mit tollen Impro-Teams. Was für schöne Erinnerungen! Ich hoffe einfach, dass es nach dem Krieg eine Wiedergeburt meiner Kunst mit neuer Kraft gibt.
Humor hilft mir auch im Umgang mit meiner Familie. Ein Teil von ihr ist in Cherson. Wir sprechen jeden Tag miteinander. Und wir versuchen dann manchmal, Witze über die Situation zu machen, denn Humor entspannt deinen Geist, befreit den Kopf für einen kurzen Moment und gibt dir neue Kraft.
„Vielleicht können wir Russland irgendwann vergeben, aber niemals vergessen“
In den ersten Tagen des Kriegs fühlte ich einen riesigen Zorn gegenüber Putin und gegenüber Russen. Ich kann nicht verstehen, warum er seine Truppen schickt, um uns zu töten. Unsere Kinder, unsere schönen Städte, unsere Geburtskliniken, friedliche Dörfer und Häuser und Menschen bombardiert. Ich kann das nicht vergeben. Noch nicht. Ich weiß, dass es eine große Macht ist, vergeben zu können. Aber ich kann es nicht, nicht jetzt. Jetzt verstecke ich mich vor seinen Bomben.
Eigentlich aber tut er mir leid. Er wird nie aus tiefstem Herzen lieben können. Und wenn andere das können, wird er es nicht akzeptieren. Wir, ich, die Ukraine – alle lieben aus tiefstem Herzen. Und das werden wir für immer tun, denn das liegt in unseren Genen. Und ich hoffe, es wird vielleicht irgendwann der Tag kommen, an dem wir Russland vergeben können. Aber wir werden niemals vergessen.
„Etwas zu tun, das ist wie eine Droge, die dir hilft, stark zu bleiben“
Es ist so schwer, wenn alles in deinem Leben zusammengebrochen ist. Für mich. Für meine Verwandten, Freunde, für unser Land. Für alle. Aber wir haben so einen starken Glauben, an unseren Präsidenten, unsere Armee, unser Volk. Wir glauben an die Wahrheit. Wir sind die Wahrheit. Das ist unsere Superkraft. Das hilft uns jeden Tag zu überstehen. Um am Leben zu bleiben, wiederhole ich außerdem für mich selbst jeden Tag: „Es gibt in meinem Land so viele Leute, die noch hilfsbedürftiger sind als ich.“ Ich tue alles, was ich kann, um ihnen zu helfen. Alle, die ich kenne, helfen anderen. Etwas zu tun, das ist wie eine Droge, die dir hilft, stark zu bleiben.
Ob mir etwas Hoffnung gibt? Ja. Ukrainer und Menschen weltweit. Die für uns beten, die sich mit uns solidarisieren, die uns unterstützen. Ich habe mir nie Krieg gewünscht. Denn das ist einfach nur real gewordener Horror, Schmerz und Tod. Ukrainer sind voller Liebe, sie lieben das Leben, sie lieben ihr Land und ihre Leute. Ich hoffe, dass aus dieser Liebe etwas Neues entstehen kann, ein neues Kapitel in der Geschichte der Welt.