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Interview mit Udo Lindenberg: „Konzerte sind wie ’ne Droge für mich“

Udo Lindenberg (73) gibt es ab Donnerstag auch im Kino. Das Biopic „Lindenberg! Mach dein Ding“ von Regisseurin Hermine Huntgeburth erzählt, wie aus dem rhythmusbegabten Klempnersohn aus der westfälischen Provinz allen Widrigkeiten zum Trotz einer der bekanntesten Musiker Deutschlands wurde. Jede Menge Sex, Drugs & Rock ’n’ Roll auf St. Pauli inklusive. Denn erst als Udo 1968 nach Hamburg kam, nahm seine Rockstarkarriere Fahrt auf.

Im MOPO-Interview im Hotel Atlantic, wo der Panikpräsident seit Mitte der 90er residiert, erklärt Udo, warum er seinem Vater vergeben hat und welchen Einfluss die Hamburger Schwulenszene auf seine Rockstarwerdung hatte.

MOPO: Herr Lindenberg, der Transvestit Butterfly, gespielt von Tim Fischer, gibt Ihnen im Film den entscheidenden Rat: „Erfinde dich neu! Zeig deine Seele.“ War das damals tatsächlich so, dass Sie von der Hamburger Schwulen-Szene inspiriert wurden?

Udo Lindenberg: Schon. Ich hatte immer David Bowie im Ohr. Der hat sich zu der Zeit auch neu erfunden als Ziggy Stardust. Und auf dem Kiez war das eben auch so in der Queer- und Transenszene im Pulverfass am Hauptbahnhof. Solche Läden gab es auch auf dem Kiez. Da hing ich viel rum. Die sind auch oft mitgekommen mit uns auf Tournee.

Was haben Sie sich bei ihnen abgeguckt?

Sie haben mir die Schminke ins Gesicht gemalt, mir gezeigt, wie man das macht mit den größeren Augen. Wie du noch ’ne Ecke schärfer aussiehst. Das haben die ja total drauf. Es gab damals auch die deutschen Bands, die in Jute, Sack und Lumpen auftraten, es gab ja gar keine richtige deutsche Rockglamourband. Ich hab’ mir dann gleich Gamaschen angelegt, den weißen Frack übergestülpt und richtig auf Showtime gemacht.

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Sie waren auch so androgyn wie David Bowie.

Bowie und die ganze Abteilung waren ein großer Einfluss. Wenn Bowie auf der Bühne seinen Gitarristen Mick Ronson küsste, hatte das Botschaft. Es ist ganz egal, ob du ein Junge oder ein Mädchen bist – das hatte ich auf meiner ersten Platte schon drauf, im Song „Ganz egal“.

Immer äußerst cool: Udo Lindenberg (73).

Immer äußerst cool: Udo Lindenberg (73).

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picture alliance/dpa

Ihrem Vater Gustav war das nicht egal: „Du siehst aus wie ein Mädchen“, schimpfte er.

Mich hat das nicht gestört. Ihn aber schon, mit der Matte und so. Es war eine unheimliche Umstellung für Leute, die das überhaupt nicht kannten, dass plötzlich junge hübsche Männer mit langen Haaren um die Ecke kamen.

Aber die Frauen standen drauf?

Klar, die fanden das gut. Da konnte ich mich nicht beklagen.

Stimmt es, dass Sie anfangs auch in Puffs getrommelt haben?

Das ist auch mal passiert. Ich war in Hamburg ja neu. Ich war Trommler, ich wollte Knete zum Überleben. Ich spielte in Jazzbands und Dance-Bands in der ersten Zeit. Auch in Stripläden. Da wurde dann hinten mal ’ne Runde gepoppt, aber das machte ja auch nichts.

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War das für den Jungen aus Gronau nicht ein Kulturschock?

Ich hatte das vorher auch schon mal gesehen. Ich bin ja eine schnelle Spürnase und hab’ auf dem Kiez schnell gecheckt, was da Sache ist.

Sind die Prügeleien mit den Luden tatsächlich vorgekommen?

Ja, so kleine Raufereien, es gab schon mal Differenzen. Ich bin nun mal Feminist. Wenn eine Frau scheiße behandelt wird, musste ich ihr zur Seite stehen. Ein Macho war ich ja nie. Meine Mutter Hermine hat mir da so eine feine Sensibilität mitgegeben.

„Die Nazis haben uns die Sprache genommen“, heißt es in einer Szene.

Viele der großen Schreiber wurden entweder in KZs ermordet oder aus Deutschland verjagt: der Brecht, Friedrich Hollaender, Marlene Dietrich, Thomas Mann …

Warum wollten Sie trotzdem deutsch singen?

Das kam bisschen später. Wir sind ja erst mal aufgewachsen mit Jazz und Rock ’n’ Roll, mit englischen Rockbands wie Queen, den Stones und den Beatles. Ich wollte ja, wenn es geht, Weltstar werden. Deshalb hab’ ich gedacht: Mach’s lieber in der internationalen Sprache. Bis ich dann merkte: Englisch ist nicht meine Sprache, da kann ich viele Sachen nicht so rüberbringen wie auf Deutsch.

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Dann sind Sie umgeschwenkt.

Ich war ein Glückspilz, zur richtigen Zeit und in der richtigen Gegend: Auf dem Kiez auf St. Pauli sprossen die Sprachblüten. Szenensprache, Wortkreationen, Wortjonglage, mit Slogans auf Graffitiwänden und dergleichen. Und ich dachte: Wenn man so was noch singt, wie geil muss das rüberkommen? Das kam dann ja auch wirklich gigantisch gut rüber. Ich hab’ dann auch gleich den ersten Rockstar gemacht, denn Deutschland hatte ja noch keinen richtigen Rockstar. Einer muss den Job ja machen.

Haben Sie wirklich „Niemals dran gezweifelt“, dass Sie das nächste große Ding werden – wie es auf der Single zum Soundtrack heißt?

Im Film gibt es diese eine Szene, wo die Versagensangst ihn plötzlich überkommt, kurz vorm Auftritt in der Garderobe in der Musikhalle (der heutigen Laeiszhalle, Anm. d. Red.). Das sind Momente, die es schon mal gibt und auch gab. Aber die waren eher selten. Es gab ja auch keinen Plan B, was soll ich also machen: Zurück nach Gronau an die Donau? Als Trommler oder Sänger kannst du da nichts werden. Also: Du musst es machen. Das war das bestimmte Gefühl in mir. Ich krieg’ das hin.

Das Verhältnis zu Ihrem alkoholkranken Vater war schwierig. Hätten Sie sich gewünscht, dass Ihr Vater noch mitbekommen hätte, dass aus den Lindenbergs doch was werden kann?

Die Erfolge als Schlagzeuger hat er noch miterlebt. Als ich mit Doldinger gespielt habe, Passport und die „Tatort“-Melodie eingetrommelt habe. Die Rockstar-Nummer hat er nur von oben durch die Wolken mitgekriegt. Aber meine Mama war dabei bis 1979. Man sieht im Film, wie ich sie mit dem Riesenflitzer abhole auf einen Eierlikör und Piccolöchen. Sehr, sehr schön. Das war mir auch so wichtig, dass es so gelaufen ist.

Ein Happy End.

Ich hatte schon als kleiner Junge Kinobilder im Kopf: Der westfälische amerikanische Traum – vom Aschenbecherputzer zum Millionär. Man geht gnadenlos seinen Weg, aber immer charmant. Man hat keine Chance, aber nutzt sie trotzdem. Die Widrigkeiten sind dazu da, dass man sie überwindet. Konsequenz hat einen Namen, der fängt mit U wie Udo an – den Spruch hab’ ich damals schon im Kopf gehabt.

„Ein Star ist reich, kriegt jede Frau und kann machen, was er will“, ist die Vorstellung des Jungspunds Udo. Woraufhin der Plattenfirmenboss Mattheisen, gespielt von Detlev Buck, antwortet: „Ein Star ist allein, gehört allen und ist abhängig von der Launen des Publikums.“ Wo liegt für Sie nach fast 50 Jahren Rockstarsein die Wahrheit?

Bei mir trifft das Erste zu. Auf jeden Fall. Ich bin nicht abhängig. Ich bin total autark. Allein bin ich auch nicht, ich hab’ meine ganze Panikfamilie immer bei mir. Und so hab’ ich es immer gehalten und gesagt: „Ich mache meinen Streifen, mache meine Musik, gehe meinen Weg.“ Ein bisschen Größenknall gehört dazu, aber immer gepaart mit Charmanz. Und mit Rolle rückwärts und coole Socke. So muss man auch sein für diese Art von Riesenshows, die ich mache und bei denen ich durchs Stadion fliege.

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Werden Sie auf der anstehenden Tour auch Lieder vom Soundtrack einbauen?

Ich kann mir gut vorstellen, dass Jan (Bülow, Udo-Darsteller im Film, Anm. d. Red.) mit auf die Bühne kommt, dass wir zusammen mal einen singen. Das Konzept steht noch nicht so ganz. Das ist oft so bei einem Abenteurer, der ist nicht so festgelegt. Der fährt los, und dann mal gucken, wo es langgeht.

Coldplay wollen nicht mehr auf Tournee gehen, solange sie keine CO2-freundliche Lösung gefunden haben. Ist das übertrieben?

Das ist diese neue Sensibilität, die es für die ganzen Umweltfragen gibt. Green Energy und Recycling sind wichtig. Einen Schritt zurück ins Mittelalter brauchen wir aber auch nicht. Wir müssen damit leben und brauchen jetzt schnelle Erfindungen. Nicht nur Coldplay, wir auch! Für unsere großen Shows, damit wir das irgendwie energieverträglich über die Bühne bringen. Unsere Experten sind da auch am Checken.

Was muss passieren?

Hier und da muss es völlig neue Wege geben. Wir brauchen Erfinder! Keine Konzerte mehr machen, das geht ja nicht. Die Leute können ja nicht ohne ihr Udopium leben. Das steht ihnen auch zu, die brauchen ja ihre Drogen. Und ich brauche sie auch. Konzerte sind wie ein Rausch, wie ’ne Sucht, wie ’ne Droge für mich.

Kino: ab 16.1., 135 Min., ab 12 J.; der Soundtrack ist bereits bei Warner Music erschienen.

Konzerte: 21./22. Mai, Sparkassen-Arena Kiel, 59-109 Euro

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