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Schiedsrichter Daniel Schlager kommunizierte während der Unterbrechung viel mit den Trainern Pal Dardai (M.) und Tim Walter (r.).
  • Schiedsrichter Daniel Schlager kommunizierte während der Unterbrechung viel mit den Trainern Pal Dardai (M.) und Tim Walter (r.).
  • Foto: WITTERS

„Es war scheiße für uns“: HSV feiert nach Beinahe-Abbruch wieder eine Berlin-Party

Der Stadionsprecher versuchte sein Bestes, mahnte die Hertha-Fans ein ums andere Mal, das Werfen von Tennisbällen zu unterlassen. „Das ist für die Spieler eine echt unfaire Situation so langsam. Lasst die Spieler weiterspielen, ich bitte euch“, sagte er, als die Partie aufgrund der Stimmungsmache der Anhänger gegen den Investoren-Deal der DFL in der zweiten Halbzeit schon 15 Minuten unterbrochen war. Nach rund 20 und immer wieder fliegenden, neongelben Wurfgeschossen hatte Schiedsrichter Daniel Schlager genug – und schickte die Teams in die Kabine. Ein Abbruch war „nicht weit entfernt“, wie der Referee bestätigte. Aber: Die Mannschaften kamen wieder heraus, die Spieluhr wurde auf 52:30 Minuten zurück- und das Spiel beim Stand von 0:0 fortgesetzt. Nach schlussendlich dann doch gespielten 90 Minuten stand ein 2:1-Auswärtssieg auf der Anzeigetafel – und die Erkenntnis, dass Tim Walter die Wende trotz aller Widrigkeiten wieder geschafft hat.

Der Coach hatte sich fest entschlossen gezeigt. „Wir wissen, woran es liegt“, hatte Walter unter der Woche im Rückblick aufs 3:4 gegen den Karlsruher SC versichert. Und tatsächlich: Weil die Hamburger am Samstagabend bewiesen, dass sie das angesprochene Wissen auch in entsprechende Abwehr-Maßnahmen auf dem Platz übertragen können, liegen sie in der Tabelle nun wieder auf Platz zwei. Dank Patzern der Konkurrenten Kiel sowie Fürth – und dank eines kurios zustande gekommenen 2:1 bei der Hertha aus Berlin samt Beinahe-Abbruch. Die Diskussionen um die Geschehnisse abseits des Feldes waren nach Abpfiff groß – die zuletzt wieder aufgekommenen um seine Person als Trainer hat Walter dank des Sieges aber vorerst wieder erstickt.

Trainer Walter ließ Glatzel und Reis aus der HSV-Startelf

Erst einmal aber hatte der 48-Jährige mit seiner Anfangsformation überrascht. Robert Glatzel, der am Donnerstag mit einem zurückhaltenden Trainingsauftritt Rätsel aufgegeben, am Freitag beim Abschlusstraining dann aber wieder ohne Einschränkungen mitgewirkt hatte, saß zunächst auf der Bank. Der Torjäger hatte Walter signalisiert, dass er nicht zu einhundert Prozent fit sei, stattdessen feierte András Németh sein Startelf-Debüt in der Zweiten Liga, rotierte in die Anfangsformation – genauso wie der zuletzt durch eine Erkältung geschwächte Immanuel Pherai für Vize-Kapitän Ludovit Reis, den Walter nach dreimonatiger Schulter-Verletzungspause weiter „peu à peu ranführen“ möchte an die regelmäßige Belastung.

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Zwei Änderungen also im Vergleich zur Hamburger Aufstellung gegen den KSC – und anders als in der Vorwoche keine kalte Dusche per Doppel-Gegentor, sondern ein erster, zügiger Annäherungsversuch durch Bakery Jatta, als die durch Pyrotechnik ausgelösten Rauchschwaden aus dem Gästeblock gerade erst verflogen waren (1.). Und als nach dem verzögerten Anpfiff dann auch die mittlerweile zur Gewohnheit gewordene zunächst kurze Spielunterbrechung (13.) wegen aufs Feld geworfener Tennisbälle aus beiden Blöcken ein Ende gefunden hatte, folgte die erste Großchance – herausgespielt durch die beiden Startelf-Neulinge.

HSV gegen Hertha: Zwei Aluminiumtreffer in erster Hälfte

Németh köpfte nach Flanke von Pherai aus fünf Metern an die Latte, László Bénes konnte den Abpraller nicht über die Linie stochern – weil Florian Niederlechner im Weg stand (17.). Eine zweifelsfrei reguläre Rettungstat. Ansonsten aber leistete sich die Hertha zahlreiche regelwidrige Aktionen, also viele Fouls um den eigenen Strafraum herum. Einzig: Der HSV, zudem mit deutlichem Übergewicht in Sachen Ballbesitz, nutzte die resultierenden Standards nicht. Der direkte Freistoß von Jean-Luc Dompé war bezeichnend – weil harmlos (39.). Was auch für die Ecken galt.

Es hätte gepasst, wenn die zweite Großchance des Spiels genutzt worden wäre – es war eine der Hertha, und zwar die allererste Möglichkeit der Berliner überhaupt: Haris Tabakovic köpfte an den Pfosten (42.). Ansonsten aber kam von den Gastgebern gegen eine insgesamt wieder verbesserte HSV-Abwehr wenig bis nichts, wenn überhaupt Fehlpässe ins eigene Toraus. Genau dort landete vor der Pause dann noch ein weiterer Kopfball von Németh, der knapp vorbei ging (45.+4).

Proteste der Fans sorgen für 30 Minuten Unterbrechung

Schnell vorbei mit dem Spielfluss war es nach Wiederanpfiff. Die Proteste gegen den Investoren-Deal der DFL gingen in die zweite Runde, diesmal angeführt von der Berliner Fankurve. Sie gingen so lange wie bisher vermutlich noch nie in einem deutschen Profifußball-Stadion. „Die Unterbrechung dauert jetzt schon zehn Minuten. Bitte haben Sie Respekt vor den Spielern, die weiterspielen wollen“, forderte der Stadionsprecher. Doch weder er noch Hertha-Coach Pal Dardai, der höchst selbst vor die Kurve trat und auf die Anhänger einredete, konnten verhindern, dass immer wieder Tennisbälle aufs Feld geworfen wurden. Irgendwann hatte Referee Schlager genug. Walter ging voran und beide Teams, die zwischenzeitlich verzweifelt versuchten, sich warm zu halten, marschierten in die Kabine.

„Ehrlich gesagt“, sagte Miro Muheim hinterher, „habe ich gar nicht über einen Abbruch nachgedacht.“ Pherai wurde deutlicher: „Es war scheiße für uns, weil es so lange gedauert hat.“ Lange 30 Minuten. „Aber zum Glück“, ergänzte der Niederländer, „gab es keinen Abbruch.“ Dass dieser jedoch im Bereich des Möglichen war, bestätigte Schlager. „Wir wissen auch, dass wenn wir in die Katakomben gehen, dass das das letzte Mittel ist. Dann wusste auch jeder, welche Konsequenz dann auch mal folgen könnte“, sagte der Schiedsrichter nach Abpfiff und räumte ein, dass ein Abbruch „nicht weit entfernt“ gewesen sei. „Aber zum Glück konnten wir das Spiel dann fortsetzen und auch regulär zu Ende bringen.“

Schiedsrichter Daniel Schlager: „Es war das letzte Mittel“

Walter berichtete nach der Partie: „Es war schwierig für beide Mannschaften. Aber der Schiedsrichter hat uns gut geupdatet. Alles andere liegt nicht in unserem Bereich. Zum Glück ist nichts passiert.“ Niemand auf dem Feld, kein Spieler, Schiri oder Ordner, wurde von einem Wurfgeschoss getroffen, ehe es für eine Weile in die Kabine ging. Und währenddessen war es im Hertha-Block still. Die HSV-Fans, die nur in der ersten Halbzeit mit Würfen aufgefallen waren, sprangen und sangen während der Unterbrechung derweil weiter: „Scheiße, scheiße DFL“.

Der HSV jubelt über die 1:0-Führung in Berlin – dank Schütze Miro Muheim (r.). WITTERS
Der HSV jubelt über die 1:0-Führung in Berlin.
Der HSV jubelt über die 1:0-Führung in Berlin – dank Schütze Miro Muheim (r.).

Auf die Protest-Gesänge folgte nach Wiederanpfiff der große Jubelsturm der wieder einmal rund 20.000 HSV-Fans im Olympiastadion: Muheim traf aus 20 Metern mit rechts und unter gütiger Mithilfe von Hertha-Keeper Tjark Ernst zur Führung (57.). Doch die Freude hielt nur kurz. Weil der von einer Corona-Erkrankung wiedergenesene Unterschiedsspieler Fabian Reese ins Spiel kam (60.), bei seiner ersten Aktion nicht attackiert wurde, schoss – und Tabakovic den von Daniel Heuer Fernandes fahrlässig nach vorne parierten Ball zum 1:1 über die Linie drückte (62.).

Joker Ludovit Reis köpft den HSV zum 2:1-Sieg in Berlin

Da Reese im Spiel war, war es die Hertha im Gegensatz zur ersten Hälfte plötzlich auch. Zu was individuelle Qualität führen kann, zeigte sich dann aber auch beim HSV. Heuer Fernandes machte es besser, parierte gegen Derry Scherhandt (71.). Und dann schlug die Stunde des Jokers. Nicht von Glatzel, der in der 77. Minute kam. Sondern von Reis, der drei Minuten später eingewechselt wurde – und wiederum drei später eine Pherai-Flanke ins Netz köpfte (83.). Der Siegtreffer. Erzielt durch einen Spieler, der zu den wertvollsten der Zweiten Liga gehört, der an diesem Samstagabend aber nur von der Bank kam.

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Walter bewies mit seinen Wechseln das richtige Händchen – und konnte, weil die Defensive hielt, um 23.42 Uhr konstatieren: „Ich bin mit meiner Mannschaft sehr zufrieden. Letzte Woche hatten wir das Momentum nicht – diese Woche haben wir es. Es war ein langer Fußballabend.“ Einer, der zum Glück nicht vorzeitig endete, der ohne Spielabbruch auskam. Einer, an dessen Ende der HSV vor allem dank verbesserter Defensive sowie individueller (Joker-) Qualität wieder auf Platz zwei steht. Und einer, an dem Walter die Wende mal wieder geschafft hat.

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