• Fritz Ahrens vom Pyrate Style kritisiert das Projekt „Autofreier Jungfernstieg" scharf.
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„Es ist aussichtslos“: Wie der Lockdown Hamburgs Einzelhandel trifft

Dichtes Gedränge in der Hamburger Innenstadt: Trotz Corona waren am vergangenen Wochenende viele Menschen in den Geschäften unterwegs, um Weihnachtseinkäufe zu erledigen und Rabattaktionen auszunutzen. Doch der Schein trügt: Der zweite Lockdown trifft den Einzelhandel stärker als befürchtet. Was sagen Händler von Traditionsgeschäften und welche Lösungsansätze gibt es, um die Geschäfte zu retten?

Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) hat die Rettung des Einzelhandels als „patriotische Aufgabe“ bezeichnet. Mit mehr verkaufsoffenen Sonntagen im nächsten Jahr will er die Umsatzausfälle aus diesem Jahr wieder aufholen. „Ich möchte nicht in einer Stadt leben, in der es nur noch Geschäfte großer Ketten gibt“, sagte er in einem „Bild“-Interview. 

Hamburg: Wie der Lockdown Hamburgs Einzelhandel trifft

Damit das weiterhin möglich bleibt, muss allerdings mehr getan werden, als verkaufsoffene Sonntage zu ermöglichen. Denn: Der zweite Shutdown im November trifft die Branche, die ohnehin schon unter Druck steht, härter als erwartet. Laut einer Studie des Nürnberger Marktforschers GfK ist das Konsumklima im November auf minus 3,2 Punkte gefallen und soll im Dezember sogar auf minus 6,7 Punkte fallen. Der Konsumklimaindex basiert auf Befragungen von 2000 Verbrauchern im Zeitraum vom 5. bis 16. November.

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Doch was bedeuten diese Zahlen konkret? „Zwar bleiben die Einzelhandelsgeschäfte geöffnet, doch die erneute Schließung von Hotellerie, Gastronomie und Veranstaltungsgewerbe treffen das Konsumklima schwer“ erklärt Rolf Bürkl, GfK Konsumexperte. Damit hätten sich die Hoffnungen auf eine rasche Erholung, die noch im Frühsommer aufkamen, endgültig zerschlagen. Der weitere Verlauf des Infektionsgeschehens werde maßgeblich darüber bestimmen, ob sich das Konsumklima stabilisieren kann.

Ladeninhaberin Lienau in Hamburg: „Mit Online-Handel können wir nicht mithalten“

Traditionsgeschäfte wie der Spielzeugladen Lienau leben vor allem von ihrer Stammkundschaft. „Darauf sind wir angewiesen“, sagt die heutige Inhaberin Christine Lienau. „Der Online-Handel macht so viel kaputt und drückt die Preise – es ist aussichtslos, mitzuhalten. Da kann ich den Laden gleich zumachen“, sagt die 48-Jährige.

Christine Lienau (48) ist Inhaberin des Spielzeugladens Lienau am Eppendorfer Baum in Harvestehude.

Christine Lienau (48) ist Inhaberin des Spielzeugladens Lienau am Eppendorfer Baum in Harvestehude. 

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Daher setzt der Familienbetrieb, der schon seit 1926 besteht, auf Kundenkontakt und Beratung. Auch während des zweiten Lockdowns unterstützen viele Kunden weiterhin das Geschäft, statt bei Großhändlern online zu kaufen. „Außerdem suchen Eltern gerade jetzt Beschäftigungen für ihre Kinder, auch viele Gesellschaftsspiele und Puzzles werden gekauft“, so Lienau.

Hamburg: Maßschneider kritisiert Konzept von autofreien Innenstädten

Fritz Ahrens betreibt seine Leder-Maßschneiderei „Pyrate-Style“ bereits seit 1984. Trotz Öffnung des Geschäfts hätte sich der Umsatz halbiert. Der Kundenrückgang sei auch psychisch belastend. „Wenn man endlose Stunden in der Tristesse einer verwaisten Innenstadt verbringt, geht das aufs Gemüt“, so Ahrens. Zwar biete er einen Online-Shop mit fertigen Artikeln und Kundenbesuche in Ladennähe, doch das würde den Kundenschwund vor Ort nicht auffangen. Am Ende würden nur die großen Online-Händler profitieren. „Jeff Bezos hat seine reine Freude an diesen Maßnahmen“, verweist Ahrens auf den allmächtigen Amazon-Boss.

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Der Ladenbetreiber kritisiert Projekte wie den „autofreien Jungfernstieg“ scharf. „Die Politik müsste sich von der irrigen Annahme befreien, dass eine autofreie Innenstadt klassische Shopping-Kunden vermehrt anlockt“, sagt er. Die Sperrung des Jungfernstiegs tue ihr Übriges, um die kaufkräftige ältere Kundschaft aus Hamburgs Speckgürtel fernzuhalten. Ein Fan der neuen Gestaltung ist er auch nicht. „Das neue Erscheinungsbild des Jungfernstiegs wirkt wie ein Gestaltungswettbewerb von Gartenbau-Azubis! Eine Lachnummer für eine Weltstadt.“ 

Kamerahändler: „Was wir können, kann kein Online-Händler bieten“

Martin Meister von Meister Camera in Hamburg und zwei weiteren Läden in Berlin und München ist Einzelhändler in der vierten Generation. Sein Sohn lernt derzeit in dem Familienbetrieb, der 1888 als Drogerie gegründet wurde und erst später eine Fotoabteilung bekam, ehe diese 2002 ausgegliedert wurde. Das heutige Konzept: Hochwertiges Fotoequipment, konkurrenzfähige Preise und fachkundige Beratung. Auch ein Online-Shop und Sammlerstücke sorgen für hohe Kundenbindung, sagt er. 

Hier: Martin Meister (55) von Meister Camera in der Großen Theaterstraße 35 (Neustadt).

So leidet der Einzelhandel unter Corona, autofrei und Amazon: Hier: Martin Meister (55) von Meister Camera in der Großen Theaterstraße 35 (Neustadt). 

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Trotzdem sieht Meister in Online-Riesen wie Amazon eine Gefahr. „Diejenigen, die im freien Unternehmertum Personal ausbilden, Fachwissen vermitteln und Einkaufserlebnisse schaffen und wie ich mit eigenem Vermögen haften, werden so aussterben. Aber was passiert, wenn dann die Kamera mal kaputt ist?“, so der 55-Jährige. Problemlösung vor Ort und Beratung für bessere Fotos könne kein Online-Riese je bieten.

Initiatorin kämpft im Lockdown für Hamburgs Einzelhandel

Um den Einzelhandel zu unterstützen, initiierte Mirjam Müller im April aus der Not heraus die Plattform wir-liefern.org. Dort können sich Händler aus Deutschland kostenlos eintragen, die ein Lieferangebot haben. Mit der „virtuellen Fußgängerzone“ will Müller lokale Geschäfte dabei unterstützen, sich gegen die Online-Riesen durchzusetzen. Für die Initiatorin ist klar, wo der Trend hingeht. „In der Krise zeigt sich, dass die meisten Leute bestellen – und dass sie anschließend in den stationären Handel zurückkommen, wage ich zu bezweifeln“, sagt die Hamburgerin.

Mirjam Müller initiierte die Plattform „wir-liefern.org“, um lokale Händler zu unterstützen.

Mirjam Müller initiierte die Plattform „wir-liefern.org“, um lokale Händler zu unterstützen. 

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Im Lockdown stehe der Einzelhandel vor weiteren Problemen. „Die gemütliche Bummel-Stimmung fehlt total: Mit Maske und Warteschlangen ist das ja ein ganz anderes Einkaufserlebnis.“ Daher sei der Einzelhandel mittelfristig gut beraten, auch online präsent zu sein.

Hamburg: Acht-Punkte-Plan soll Innenstadt retten

Um die Geschäfte zu retten, hat der Wirtschaftsrat der CDU einen Acht-Punkte-Plan vorgeschlagen. Dieser beinhaltet konkrete Pläne, wie den Geschäften Hilfe zur Selbsthilfe gegeben werden könnte. Dazu zählen unter anderem eine Ausweitung der Novemberhilfen sowie die langfristige Schaffung fairer Wettbewerbsbedingungen. Dr. Henneke Lütgerath, Landesvorsitzender des Wirtschaftsrates Hamburg, ist besorgt: „Wenn wir jetzt nichts tun, werden viele vor allem mittelständische Händler die Corona-Pandemie nicht überleben.“

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