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Brennpunkt Hauptbahnhof: Reporter waren an einem Freitagabend vor Ort. Hier: Ein Krankenwagen steht am Südeingang des Hauptbahnhof.
  • Brennpunkt Hauptbahnhof: Reporter waren an einem Freitagabend vor Ort. Hier: Ein Krankenwagen steht am Südeingang.
  • Foto: dpa/Georg Wendt

Brennpunkt Hauptbahnhof: „Was glauben Sie, wer hier alles rumlungert!”

Die meisten Menschen am Hamburger Hauptbahnhof haben ein Ziel, das sie mit der Bahn erreichen wollen. Andere sind dort gestrandet und brauchen Geld zum Überleben oder für Alkohol und Drogen. Bettelei und die Angst vor Kriminalität verunsichern Reisende.

Zwischen dem Hamburger Hauptbahnhof und dem Zentral-Omnibus-Bahnhof (ZOB) stehen am Freitagabend zwei ältere Frauen mit ihren Koffern und fühlen sich unwohl. „Abends ist es hier nicht so schön”, sagt eine von beiden, die 80 Jahre alt ist. „Was glauben Sie, wer hier alles rumlungert!” In einem nahen Schnellrestaurant haben die Rentnerinnen aus Glinde im benachbarten Schleswig-Holstein gesehen, wie eine junge Drogensüchtige ihr Spritzbesteck rausholte. Die vorbeifahrenden Polizeiautos beruhigen die Seniorinnen etwas. Sie sind von einem Besuch in Leipzig zurückgekehrt und warten nun auf den Ehemann der Jüngeren (66), der sie mit dem Auto abholen will. „Es war schon mal schlimmer”, meinen sie zur Sicherheitslage an dem Verkehrsknotenpunkt.

Hamburg Hauptbahnhof: Kriminalität seit dem Ende von Corona wieder gestiegen

Seit dem Ende der Corona-Pandemie hat die Gewaltkriminalität in Hamburg deutlich zugenommen. Im ersten Halbjahr 2023 wurden nach Angaben der Innenbehörde 4078 Taten erfasst. Im Vorjahreszeitraum waren es 3455. Das bedeutet einen Anstieg um 18 Prozent. Der Hauptbahnhof gilt als Brennpunkt. In jüngster Zeit hat die Polizei bei zwei Schwerpunkteinsätzen Dutzende Aufenthaltsverbote ausgesprochen und Strafanzeigen gestellt. Ab 1. Oktober soll es eine permanente Waffenverbotszone geben.

Blick in die Wandelhalle im Hauptbahnhof. dpa/Georg Wendt
Blick in die Wandelhalle im Hauptbahnhof.
Blick in die Wandelhalle im Hauptbahnhof.

Der Bahnhof und seine unmittelbare Umgebung sind auch in sozialer Hinsicht ein Hotspot. Etwa 200 Meter von den beiden wartenden Rentnerinnen entfernt, hinter dem Museum für Kunst und Gewerbe und der viel befahrenen Kurt-Schumacher-Allee, befindet sich das Drob Inn. Vor der Drogeneinrichtung, wo Rauschgift legal konsumiert werden darf, lagern an diesem Sommerabend nach Einbruch der Dunkelheit noch mehrere Hundert Menschen auf einer Wiese. Dazwischen sind Polizisten im Einsatz, zwei Rettungswagen fahren mit Blaulicht davon.

Hamburg: So sehen Besucher die Lage

Auch am Zaun des Busbahnhofs lagern mehrere Männer zwischen weggeworfenem Müll auf einer Grünfläche. Am Zugang zu den Busbahnsteigen streitet sich eine junge Frau in kurzem Rock lautstark mit einem Mann und läuft davon. Duje Plazibat aus der kroatischen Stadt Split sitzt derweil seelenruhig auf einer Bank, und zwar seit fünf Stunden, wie er sagt. Der Lüftungsmonteur hat mehrere große Taschen mit Bohrmaschinen und Werkzeug dabei. Darum hat ihn der Fahrer eines Busses nach Mannheim, seinem nächsten Arbeitsort, nicht mitnehmen wollen.

Duje Plazibat, Monteur aus Kroatien, steht an einer Bushaltestelle im ZOB. dpa/Georg Wendt
Duje Plazibat, Monteur aus Kroatien, steht an einer Bushaltestelle im ZOB.
Duje Plazibat, Monteur aus Kroatien, steht an einer Bushaltestelle im ZOB.

Ob er sich an diesem Ort sicher fühle? Der 30-Jährige bejaht die Frage. Seine Arbeit habe ihn schon in den Schwarzwald, nach München und Frankfurt geführt. Aber: „Hamburg is the best”, sagt er auf Englisch. Die Stadt sei sehr schön und lebendig, die Leute sehr offen. Allerdings traut er sich seit Stunden nicht auf die Toilette, weil er Angst um sein Gepäck hat. Er habe gerade beobachtet, wie einem anderen Mann beinahe eine Tasche gestohlen wurde.

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Dass der Hauptbahnhof ein Problem mit der Kriminalität hat, ist einer Schweizer Familie, die auf dem Heimweg von einem Urlaub auf der Nordseeinsel Juist in Hamburg umsteigt, nicht bewusst. „Der Bahnhof ist sicher genug”, sagt der Vater, der mit seiner Frau – beide um die 40 – und den Söhnen im Alter von vier und sechs Jahren auf den Nachtzug nach Zürich wartet. Es gebe hier mehr Obdachlose und Bettler als in der Schweiz, sagt der Luzerner, fügt aber hinzu: „Ich fühle mich nicht bedroht.”

Hamburg: Hier treffen sich Obdachlose und Alkoholiker

Auf der Rückseite des Bahnhofs zur Kirchenallee herrscht Gedränge an den Eingängen. Viele jüngere Leute sind in Partystimmung, Reisende mit Gepäck gehen zielstrebig durch die Menge. An einigen Ecken in Richtung Ohnsorg-Theater riecht es nach Urin, obwohl auf dem Vorplatz neue Toiletten stehen. Ein älterer Bettler, mit gebeugtem Rücken, ärmlich gekleidet, bittet mit einem Pappbecher um Geld.

Ein Ehepaar aus Luzern, Schweiz, stehen mit ihren beiden Kindern auf dem Bahnsteig 14 im Hauptbahnhof und warten auf den Nachtzug nach Zürich. dpa/Georg Wendt
Ein Ehepaar aus Luzern, Schweiz, stehen mit ihren beiden Kindern auf dem Bahnsteig 14 im Hauptbahnhof und warten auf den Nachtzug nach Zürich.
Ein Ehepaar aus Luzern, Schweiz, stehen mit ihren beiden Kindern auf dem Bahnsteig 14 im Hauptbahnhof und warten auf den Nachtzug nach Zürich.

Für Obdachlose und Alkoholiker ist die Umgebung des Bahnhofs ein Treffpunkt. Die Innenbehörde plant darum zum Frühjahr kommenden Jahres ein Alkoholkonsumverbot auf dem Hachmann- und Heidi-Kabel-Platz. Die Menschen würden dadurch aber nicht verschwinden, glaubt die Co-Vorsitzende der Grünen-Fraktion in der Bürgerschaft, Jenny Jasberg. Sie hat darum kürzlich in einem NDR-Interview vorgeschlagen, für die Suchtkranken Trinkerräume einzurichten. Hilfsangebote gibt es bereits bei der Bahnhofsmission, die seit Ende Januar über ein neues Gebäude verfügt. Der 400 Quadratmeter große Bau bietet Obdachlosen auch Tagesaufenthaltsräume und Übernachtungsmöglichkeiten an.

Auf einem unterirdischen S-Bahn-Gleis steht eine junge Hamburgerin aus dem Stadtteil Eimsbüttel, die zusammen mit ihrer jüngeren Schwester und ihrer Mutter auf einen Zug wartet. „Ich fühle hier mich nicht belästigt”, sagt die 20-Jährige. Außerhalb des Bahnhofs allerdings schon. Ihre 14 Jahre alte Schwester hat „ein bisschen komisches Gefühl”. Allein würde sie hier nicht unterwegs sein, allenfalls in einer Gruppe mit Freunden. Die Mutter erklärt, unter welcher Bedingung ihre minderjährige Tochter unterwegs sein darf: „Nur wenn sie GPS anhat und ich sie über ihr Handy orten kann.”

Brennpunkt Haupbahnhof: Das soll jetzt helfen

Im März haben die Hamburger Polizei, die Bundespolizei, die DB-Sicherheit und die Hochbahnwache die „Allianz sicherer Hauptbahnhof” gegründet. Seitdem gibt es gemeinsame Streifen der vier Sicherheitspartner. Die Allianz offenbart zugleich ein Problem: Im Hauptbahnhof, der täglich von mehr als einer halben Million Reisenden genutzt wird, überschneiden sich die Kompetenzen von Bundes- und Landespolizei.

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Die beiden Behörden erfassen die Straftaten nach unterschiedlichen Kriterien. Laut Bundespolizei gehört der Hamburger Hauptbahnhof zu den gefährlichsten Bahnhöfen in Deutschland. Im vergangenen Jahr lag er im Bereich der Gewalt- und Eigentumsdelikte auf Rang 1. Das ergab eine Ende Februar veröffentlichte Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage der AfD-Fraktion. Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) sagte im Juli, es sei klar, dass es an dem Verkehrsknotenpunkt zu viel Kriminalität gebe, fügte aber hinzu: „Ob man sagen kann, der Hauptbahnhof ist der gefährlichste Bahnhof Deutschlands – da würde ich mal ein Fragezeichen hinter machen.”

Die CDU-Bürgerschaftsfraktion fordert nun einen regelmäßigen Sicherheitsbericht für Hamburg. Nach dem Vorbild von Sachsen und Bremen sollten die Behörden die verschiedene Datensammlungen zusammenführen und mit Unterstützung von Wissenschaftlern und zivilgesellschaftlichen Organisationen analysieren. „Die Kenntnis der tatsächlichen Sicherheitslage und die Wahrnehmung des Sicherheitsgefühls durch die Bevölkerung sind erforderlich, um (…) dort anzusetzen, wo Handlungsbedarf tatsächlich besteht”, heißt es in dem Oppositionsantrag.

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