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Reisen auf Kreuzfahrtschiff: Experte zweifelt an Attraktivität eines solchen Urlaubs

Das erste Kreuzfahrtschiff hat den Hamburger Hafen bereits verlassen. Zu Corona-Zeiten sehen die Reisen allerdings ganz anders aus als sonst. Kreuzfahrt Experte Alexis Papathanassis erklärt die neue Kreuzfahrt-Realität und wie coronasicher sie ist.

„Tui Cruises“ bietet zunächst Fahrten auf „Mein Schiff 1“ und „Mein Schiff 2“ von Hamburg und Kiel aus in Richtung Norwegen an. „Aida“ startet im August Kurzreisen von Rostock und Kiel aus. Auch „Hurtigruten“ fährt wieder entlang der norwegischen Küste. Flusskreuzfahrt-Anbieter haben ihren Betrieb ebenfalls aufgenommen.

Kreuzfahrten während Corona: Keine Landgänge dafür „Borderlebnis pur“

Die Besonderheit: „Aida“ und „Tui Cruises“ bieten vorerst nur Kreuzfahrten völlig ohne Landgänge an. „Tui Cruises“ spricht von „Blauen Reisen“ und „Borderlebnis pur“. „Was die Branche derzeit versucht, ist ein geschlossenes System noch weiter zu schließen. Es gibt jetzt kaum eine Schnittstelle mehr zur Außenwelt. Also kein Hafenerlebnis, keine Attraktionen, keine Ausflüge“, erklärt der Kreuzfahrt-Experte Alexis Papathanassis von der Hochschule Bremerhaven. 

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Darüber hinaus seien auch das soziale Leben und die Unterhaltung an Bord eingeschränkt. „Da fragt man sich schon, ob so eine Form von Urlaub noch attraktiv ist.“ „Blaue Reisen“ hätten mit der Art von Kreuzfahrt, die europäische Urlauber mögen, eher weniger zu tun. 

Kreuzfahrten während Corona: Schrittweise Rückkehr zu Normalität?

„Sea-Only“-Cruises sollen nur der Anfang sein. Eine Frage für die mittelfristige Zukunft lautet: Wie geschlossen bleibt das System? Vorstellbar seien zum Beispiel enge Partnerschaften mit einzelnen Häfen, in denen alle Prozesse genau kontrolliert werden, sagt Papathanassis. „Ich kann mir gut vorstellen, dass man exklusive, vertikale Ketten mit Partnern an Land aufbaut. Innerhalb dieser Kette kann man Sicherheit schaffen.“

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So erklärt etwa „Aida“: „Je nach Öffnung weiterer europäischer Häfen könnten erste ausländische Destinationen in das Reiseprogramm integriert werden.“ Nur wann wird das der Fall sein? Das ist offen.

Kreuzfahrten während Corona: Social Distancing auf See

Nicht nur die Landgänge fehlen, auch an Bord läuft vieles anders ab. Die Reedereien fahren mit weniger Gästen, es gelten strenge Hygienekonzepte. Die Urlauber sollen unterwegs einen 1,5 Meter Mindestabstand zueinander halten.

„Sollten wir feststellen, dass einzelne Personen diese Regeln bewusst nicht einhalten, behalten wir uns an Bord vor, dagegen vorzugehen“, erklärt Godja Sönnichsen, Sprecherin von „Tui Cruises“. 

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Ob das gelingt, wird sich zeigen. „Social Distancing ist theoretisch machbar, das erfordert aber eine enorme Disziplin vonseiten der Crew und der Passagiere“, sagt Prof. Papathanassis. „Man fragt sich schon, wie das auf Dauer konsequent durchsetzbar sein kann.“

Kreuzfahrt während Corona: Das Risiko einer unerkannten Infektion

„Aida“ und „Tui Cruises“ wollen nach eigenen Angaben die Temperatur der Gäste vor dem Check-In messen. Eine Maßnahme, die aber nach Ansicht von Experten kaum Schutz bietet: „Fieber messen ist Augenwischerei“, sagt der Mediziner Christian Ottomann, Leiter der Schiffsarztbörse. „Es gibt Infizierte ohne Fieber oder anderweitige Symptome.“

Ottomann hält es für angeraten, am Tag der Einschiffung für alle Passagiere sogenannte PCR-Tests anzubieten, die binnen weniger Stunden ein Ergebnis liefern. Solche Tests bei der Ein- und Ausschiffung finden bei „Aida“ und „Tui Cruises“ derzeit nicht statt, wie die Reedereien bestätigen. Wohl aber können die Tests an Bord vorgenommen werden – „bei Bedarf“, wie etwa „Aida“ erklärt.

Kreuzfahrt während Corona: Was passiert bei einer Infektion?

Reedereien wollen Infizierte schnell nach Hause bringen
Sollte es zu einem bestätigten Fall an Bord kommen, greifen laut den Reedereien detaillierte Notfallpläne. „Falls sich ein Verdachtsfall bestätigen sollte, werden wir den Gast schnellstmöglich an Bord isolieren und zur Weiterbehandlung in ein geeignetes Krankenhaus an Land bringen lassen“, sagt Godja Sönnichsen von „Tui Cruises“. „Egal wo wir unterwegs sind, unsere Gäste werden nicht festsitzen und zwei Wochen auf dem Schiff ausharren müssen.“

Auch „Aida“ betont, man könne bei einem bestätigten Covid-19-Fall schnellstmöglich die medizinische Versorgung und Ausschiffung sowie die Heimreise des Gastes gewährleisten.

Schiffsarzt Ottomann geht für den Fall eines Ausbruchs an Bord davon aus, dass alle Passagiere bei der Rückkehr in den deutschen Hafen auf jeden Fall eine 14-tägige Quarantäne erwartet.

Kreuzfahrt während Corona: Wie kann die Eindämmung an Bord gelingen?

Die Kreuzfahrtbranche habe durchaus viel Erfahrung im Umgang mit Krankheitserregern an Bord und habe die Norovirus-Ausbrüche in den vergangenen Jahren kontinuierlich reduzieren können, sagt Alexis Papathanassis. 

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Die Frage sei aber, wer alles wann im Fall eines Ausbruchs an Bord getestet wird. „Das wird kompliziert“, schätzt der Hochschullehrer. Man müsste Kontaktpersonen identifizieren. „Allerdings kann auch ein Crewmitglied das Virus weitergeben. In den Quartieren der Crew lebt das Personal viel enger zusammen als die zahlenden Gäste in ihren Kabinen. 

Um die Klimaanlagen müssen sich Passagiere keine Sorgen machen. Diese würden ausschließlich mit Frischluft versorgt, betont „Tui Cruises“. Die Abluft aus den Kabinen und öffentlichen Bereichen werde nicht weiterverwendet. Mediziner Ottomann bestätigt das: „Das Belüftungssystem auf Schiffen ist sicher. Man muss keine Angst haben, dass sich ein Virus über die Klimaanlage überträgt.“

Kreuzfahrt während Corona: Ausblick in die Zukunft

„Normalität ist meines Erachtens vorbei. Die klassische Kreuzfahrt steht zur Disposition“, schätzt Alexis Papathanassis. Wenn auf absehbare Zeit eher Kreuzfahrten ohne Landgänge angeboten werden könnten, dann sei die Frage: Wie muss überhaupt so ein Schiff ausgestattet sein? Wie und an wen sollte es vermarktet werden?

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Schiffsarzt Ottomann geht davon aus, dass es frühestens im Januar 2021 wieder so richtig losgehen wird mit Kreuzfahrten – und wie vor der Krise werde es erst wieder sein, „wenn ein Impfstoff da ist. (dpa/aba)

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