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  • Domenica mit Wolfgang Köhler, genannt „Wolli In­di­en­fah­rer“. Der Sachse war Puff­be­sit­zer, Marxist und Ge­schich­ten­er­zäh­ler.
  • Foto: Günter Zint

Eine Hamburger Legende: Domenica — Königin der Herbertstraße

Es gibt nicht viele Menschen, bei denen es reicht, den Vornamen zu nennen, damit jeder weiß, wer gemeint ist. Domenica war so jemand. Dass sie auch noch Niehoff hieß, war nur den wenigsten bekannt. Wo sie erschien mit ihrem gegelten zurückgekämmten Haar, ihrem genauso melancholischen wie strengen Gesichtsausdruck, war für Sekundenbruchteile Ruhe im Raum. Schon von Weitem war ihre Stimme zu vernehmen – so rau wie das Leben auf St. Pauli. Wenn sie lachte, wackelten die Wände, und ihre Lunge rasselte von den vielen, vielen Zigaretten, die sie sich täglich in den Mundwinkel steckte. Wer sie kannte, weiß, was für ein großes Herz sie hatte. Sie hörte jedermann zu, egal ob Penner oder Elbchaussee. Aber auch ihr Zorn konnte jedermann treffen. Kam ihr jemand dumm, dann konnte sie ganz schön austeilen.

Zehn Jahre sind vergangen, seit die berühmteste Hure Deutschlands starb – vordergründig an den Folgen ihrer chronischen Bronchitis. Aber eigentlich, weil sie ihr Leben zu intensiv gelebt hat. Und auf so ungesunde Weise, dass es ein Wunder ist, dass sie überhaupt 63 Jahre alt wurde.

Domenica wusste ihre Reize geschickt einzusetzen.

Domenica wusste ihre Reize geschickt einzusetzen. 

Foto:

Privat hfr

Als die ungekrönte Königin vom Kiez starb, schlossen sich mehr als 1000 Menschen dem Trauerzug an, der quer durch St. Pauli führte. In der Herbertstraße, der Straße mit der roten Sichtblende, die für weibliche Besucher sonst verboten ist, saßen an diesem Tag keine Huren im Schaufenster, um ihre Dienste anzubieten. Alle beteiligten sich an der Gedenkminute für Domenica. „Ein kleines Staatsbegräbnis“, wie Tania Kibermanis, Autorin und Nachbarin Domenicas, in einem Nachruf schrieb.

Hamburger Prostituierte Domenica: Ihr Vater war Italiener

Geboren wird Domenica Anita Niehoff am 3. August 1945 in Köln. Ihr Vater Angelo ist einer der ersten italienischen Gastarbeiter in der Rheinmetropole und betreibt ein kleines Eiscafé. Er ist ein gewalttätiger Mann, so dass Domenicas Mutter Anna sich von ihm 1949 trennt. Die Mutter ist spielsüchtig, wird immer wieder wegen kleinerer Betrügereien und Hehlerei verhaftet, während Domenica und ihre Geschwister Amando und Angelina im katholischen Waisenhaus zu den „Schwestern vom armen Kinde Jesus“ groß werden.

Erst 1958 nimmt die Mutter die Kinder wieder zu sich. Sie hat inzwischen neu geheiratet und arbeitet als Textilvertreterin. Aber weil sie beruflich viel unterwegs ist, sind die Kleinen oft sich alleine überlassen. Domenica erinnert sich später daran, wie sie mit 14 von der Mutter beim ersten Kuss erwischt wurde: „Sie schlug mich und schrie: ,Hure! Hure!‘“ Das erste Mal Sex hat sie mit 15 oder 16. „Ich hab’ da nichts Tolles bei gefühlt, ich hab’ überhaupt nichts gefühlt beim ersten Mal.“

Domenica und Wolli

Domenica mit Wolfgang Köhler, genannt „Wolli In­di­en­fah­rer“. Der Sachse war Puff­be­sit­zer, Marxist und Ge­schich­ten­er­zäh­ler.

Foto:

Günter Zint

1961 beginnt Domenica eine Lehre als Buchhalterin, bricht die Ausbildung allerdings ab, als sie mit 17 beim Kölner Karneval den 42-jährigen Kuno kennenlernt, einen Bordellbesitzer. „Der war ein großer, gut aussehender Mann und sehr reich“, so Domenica. Sie geht von da an keiner Arbeit mehr nach, lebt von dem Geld ihres Lovers, der tablettenabhängig ist und auch Domenica Medikamente gibt. Die Beziehung endet nach zehn Jahren traumatisch mit dem Selbstmord des an Depressionen leidenden Mannes: 1972 erschießt sich Kuno in der gemeinsamen Wohnung. „Als der Kuno tot war, wusste ich nur eins: Ich wollte nicht als Tippse in irgendein Büro, für sechzehnhundert brutto. Ich wollte Geld verdienen, und zwar genauso viel wie ich vorher hatte. Ich war ja jeden Luxus gewohnt: Pelze, teuren Schmuck, Champagner.“ Domenica geht deshalb nach München und heuert in einem Bordell als Prostituierte an.

Domenica verliebt sich in einen Bordellbesitzer

1973 verliebt sie sich erneut auf dem Kölner Karneval – und zwar in den verheirateten Bordellbesitzer Hanne Kleine, der das Hamburger Szene-Lokal „Die Ritze“ betreibt. Domenica arbeitet für ihn im Bordell „Palais d’Amour“, in dem Hanne Kleine eine Etage besitzt. „Der hat mich eiskalt als Geldmaschine gesehen“, so Domenica später. Die Beziehung endet im Unfrieden.

Um sich von ihm unabhängig zu machen, mietet sie 1980 ein eigenes Domina-Studio in der Herbertstraße an. Die Männer lieben es, sich der gestrengen Domenica zu unterwerfen. Züchtigungen allerdings nimmt sie nie selbst vor. „Sie hatte immer Helferinnen, sogenannte Sklavinnen, im Haus, die mussten dann die Peitsche schwingen, wenn der Gast es wünschte“, so Günter Zint, der Hamburger Kult-Fotograf, der einer ihrer engsten Freunde war.

Domenica und Hella von Sinnen

Domenica und TV-Ulknudel Hella von Sinnen. 

Foto:

privat hfr

In den 80er Jahren avanciert Domenica zum gefragten Medienstar. Sie ist die erste deutsche Prostituierte, die sich in der Öffentlichkeit outet und für die Legalisierung ihres Berufsstandes eintritt. Sie tritt im Fernsehen auf, wird zu Talkshows eingeladen, gibt Interviews, schreibt ihre Autobiografie. Viele Prominente gehen bei ihr ein und aus und lassen sich mit ihr fotografieren. Darunter sind Gloria von Thurn und Taxis, Udo Lindenberg und Katharina Thalbach, aber auch Alice Schwarzer, Horst Janssen, Heidi Kabel oder Hella von Sinnen.

Prominente lieben die Prostituierte aus Hamburg

Über Monate wohnt der Zeichner und Autor Tomi Ungerer in Domenicas Bordell, weil er dort für sein Buch „Die Schutzengel der Hölle“ recherchieren will. Auch Schriftsteller Wolf Wondratschek macht Domenicas Bekanntschaft und schreibt in seinem Buch „Letzte Gedichte“ über sie: „Ihr Gang wirkte wie die Fortbewegung einer tropischen Schlingpflanze. In ihrem schwarzen Kleid mit dem Ausschnitt, ihren Stöckelschuhen und Seidenstrümpfen, die Haare streng nach hinten gekämmt, wo sie zu einem Dutt verflochten waren, sah sie aus, als warte sie auf einen König.“

1990 beendet Domenica ihre Tätigkeit als Hure und beginnt, sich für junge drogenabhängige, verelendete Prostituierte einzusetzen. Sie initiiert den Hilfsverein „ragazza e. V.“ in St. Georg und wird von der Sozialbehörde als Streetworkerin angestellt. Ihr Markenzeichen: der knallrote Schal und die große Umhängetasche, in der sie meist eine Thermoskanne mit heißem Kakao für die Frauen mit sich führt.

Später kümmert sich Domenica um junge Frauen 

Im „Café Sperrgebiet“ am Hansaplatz, dem Zentrum des Drogenstrichs, trifft sie sich regelmäßig mit Frauen. „Egal, ob wir über St. Pauli, St. Georg oder den Bahnhof liefen, Domenica wurde überall angesprochen“, so eine Freundin. „Und alle wollten was von ihr. Zigaretten oder Geld oder eine Jacke oder was zu essen oder auch nur ein Bett für die Nacht. Jede hatte Horrorgeschichten zu erzählen und jede kannte mindestens eine andere, der dringend auch geholfen werden musste. Oft mochte Domenica gar nicht mehr rausgehen, weil sie regelrecht überfallen wurde mit den Worten: Haste du mal und kannst du mal?“

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1997 ist Domenica mit ihrer Kraft am Ende und auch mit ihrem Geld. Ihre Wohnung in Wandsbek wird ihr gekündigt, weil sie zeitweise bis zu zehn Mädchen dort beherbergt hat. Schließlich zieht sich der „Engel vom Hansaplatz“ aus dem „ragazza“-Verein zurück und schlägt ein neues Kapitel auf: als Wirtin. Sie erwirbt eine Hafenkneipe am Fischmarkt. Ein großer Fehler, wie sich bald herausstellt.

Domenica in den 90ern

Auch im reiferen Alter war Domenica noch eine schöne Frau. Dieses Foto entstand in den 90er Jahren. 

Foto:

Marion Schröder

Zur Eröffnung des Lokals, das schlicht „Domenica“ heißt, kommt zwar viel Prominenz, doch schon nach einem Jahr häufen sich Steuerschulden und unbezahlte Rechnungen, sodass die Zwangsräumung nicht zu verhindern ist. Kurz darauf stirbt ihr Bruder, der ihr so viel Geld hinterlässt, dass sie die Kneipenschulden tilgen kann. Außerdem erbt sie ein Haus in der Eifel, das sie übernimmt und in eine Pension verwandelt.

Domenica zog für ein paar Jahre in die Eifel

Doch Domenica fühlt sich einsam in der Eifel, zumal sie von vielen Bewohnern des Dorfes geschnitten wird. Inzwischen schwer krank, verkauft sie 2008 ihr Haus weit unter Wert und kehrt nach St. Pauli zurück, wo sie eine 50-Quadratmeter-Sozialwohnung bezieht. „Ich paffe zwei Schachteln am Tag, hab’ Diabetes und hab’s mit den Bronchien“, so Domenica. „Aber egal, Hauptsache, ich bin wieder zu Hause. Hier auf’m Kiez bleibe ich jetzt für immer.“

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Domenica hat Pläne. Sie will einen Trödelladen eröffnen und beginnt auch gleich damit, in ihrer Wohnung Ware zu sammeln. Auch eine neue Biografie will sie schreiben und bittet Freund und Fotograf Günter Zint, die Journalistin Peggy Parnass und „Emma“- Gründerin Alice Schwarzer darum, ihr zu helfen. Fertig wird das Buch nicht.

Die berühmte Hamburgerin starb im Februar 2009

2008 nimmt Domenica noch mal an einer Fernseh-Kochshow teil: „Das perfekte Promi-Dinner“ bei Vox. Allerdings wird die Folge erst am 15. Februar 2009 ausgestrahlt. Da ist Domenica bereits drei Tage tot. Anfang Februar 2009 ist sie mit starken Kreislaufbeschwerden ins AK Altona eingeliefert worden, wo sie schließlich an den Folgen einer chronischen Bronchitis stirbt.

Beisetzung Domenica

Am 11. März 2009 wurde Domenica auf dem Ohlsdorfer Friedhof beigesetzt. 

Foto:

dpa

„Als ich mich zwei Tage nach ihrem Tod bei der Krankenhausverwaltung erkundigte, was nun mit Domenica geschehen soll, bekam ich die Auskunft, dass das Sozialamt eingeschaltet würde, um ein anonymes Begräbnis zu organisieren“, so Günter Zint. „Das wollte ich nicht zulassen.“ Er organisiert daraufhin den Trauermarsch und sorgt dafür, dass Domenica auf dem Ohlsdorfer Friedhof im „Garten der Frauen“ beigesetzt wird, gleich neben Theaterintendantin Gerda Gmelin. Zint ist es auch, der vom Gericht beauftragt wird, Domenicas Nachlass zu regeln.

In Hamburg ist eine Straße nach Domenica Niehoff benannt

Übrigens: 2002 ist das „Gesetz zur Regelung der Rechtsverhältnisse der Prostituierten“ in Kraft getreten, das die rechtliche Diskriminierung von Huren beendet. Sie haben jetzt Anspruch auf Arbeitsverträge, auf Zugang zu Kranken-, Renten- und Sozialversicherung und auf ihren Lohn. Freier, die nicht zahlen, können verklagt werden. Dafür hat Domenica ihr ganzes Leben gekämpft.

In Altona ist eine kleine Straße, die Domenica-Niehoff-Twiete, nach ihr benannt. Eigentlich hätte sie eine Allee verdient.

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