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  • Justizsenatorin Anna Gallina (Grüne) am Mittwochmorgen im Hamburger Rathaus
  • Foto: Imago

Politische Verantwortung? Senatorin Anna Gallina weiß nicht, was das ist

Da wurde ein schwer verhaltensauffälliger Untersuchungshäftling aus dem Gefängnis in Hamburg entlassen, wenige Tage später erstach er mit dem Messer zwei junge Menschen im Regionalzug von Kiel nach Hamburg, zu den beiden Toten kamen noch fünf Verletzte. Das Attentat von Brokstedt liegt jetzt schon drei Wochen zurück. Aber noch immer will niemand die Verantwortung für das Versagen von Politik und Behörden übernehmen und zurücktreten. Im Gegenteil.

Alles nach wie vor unfassbar. Zur Erinnerung: Der 33-Jährige soll sich wenige Monate vor seiner Entlassung aus der Hamburger Untersuchungshaft mit dem Attentäter vom Berliner Breitscheidplatz verglichen und hörbar gesagt haben: „Es gibt nicht nur einen Anis Amri, es gibt mehrere. Ich bin auch einer.“ Trotzdem durfte er gehen und konnte als freier Mann kurz darauf im Regionalzug zustechen.

Gallina lehnte persönliche Konsequenzen umgehend ab

Mitverantwortung, dass so ein offenkundig gefährlicher Mann nicht im Knast gehalten wurde, tragen wahrscheinlich mehrere. Aber Hamburgs grüne Justizsenatorin Anna Gallina muss sich ganz gewiss zurechnen lassen, dass in ihrem Verantwortungsbereich entscheidende Weichen falsch gestellt waren.

Der Autor: Christoph Lütgert war Rundfunk-Korrespondent beim NDR, Erster Reporter beim ARD-Politik-Magazin „Panorama“ und 17 Jahre lang Chefreporter Fernsehen beim NDR. Er schreibt als Gastkommentator für die MOPO. Privat / hfr
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Der Autor: Christoph Lütgert war Rundfunk-Korrespondent beim NDR, Erster Reporter beim ARD-Politik-Magazin „Panorama“ und 17 Jahre lang Chefreporter Fernsehen beim NDR. Lütgert wurde wegen seiner sozialkritischen Reportagen mehrfach mit Preisen ausgezeichnet. Er schreibt regelmäßig als Gastkommentator für die MOPO.

Ganz früh jedoch lehnte sie persönliche Konsequenzen für sich ab.  „Meine Vorstellung von politischer Verantwortung ist es, für Aufklärung zu sorgen und Verbesserungen auf den Weg zu bringen, wo dies nötig ist“, sagte sie in einem Zeitungsinterview. Dabei beeinhaltet „politische Verantwortung“ gerade, dass man als Spitzenpolitikerin auch dann die Konsequenzen zieht, wenn man sich persönlich für unschuldig hält, aber im „Verantwortungsbereich“ entscheidende Fehler gemacht worden waren.

Fall Ibrahim A.: Andere könnte besser für Aufklärung sorgen

Nein, Frau Gallina will offenkundig nicht von den Segnungen und Vorteilen einer Senatorin lassen, sie weiter genießen. Als könnten nicht auch andere – vielleicht sogar besser und unbefangener als sie selbst – „für Aufklärung sorgen und Verbesserungen auf den Weg bringen“.

Und dann noch ihr Foulspiel am Mittwoch kurz vor der Sitzung des Justizausschusses der Bürgerschaft. Da zauberte Gallina ein Paket neuer Sicherheitsmaßnahmen hervor, wollte wohl den Eindruck vermitteln, sie habe alles im Griff. Die beiden Toten von Brokstedt werden davon auch nicht mehr lebendig. Die Mitverantwortung der Senatorin bleibt.

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Anna Gallina ist noch jung. Vielleicht hat sie von dem seinerzeit berühmten deutschen Verteidigungsminister Georg Leber (SPD) noch nie was gehört. Es wäre aber gut, sie würde sich dessen politisches Ende von 1978 mal erzählen lassen.

Sie kann es aber jetzt auch hier nachlesen: Der Militärische Abschirmdienst – dem Verteidigungsminister unterstellt – hatte ohne Lebers Wissen die Sekretärin des Ministers in ihrer Wohnung abgehört. Sie wurde der Spionage für die Stasi der DDR verdächtigt – ein Verdacht, der sich dann als falsch herausstellte. Noch einmal: Minister Leber hatte davon nichts gewusst. Trotzdem trat er gegen den ausdrücklichen Willen seines Bundeskanzlers Helmut Schmidt am 1. Februar 1978 zurück. Als Dienstherr übernahm der damit jene „politische Verantwortung“, von der die Senatorin Anna Gallina jetzt auch sprach – oder soll man sagen: faselte?

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