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Obdachloser wird zum Helden
  • Beim Fatoni-Konzert in Hamburg wurde Hinz&Kunst-Verkäufer Tomasz für einen Moment zum Helden.
  • Foto: Marius Roeer

Bei Konzert in Hamburg: Obdachloser wird zum Helden

Wenn Tomasz durch die Straßen Hamburgs zieht, dann blicken viele Menschen weg. Das Bild des Hinz&Kunzt-Verkäufers mit seinen Zeitungen löst bei vielen Bürgern zwiespältige Gefühle aus. Da ist die Scham darüber, dass es so etwas wie Obdachlosigkeit überhaupt gibt in unserer Gesellschaft. Und da ist die Machtlosigkeit, etwas dagegen tun zu müssen und nicht zu wissen wie. Beim Konzert des Deutsch-Rappers Fatoni am Dienstag siegte das Mitgefühl – und Tomasz wurde für einen Moment zum Helden des Abends.

Das Knust auf St. Pauli am frühen Dienstagabend. Das Konzert des Münchener Rappers Fatoni ist ausverkauft. Wegen Corona findet es draußen auf dem sogenannten Lattenplatz gegenüber der Rindermarkthalle statt. Die Gäste sitzen sorgsam gruppiert an Tischen. Vor sich Gläser, gefüllt mit Bier, Limonade oder Wein.

Rapper Fatoni ruft Zuschauer zum Kauf des Obdachlosen-Magazins auf

Gegen 18.30 Uhr legen Fatoni und sein Partner Edgar Wasser los. Die Stimmung unter den Zuschauern ist fröhlich und entspannt, die Blicke sind nach vorne auf die Bühne gerichtet. Kaum einer beachtet Tomasz, der sich durch die Reihen schlängelt und wie jeden Abend das Magazin Hinz&Kunzt anbietet, von dessen Verkauf er lebt.

Plötzlich zieht Tomasz die Aufmerksamkeit von Fatoni alias Anton Schneider auf sich. Spontan reimt der Rapper auf das, was er vor sich auf dem Lattenplatz sieht: „Ich sehe einen Mann, der verkauft ein Magazin. Nehmt euer Geld und gebt es ihm!“

Welle der Empathie: Konzert-Gäste kaufen Hinz&Kunzt-Vorrat leer

„Es war für mich eine ungewohnte Situation“, erzählt der Rapper im Interview mit der MOPO später. „Normalerweise spiele ich in Konzertsälen. Da gibt es keine Straßenmagazin-Verkäufer.“ Der Künstler, der in Berlin lebt, wo es nach Schätzung von Hilfsorganisationen mehr als drei Mal so viele Obdachlose gibt wie in Hamburg, bekam Mitleid mit Tomasz. „Es war eine ganz spontane Eingebung“, so Fatoni.

Hinz&Kunzt-Verkäufer Tomasz bei seiner täglichen Tour auf St. Pauli. Marius Roeer
Hinz&Kunzt-Verkäufer auf St.Pauli
Hinz&Kunzt-Verkäufer Tomasz bei seiner täglichen Tour auf St. Pauli.

Die Wirkung war enorm: Ein Konzert-Gast nach dem anderen sprang auf, lief zu Tomasz und kaufte ihm eine Hinz&Kunzt ab. Innerhalb von einer Minute waren alle Magazine, die der 43-Jährige im Arm hielt, weg. Hektisch öffnete er seinen Rucksack, um einen neuen Packen herauszuholen. Und auch der war in Sekundenschnelle verkauft. Als Tomasz die Hände zum Zeichen des Ausverkaufs hochhob, gab Fatoni das bekannt. Trotzdem kamen noch Gäste und gaben dem Zeitungsverkäufer eine Spende.

Hinz&Kunzt-Verkäufer zeigt sich überwältigt

„Es war eine große Überraschung für mich“, so der ursprünglich aus Polen stammende, aber schon seit vielen Jahren in Deutschland lebende Tomasz zur MOPO. „Ich habe noch nie so viele Zeitungen auf einen Schlag verkauft!“ Für den 43-Jährigen, der gerade in der Corona-Zeit, als Kneipen und Restaurants geschlossen waren, eine schlimme Durststrecke hinter sich gebracht hat, war dieser Erfolg überwältigend.

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Dankbar kletterte er auf ein Podest und grüßte in die Menge. Mit Fatoni auf der Bühne tauschte er einen Faustgruß aus und überreichte ihm die letzte Hinz&Kunzt-Ausgabe, die ihm noch geblieben war. „Ich wollte mich bei ihm bedanken. Die Zeitung war das einzige Geschenk, was ich hatte.“

Tomasz (43) lebte fünf Jahre auf der Straße. Jetzt hat er ein Zimmer

Auch der Künstler ist Tage nach dem Konzert noch immer froh. „Ich hab mich sehr gefreut, dass meine Worte so viel Mitgefühl bewirkt haben“, sagt er und fügt nachdenklich hinzu: „Es ist schon krass, dass man auf der Bühne so eine Macht hat.“

Die Hinz&Kunzt-Ausgabe ist mit Fatoni weitergereist. „Als Lektüre für die Tour“, wie der Künstler sagt. Tomasz, der am Dienstag früh Feierabend machen konnte, zog am nächsten Tag wie immer durch die Straßen St. Paulis. Mit dem Geld, das er dabei verdient, kann er sich inzwischen ein Zimmer leisten. Den Alkohol, der ihn nach einem Liebes-Aus aus seinem Job in die Obdachlosigkeit getrieben hatte, rührt er seit sieben Jahren nicht mehr an.

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