Frust pur bei Deutschlands Handballern: Erneut konnten sie bei einem Großereignis den eigenen Erwartungen nicht gerecht werden.
  • Frust pur bei Deutschlands Handballern: Erneut konnten sie bei einem Großereignis den eigenen Erwartungen nicht gerecht werden.
  • Foto: imago/Sven Simon

Chancenlos gegen Ägypten: Warum das DHB-Team nicht mehr spitze ist

Heimflug statt Halbfinale: Deutschlands Handballer haben Tokio nach ihrem bitteren Viertelfinal-K.o. mit jeder Menge Frust im Gepäck verlassen. Das erneut enttäuschende Abschneiden bei einem Großereignis offenbart einmal mehr die Probleme der Nationalmannschaft, im Konzert der Großen mitzuspielen.

Wer das Ausscheiden der DHB-Auswahl gegen Ägypten für eine Blamage hält, der ist im internationalen Handball nicht auf dem neuesten Stand. Der WM-Siebte ist längst wieder eine Hausnummer und mit Deutschland (WM-Zwölfter) auf Augenhöhe. Ein Debakel war die 26:31-Niederlage dennoch – wegen der Art und Weise. Deutschland war chancenlos. Das hat Gründe. Die Probleme sind nicht neu.

Handball: DHB fehlen Spieler mit internationaler Klasse

QUALITÄT: Im internationalen Vergleich fehlen der DHB-Auswahl nach wie vor die Ausnahmespieler, die herausragen, die Mannschaft tragen, dem Gegner Angst einjagen, Spiele entscheiden können. DHB-Vizepräsident Bob Hanning wies darauf hin, dass dem Team „bis auf Hendrik Pekeler in der Abwehr der absolute Unterschiedsspieler fehlt“. Einzelne Akteure können zwar an einem guten Tag zu Weltklasseform auflaufen, diese aber nicht dauerhaft abrufen. Vor allem im Rückraum mangelt es an Topniveau.

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Zwar genügt auch Pekelers Kieler Vereinskollege Steffen Weinhold höchsten internationalen Ansprüchen, ist aber als Spielertyp keiner, der Spiele dominiert. Enttäuschend war einmal mehr, wie wenig Rückraum-Kanonier Julius Kühn aus seinen überragenden körperlichen Fähigkeiten machte, zu oft abtauchte, wenn es darauf ankam, und nach Fehlversuchen zu schnell einknickte. Fatal in Tokio: Deutschland schwächelte auch in der Breite, was Pekeler nach dem Turnier-Aus schonungslos aussprach: „Wir haben leider in der Vorrunde viele Totalausfälle gehabt, die normalerweise liefern. So mussten wir immer mit acht, neun Mann durchspielen. Das hat sich jetzt gerächt.“

Deutsches Handball-Team hatte zu große Belastung vor Olympia

BELASTUNG: Die Spielzeit war auf viel zu wenigen Schultern verteilt – von Akteuren, die ohnehin nach einer kräftezehrenden Saison überspielt angereist waren. „Den Deutschen mangelte es gegen Ägypten an Frische. Da fehlten mindestens zehn Prozent. Das sah man ganz deutlich“, sagt Martin Schwalb, ehemaliger Meistertrainer und Vize-Präsident des HSV Hamburg, zur MOPO. „Das ist ja auch kein Wunder angesichts der hohen Belastungen in der Liga.“

Bis Ende Juni wurden in der verspätet gestarteten Bundesliga 38 Spieltage durchgezogen. Spieler wie Pekeler, Weinhold, der Flensburger Johannes Golla oder der Berliner Paul Drux, die zusätzlich noch Europapokal spielten, kamen überspielt in Japan an. In den anderen europäischen Topligen ist der Wettbewerb weit weniger hart, werden die Stars im Saisonverlauf häufiger geschont. Für das DHB-Team ist die „stärkste Liga der Welt“ ein Problem.

Für Olympia ist die Größe der Handball-Bundesliga problematisch

ZEIT: Fünf Tage Pause hatten die deutschen Spieler nach der extremen Saison in der Liga, bevor es in die Olympia-Vorbereitung ging. „Das ist eigentlich ein Witz“, sagt Schwalb. „Wie soll man sich da erholen, körperlich und mental?“ Auch über das Jahr gesehen spielt der Faktor Zeit eine wichtige Rolle, denn der extrem enge Terminkalender für die deutschen Vereine (in der Corona-Saison 20 Erstligisten, sonst 18) lässt nur wenige und kurze Lehrgänge der Nationalmannschaft zu. In anderen europäischen Ligen mit internationalen Topklubs spielen nur 16 (Frankreich) oder 14 (Ungarn) Mannschaften.

Bundestrainer Alfred Gislason plädiert schon länger für eine 16er-Liga. Man müsse „der Realität ins Auge sehen“, so der Isländer. „Will Deutschland weiter oben angreifen, braucht man mehr Zeit für die Nationalmannschaft, vergleichbar mit Ägypten oder Frankreich oder Spanien.“ Zum Vergleich: Die Ägypter konnten sich zwei Monate lang gezielt auf Olympia vorbereiten. Und die Saison der spanischen Liga war schon Ende Mai durch.

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Apropos Zeit: Viel davon bleibt Gislason nicht, die Mannschaft aufzurichten, neu auszurichten und wenigstens teilweise umzubauen, was nicht einfach wird (siehe Qualität). Im Januar 2022 steht mit der EM in Ungarn und der Slowakei das nächste Großereignis an.

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