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  • Stefanie Wiener von der Organisation „Ghost Diving Germany“ untersucht mit Helfern ein Geisternetz, das aus der Nordsee gezogen wurde.
  • Foto: picture alliance/dpa/Sina Schuldt

Aktion Geisternetze Nordfriesland: Sie tauchen gegen den Plastikmüll

Verloren gegangene Fischernetze treiben durch die Meere, verfangen sich an Wracks oder setzen sich am Boden ab. Diese sogenannten Geisternetze sind eine große Belastung für Tier- und Umwelt. Wie kann das Problem gelöst werden?

An Bord des Kutters „Gebrüder“ muss man sich gut festhalten. Das Schiff schwankt von einer Seite zur anderen. Auf der Nordsee vor den Ostfriesischen Inseln herrscht spürbarer Wellengang. Doch das ist nichts gegen die Bedingungen, unter denen die Taucherinnen und Taucher der Organisation Ghost Diving Germany unter Wasser im Einsatz sind. Ihre Mission: Geisternetze finden. Denn diese sind für die Meeresbewohner und die Umwelt eine große Belastung. Doch die Nordsee macht es den Tauchern nicht leicht.

Taucher bergen Plastikmüll aus der Nordsee

„Man weiß nie, wie es da unten aussieht und was da ist“, sagt Derk Remmers, einer der freiwilligen Taucher der Organisation. Besonders die Sichtweite und die Strömung seien große Herausforderungen beim Tauchgang. Nur innerhalb einer kurzen Zeitspanne sei das Tauchen überhaupt möglich. „Wir müssen die Strömungen abwarten, sonst können sich die Taucher nicht mehr an der richtigen Stelle halten“, erklärt Remmers. Die geübten Taucher auf dem Schiff an diesem Tag sind dennoch zuversichtlich, zumindest einige Netze zu finden.

Derk Remmers von Ghost Diving Germany koordiniert die Abläufe von Bord eines Schnellschiffes. picture alliance/dpa/Sina Schuldt
Taucher suchen nach Geisternetzen in der Nordsee
Derk Remmers von Ghost Diving Germany koordiniert die Abläufe von Bord eines Schnellschiffes.

Etwas Zeit braucht die Suche mitten auf See. Am Wrack eines alten Vorpostenbootes aus dem Zweiten Weltkrieg sollen einige Geisternetze zu finden sein, hatten Voruntersuchungen ergeben. Dann werden die Anker der kleinen Einsatzboote gesetzt, und das erste Team begibt sich in die Tiefen der Nordsee. Rund 20 bis 30 Meter tief will das Team tauchen.

Taucher bereiten sich auf die Suche nach Geisternetzen vor. picture alliance/dpa/Sina Schuldt
Taucher suchen nach Geisternetzen in der Nordsee
Taucher bereiten sich auf die Suche nach Geisternetzen vor.

Geisternetze sind verloren gegangene Fischernetze, die durch das Meer treiben und sich an Wracks verfangen oder am Boden absetzen. Die Landwirtschaftsorganisation der Vereinten Nationen schätzte im Jahr 2016, dass sich rund 640.000 Tonnen Geisternetze in den Weltmeeren befinden, dies sei nur ein Bruchteil des Plastikmülls. Seither hat sich der Eintrag von Plastikmüll Experten zufolge beschleunigt.

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Die Tiefsee gelte als „ultimative Mülltonne der Erde“, sagt der Biologe Lars Gutow vom Alfred-Wegener-Institut (AWI) im Interview der „Deutschen Presse-Agentur“. Geschätzte 150 Millionen Tonnen Kunststoff seien im Meer. Der Wissenschaftler beschäftigt sich mit der Frage, wie Kunststoffabfälle auf die Meeresorganismen und Meereslebensräume wirken. Er unternimmt auch Forschungsfahrten. Mit dem Projekt der Organisation Ghost Diving Germany hat er aber nichts zu tun.


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Die Geisternetze bringen mehrere Probleme mit sich. Fische und andere Meeresbewohner verfangen sich in den Netzen und verenden dort, so Gutow. Dies locke weitere größere Tiere an. Auch Vögel verfangen sich in den Strukturen und werden daran gehindert, wieder an die Wasseroberfläche zu gelangen. Vom Müll im Meer sind viele gefährdete Tierarten wie Meeresschildkröten oder Schweinswale betroffen. Darauf weist auch die Naturschutzorganisation WWF hin.

Ein Netz wird an Bord eines Schnellschiffes gezogen picture alliance/dpa/Sina Schuldt
Taucher suchen nach Geisternetzen in der Nordsee
Ein Netz wird an Bord eines Schnellschiffes gezogen.

Geisternetze lösen sich auf dem Grund nicht auf. „Da können Sie Hunderte von Jahren warten“, sagt Gutow. Bei der Zersetzung und der Bewegung am Meeresgrund reibe sich das Material ab, und es entstehe Mikroplastik, das über Jahrhunderte im Meer erhalten bleibe. „Damit sich Plastik auflöst, braucht es zwei Dinge: warme Temperaturen und eine hohe Luftfeuchtigkeit“, erklärt der Biologe. In der Tiefsee ist es kalt, und es gibt wenig Licht und Sauerstoff. Alternativen für die Fischernetze zu finden, ist Fachleuten zufolge schwierig, denn das Material ist darauf ausgelegt, langlebig und robust im Meer eingesetzt zu werden.

Mehr als 100 Kilogramm Geisternetze in drei Tagen aus der Nordsee gezogen

Zurück auf dem Kutter „Gebrüder“: Vor den Ostfriesischen Inseln, etwa auf der Höhe von Spiekeroog, steigen rote, mit Luft gefüllte Säcke aus dem Meer an die Wasseroberfläche. An denen haben die Taucherinnen und Taucher ihre Ausbeute befestigt und nach oben steigen lassen. Einige Mannschaftsmitglieder ziehen sie aus dem Wasser. Rund 50 Kilogramm Netz bergen die Taucher an diesem Tag. „Das ist ein großer Erfolg“, sagt Stefanie Wiener von der Ghost-Diving-Organisation. „Heute war bisher der beste Tag, es waren gute Tauchbedingungen.“

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In den grünlichen, schleimigen Netzen hatten sich keine weiteren Tiere verfangen, nur einige Krebse, Muscheln und ein Seestern werden später daraus befreit. Innerhalb von drei Tagen hat das Team mehr als 100 Kilogramm Netze aus der Nordsee geholt. Die Aktion wird von „NV-Versicherungen“, dem Unternehmen „bessergrün“, „tauch.versicherung“ und „Ghost Diving Germany“ organisiert.

Die Tauchergruppe der Ghost Diving Germany übergibt ein gefundenes Geisternetz an die Besatzung des Kutters. picture alliance/dpa | Melissa Erichsen
Taucher suchen nach Geisternetzen in der Nordsee
Die Tauchergruppe der Ghost Diving Germany übergibt ein gefundenes Geisternetz an die Besatzung des Kutters.

Das gesamte Meer zu reinigen, sei nicht möglich und auch nicht ratsam, sagt Biologe Gutow vom Alfred-Wegener-Institut. Eine flächendeckende Bergung der Netze würde viele Organismen durcheinander bringen. „Das einzig wirklich Sinnvolle, was wir machen können, ist den Eintrag von Müll in die Ozeane unterbinden“, betont er. Eine punktuelle Bergung, wie bei der Aktion in der Nordsee sei sinnvoll, denn dabei werde nicht übermäßig in die Natur eingegriffen. Notwendig seien aber vor allem die Unterbindung der weiteren Vermüllung in den Ozeanen und die Anpassung der Fischereiaktivität, so dass sich das Ökosystem regenerieren könne.

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Am Ende des Einsatzes sind die Mitglieder und Organisatoren des Projektes „Geisternetze Ostfriesland“ erleichtert und stolz, einen kleinen Beitrag zum Umweltschutz geleistet zu haben. „Das ist ein super Gefühl“, sagt eine Taucherin. „Wir haben heute einiges herausgeholt, sind aber noch lange nicht fertig.“ Vom Kraftaufwand her fühle sich der Tauchgang in der Nordsee ungefähr so an wie „zehn Kilometer bergauf laufen“, sagt ein anderer Taucher. „Doch es macht viel mehr Spaß.“ (dpa/mp)

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