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Litfin Waffenprozess
  • Harsums Bürgermeister Marcel Litfin (parteilos) war nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts sichtlich enttäuscht.
  • Foto: picture alliance/dpa/Julian Stratenschulte

„Freitag 9.00 stirbt er“: Bürgermeister darf sich trotz Drohungen nicht bewaffnen

Oskar Lafontaine, Wolfgang Schäuble und viele andere – die Liste von Anschlägen auf deutsche Politiker:innen ist lang. Walter Lübcke (CDU) starb nach Drohungen. Er wurde 2019 auf seiner Terrasse von einem Rechtsradikalen erschossen. In der beschaulichen 11.000-Einwohner-Stadt Harsum bei Hildesheim fürchtet der parteilose Bürgermeister ebenfalls um sein Leben – mehrfach wurde er von drei Männern bedroht. Doch seinem Wunsch, eine scharfe Schusswaffe tragen zu dürfen, wurde nicht entsprochen. Seine Klage vor dem Verwaltungsgericht wurde ebenfalls abgewiesen. Bürgermeister Marcel Litfin prüft die Möglichkeit einer Berufung.

Auf den ersten Blick scheint das Leben von Litfin die perfekte Provinz-Idylle. Der 36-Jährige ist in Harsum aufgewachsen. Mit seiner Frau und den beiden Töchtern lebt er in einem alten Häuschen, das sie „mit helfenden Händen aus unserem Freundeskreis und unserer Familie aufwendig saniert haben“, so Litfin. Er liebt die Familien-Spaziergänge mit ihrem Labrador in der Harsumer Natur. Beim MTV Harsum spielt er Tennis, er besitzt die C-Lizenz für Fußball-Trainer und kickt in Harsum bei den Alten Herren. Auch bei der Freiwilligen Feuerwehr engagiert er sich.

Litfin ist als Harsumer Bürgermeister beliebt

Und ein beliebter Bürgermeister ist er offenbar auch: Mit 87 Prozent der Stimmen wurde er 2020 wiedergewählt – seit 2016 ist der Parteilose im Amt und hat Wähler und Politikerinnen fast aller Parteien von seiner Arbeit überzeugt. Im Gemeinderat haben Rot-Grün und CDU jeweils etwa gleich viele Sitze.

Und doch liegt ein Schatten über dem Fachwerkhaus-Idyll. Einen Berater Litfins zitiert der „Spiegel“ so: „Harsum ist ein Zombie-Dorf, wenn abends die Glocken schlagen, kommen sie raus.“ Konkret scheint es um drei „Zombies“ zu gehen. Und die schreiben offenbar regelmäßig Drohbriefe. Eine Auswahl: „Das war’s. Litfin stirbt.“ „Tod.“ „Freitag 9.00 stirbt er.“ Litfin zumindest nimmt die Drohungen derart ernst, dass er beantragte, eine scharfe Schusswaffe tragen zu dürfen. „Am liebsten eine kleine handliche Pistole, die sich unauffällig unter einem Sakko tragen lässt.“ Das Gutachten der Behörden lehnte den Wunsch aber ab.

Drei Männer bedrohen Bürgermeister regelmäßig

Die drei Übeltäter: Ein Mann, der früher als Obdachloser in Harsum lebte, dann aber wegzog. Als seine Mutter starb, soll er nicht informiert worden sein, sie wurde ohne seine Anwesenheit bestattet. Dafür macht er Litfin verantwortlich. Der zweite „Aggressor“, wie Litfin die Männer nennt: Ein 50-Jähriger, der direkt neben dem Rathaus wohnt. Täglich schreibe er wirre Briefe, fühle sich vom Staat bedroht. Ein psychiatrisches Gutachten bescheinigt ihm eine „schwere paranoide Schizophrenie“ – vergangenen Sommer stand er vor Gericht, weil er Gullydeckel von einer Autobahnbrücke geworfen haben soll. Die „Bild“ nennt den Ex-Knacki „Brückenteufel“.

Der Dritte im Bunde ist ein verurteilter Reichsbürger, der wohl noch bis Juni im Knast sitzen wird. 15 Monate bekam er für einen tätlichen Angriff auf den Harsumer Pfarrer. Die Polizei fand bei ihm eine Wurf- und eine Streitaxt, eine Lanze und eine Gaspistole. „Heil Hitler, Herr Bürgermeister“ soll er Litfin auf offener Straße zugebrüllt haben. Einmal habe er seinen Hund auf ihn gehetzt, so der junge Bürgermeister.

Auch der „Brückenteufel“ drohte schon per Brief, Litfin „mit dem Hammer den Schädel einzuschlagen“. Bei ihm und dem ebenfalls drohenden früheren Obdachlosen gab es Gefährder-Ansprachen der Polizei.

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Die Argumentation des Verwaltungsgerichts Hildesheim ist klar: Die Polizei macht ihre Arbeit. Der Reichsbürger sitze derzeit ohnehin noch ein. Auch andere Verwaltungsbeamte würden bedroht. Es liege also keine besondere Gefährdung bei Litfin vor. Der Kläger müsse glaubhaft machen, „wesentlich mehr als die Allgemeinheit durch Angriffe auf Leib und Leben“ gefährdet zu sein, um einen Waffenschein bekommen zu dürfen. Außerdem werde eine Waffe nicht unbedingt für mehr Sicherheit sorgen, könne die Situation weiter eskalieren lassen.

Noch überlegt Litfin, ob er gegen das noch nicht rechtskräftige Urteil in Berufung gehen will. Er glaubt nicht daran, dass die Polizei ihm genügend Schutz bieten kann. Aber kann ein zweiter Fall Walter Lübcke wirklich vermieden werden, indem Politiker:innen sich bewaffnen? Sollte Litfin sich mit seinem Anliegen vor dem Oberverwaltungsgericht durchsetzen – es wäre ein absolutes Novum in Deutschland.

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