• Taliban-Kämpfer patrouillieren in der Stadt Ghazni südwestlich von Kabul.
  • Foto: Gulabuddin Amiri/AP/dpa +++ dpa-Bildfunk

Mission gescheitert: Taliban kurz vor Kabul

Während die Taliban bereits wenige Kilometer vor der Hauptstadt Kabul stehen, hat sich Präsident Aschraf Ghani nach langem Schweigen in einer TV-Ansprache zur Lage geäußert. Dabei ging er nicht auf Spekulationen ein, er könne zurücktreten, um den Weg für eine Einigung mit den militanten Islamisten freizumachen.

Er sei sich der schlimmen Lage bewusst und sehe es als seine „historische Aufgabe“ an zu verhindern, dass weiter unschuldige Menschen getötet würden und die Errungenschaften der vergangenen 20 Jahre verloren gingen, sagte Ghani am Samstag. Er habe Gespräche mit politischen Führern des Landes und internationalen Partnern begonnen und wolle „bald“ Ergebnisse vorstellen.

Die Taliban setzen am Samstag ihren Vormarsch in Afghanistan fort: Nur etwa 35 Kilometer vor Kabul habe es am Morgen Gefechte um Maidan Schar gegeben, die Hauptstadt der Provinz Wardak, sagte die Abgeordnete Hamida Akbari. Die Taliban beherrschten bereits einen Großteil der Provinz.

Auch in die Großstadt Masar-i-Scharif, wo die Bundeswehr noch bis Juni ihr Hauptquartier hatte, versuchten die Taliban am Samstag einzudringen. Sie konnten aber nach Angaben örtlicher Politiker zurückgedrängt werden. Der Ex-Provinzgouverneur Mohammad Atta Nur und der frühere Kriegsfürst Abdul Raschid Dostum haben in der Nordprovinz Balch, in der Masar-i-Scharif liegt, eine Verteidigungslinie aufgebaut. Die Taliban haben umliegende Provinzen bereits eingenommen.

Taliban haben Mehrheit der Provinzhauptstädte erobert

Seit der Entscheidung über den Abzug der internationalen Truppen aus Afghanistan Mitte April haben die Taliban große Teile des Landes erobert. Mittlerweile stehen 20 der 34 Provinzhauptstädte unter ihrer Kontrolle. Landesweit gingen die Kämpfe am Samstag in mindestens fünf Provinzen weiter. Die militanten Islamisten konnten zwei kleine Provinzhauptstädte übernehmen.

Scharana in der Provinz Paktika mit geschätzt 66.000 Einwohnern sei nach Vermittlung Ältester den Taliban kampflos übergeben worden, bestätigten lokale Behördenvertreter. Wenig später bestätigten mehrere lokale Behördenvertreter, dass Regierungsvertreter und Sicherheitskräfte auch Asadabad, die Hauptstadt der Provinz Kunar im Osten des Landes mit geschätzt 40.000 Einwohnern, verlassen hätten. Man habe so zivile Opfer und Zerstörung verhindern wollen.

Zuvor waren mit Herat und Kandahar bereits die dritt- und die zweitgrößte Stadt des Landes an die Islamisten gefallen. Mit Pul-i Alam in der Provinz Logar haben die Taliban auch eine Provinzhauptstadt rund 70 Kilometer südlich von Kabul eingenommen.

Bundeswehr bereitet Evakuierung von Deutschen vor

Auch Deutschland will laut Außenminister Heiko Maas das Botschaftspersonal auf das „absolute Minimum“ reduzieren. Mit zwei Flugzeugen sollen Personal und auch Ortskräfte ausgeflogen werden.

Die Bundeswehr begann bereits mit Vorbereitungen für einen stark abgesicherten Einsatz zur Evakuierung von Deutschen und Ortskräften begonnen. Dazu wird nach Informationen der Deutschen Presse-Agentur ein vom Bundestag zu verabschiedendes Mandat vorbereitet, auf das in den vergangenen Tagen vor allem Militärexperten drängten. Zum Einsatz sollen in der kommenden Woche vor allem Fallschirmjäger der Division Schnelle Kräfte (DSK) kommen, die die Bundeswehr als Teil der Nationalen Risiko- und Krisenvorsorge für diese Aufgabe bereithält.

Domröse über Afghanistan: „Es mangelt an Kampfmoral und Loyalität“

In Afghanistan sind derzeit noch deutlich mehr als 100 Deutsche, darunter auch die Diplomaten und Mitarbeiter der Botschaft in Kabul, sowie Experten anderer Ministerien und Organisationen. Die genaue Zahl der Ortskräfte ist noch unklar. So haben allein Organisationen aus dem Geschäftsbereich des Bundesentwicklungsministeriums derzeit noch mehr als 1000 einheimische Mitarbeiter in Afghanistan.

Der frühere Nato-General Hans-Lothar Domröse plädiert nach dem Scheitern des Afghanistan-Einsatzes für ein Überdenken des Vorgehens bei Militärengagements außerhalb Europas. „Unser gesamtes Konzept ,train assist advise‘ (ausbilden, unterstützen, beraten) werden wir überprüfen müssen und wir müssen fairerweise die Frage stellen: Funktioniert das außerhalb Europas? Scheinbar nicht“, sagte der Heeresgeneral am Samstag auf NDR Info. Man müsse bei Auslandseinsätzen vorher politische Ziele klar setzen, langen Durchhaltewillen zeigen – oder eben nicht hingehen.

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Der Westen habe in Afghanistan „350.000 Sicherheitskräfte ausgebildet, recht gut ausgerüstet. Da fliegen mehr Hubschrauber bei denen als bei der Bundeswehr. Also: Sie haben sie nicht eingesetzt, und warum nicht?“ Es mangele an Kampfmoral und Loyalität, sagte Domröse. Den Soldaten „fehlt das Wofür“. (miri/dpa)

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