x
x
x
Neben der US-Botschaft in Kabul steigt Rauch auf. Taliban-Kämpfer sind am Sonntag in die Außenbezirke der afghanischen Hauptstadt eingedrungen.
  • Neben der US-Botschaft in Kabul steigt Rauch auf. Taliban-Kämpfer sind am Sonntag in die Außenbezirke der afghanischen Hauptstadt eingedrungen.
  • Foto: picture alliance/dpa/AP | Rahmat Gul

Afghanistan: Taliban vor Machtübernahme – Präsident flieht ins Ausland

Die Lage in Afghanistan spitzt sich immer weiter zu: Die Terror-Kämpfer der Taliban stehen kurz vor einer Machtübernahme. Der Präsident soll sich bereits ins Ausland abgesetzt haben, vielerorts spielen sich chaotische Szenen ab.

Kabul droht zu fallen: Nach Angaben des „Spiegel“ haben Taliban-Kämpfer einen Angriff auf die afghanische Hauptstadt gestartet. Den Islamisten war es zuvor innerhalb kürzester Zeit gelungen, fast alle wichtigen Städte des Landes zu erobern. US-Geheimdienste hatten erst letzte Woche prognostiziert, die Hauptstadt könnte innerhalb von nur 30 Tagen unter die Kontrolle der Taliban gelangen. Das könnte nun deutlich früher der Fall sein als befürchtet.

Am Sonntagmittag dann offenbar die Kapitulation: Die afghanische Regierung plant eine friedliche Machtübergabe Kabuls an die Taliban. Innenminister Abdul Sattar Mirzakwal bestätigte das in einem am Sonntag veröffentlichten Video. Wie der „Spiegel“ berichtet, soll der afghanische Präsident Ashraf Ghani bereits das Land verlassen haben, sein Ziel sei Tadschikistan.

Der Vorsitzende des Nationalen Rats für Versöhnung, Abdullah Abdullah, bestätigte Ghanis Flucht in einer am Sonntag auf Facebook veröffentlichten Videobotschaft. Der „Ex-Präsident“ habe in dieser Situation das Land verlassen, und Gott möge ihn zur Rechenschaft ziehen, sagte Abdullah weiter. Auch das Volk werde über ihn richten.

Chaotische Szenen in Kabul

Unklar war allerdings, ob es tatsächlich einen groß angelegten Angriff auf die Hauptstadt gegeben hatte beziehungsweise geben soll. Zuvor hatte der Sprecher der Taliban, Sabiullah Mudschahid, zur Nachrichtenagentur dpa gesagt, die Bevölkerung solle sich sicher sein, dass die Taliban keinen Kriegszustand wollten. Da Kabul eine große und dicht besiedelte Stadt sei, beabsichtigte man nicht, die Stadt mit Gewalt zu betreten, man wolle vielmehr über einen friedlichen Einmarsch verhandeln.

Auch der Innenminister Mirsakwal bestritt einen Angriff. In dem veröffentlichten Video rief er die Menschen dazu auf, keiner Propaganda anheim zu fallen. „Die Leute brauchen sich keine Sorgen zu machen, die Stadt ist sicher“, erklärte er. Eine „Übergangsregierung“ werde das sicherstellen.

Das könnte Sie auch interessieren: Taliban überrennen Afghanistan: „Als würde man mit Kalaschnikows verhandeln“

Nach Angaben des „Spiegel“ befinden sich die Kämpfer jedoch bereits in den Außenbezirken der Hauptstadt, ein Vordringen ins Zentrum stünde demnach kurz bevor. Afghanische Truppen leisteten keinen erkennbaren Widerstand, hieß es weiter. Vor dem Innenministerium sei bereits eine afghanische Flagge eingeholt worden – von wem, war aber unklar. Das Gebäude wirke dem Bericht zufolge verwaist.

Derweil spielen sich in der Stadt chaotische Szenen ab. Es kam zu einer Schießerei vor einer Bank, wie die dpa unter Berufung auf Bewohner der Stadt berichteten. Viele Menschen versuchten, ihr Erspartes abzuheben, Lebensmittel zu kaufen und zu ihren Familien heimzukehren. Ein Soldat aus Kabul sagte, seine gesamte Einheit habe die Uniformen abgelegt.

Botschaften wollen Personal evakuieren

Nach der Prognose ihrer Geheimdienste hatten die USA bereits damit begonnen, in Windeseile ihr Botschaftspersonal aus Kabul abzuziehen. Mit Helikoptern und gepanzerten Geländewagen wurden die Menschen in Sicherheit gebracht. Der Prozess sei „in vollem Gange“ und solle bis spätestens Dienstagmorgen abgeschlossen sein, berichtete der Sender CNN am Sonntag unter Berufung auf einen US-Regierungsbeamten.

Auch Deutschland will Mitarbeiter der diplomatischen Vertretung und deutscher Hilfsorganisationen sowie einheimische Helfer möglichst schnell evakuieren. Die Bundeswehr bereitet einen großen Hilfseinsatz vor. Dabei sollen ab Montag sowohl deutsche Staatsbürger als auch afghanische Ortskräfte ausgeflogen werden. Lesen Sie hier, wie genau die Bundesregierung die Evakuierung plant.

Außenminister Heiko Maas sagte der „Bild am Sonntag“, dass nun die zügige Evakuierung deutscher Diplomaten und anderer Mitarbeiter das Wichtigste sei. „Wir werden nicht riskieren, dass unsere Leute den Taliban in die Hände fallen. Wir sind für alle Szenarien vorbereitet.“ Die Botschaft sei bereits geschlossen und das Personal zum militärischen Teil des Flughafens in der afghanischen Hauptstadt verlegt worden, teilte Maas auf Twitter mit. „Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter sind dort inzwischen eingetroffen und stellen ihre Arbeitsfähigkeit her.“

Ein an Gesprächen mit der afghanischen Regierung in Katar beteiligter Taliban-Unterhändler wies indes Befürchtungen vor Gewalttaten bei einer Übernahme der Macht in Kabul zurück. „Wir versichern den Menschen (…) in der Stadt Kabul, dass ihr Hab und Gut und ihre Leben sicher sind“, sagte Suhail Schahin der BBC in einem Telefonat aus Doha. Es werde „keine Rache an irgendjemandem“ geben. Die Taliban-Kämpfer seien vor den Toren der afghanischen Hauptstadt und hätten den Befehl erhalten, die Stadt nicht zu betreten. „Wir warten auf eine friedliche Übergabe der Macht“, so Schahin weiter. Das bedeute, dass die Stadt dem „Islamischen Emirat von Afghanistan“ übergeben werden solle.

Taliban-Vorstoß: Fast alle Provinzhauptstädte unter Kontrolle der Islamisten

Die Taliban haben seit vergangenem Freitag in einem rasanten Vormarsch mehr als zwei Drittel der Provinzhauptstädte des Landes eingenommen. Sie sind dabei immer näher an die Hauptstadt Kabul herangerückt. Am Sonntagmorgen (Ortszeit) übernahmen sie mit Dschalalabad im Osten Afghanistans die vorletzte noch unter Regierungskontrolle stehende Großstadt.

Wenige Stunden zuvor war den Kämpfern die Einnahme der Großstadt Masar-i-Scharif gelungen, die nicht weit von der Grenze zu Usbekistan entfernt liegt. Dutzende afghanische Soldaten waren daraufhin ins Nachbarland geflohen. In Masar-i-Scharif war noch bis vor wenigen Wochen ein großes Feldlager der deutschen Bundeswehr. Ende Juni erst waren die deutschen Soldaten von dort zurück nach Hause geflogen worden. Unter den Großstädten war Kabul die letzte Hochburg, die die afghanischen Regierung halten konnte. (mik/dpa)

Email
Share on facebook
Share on twitter
Share on whatsapp