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Wilken Engelbracht bei der JHV des FC St. Pauli
  • Ist guter Dinge für die Zukunft des FC St. Pauli: Finanzchef Wilken Engelbracht
  • Foto: WITTERS

Nach überraschendem Millionen-Minus: So will St. Pauli raus aus der Kohle-Klemme

Seit dem 1. November ist Wilken Engelbracht beim FC St. Pauli für die Bereiche Wirtschaft und Finanzen zuständig. Der 50-Jährige, einst für den VfL Bochum tätig und durch den guten Draht zu Oke Göttlich auf den Kiez gekommen, trat den Job trotz sich abzeichnender Probleme an. Dennoch gab er sich in einer Medienrunde tatendurstig, ideenreich und sehr optimistisch. Engelbracht sprach über…

…die aktuelle Lage: „Vor Corona stand der Verein bei 14 Millionen Euro Eigenkapital, im ersten harten Jahr 2020/21 hat man das Eigenkapital fast halbiert auf acht Millionen Euro. Und ganz wesentlich: Die Schuldensituation, die größtenteils durch den Ausbau der verschiedenen Stadionteile zustande gekommen war, hat sich während Corona binnen zwei Jahren verdoppelt von ungefähr 17 Millionen auf etwa 34 Millionen Euro. Zu dem Zeitpunkt war es eine Unachtsamkeit – man mag es auch ein Versäumnis nennen – des Vereins zu sagen: Wir wissen, dass die rund 15 Millionen Euro an Corona-Darlehen, die aufgenommen wurden, zwar zwei Jahre tilgungsfrei sind, aber danach setzt die Tilgung ein.

St. Pauli muss sechs Millionen Euro an Darlehen pro Jahr tilgen

Das heißt, wir sind jetzt in der Situation, wo das Tilgungsvolumen massiv ansteigt über einen Zeitraum von vier, fünf Jahren. Was bedeutet, dass wir so um die sechs Millionen Euro Tilgung pro Jahr haben. Das ist eine Mischung aus den Stadion- und Corona-Darlehen. Auch die Zinsbelastung ist auf über Million Euro pro Jahr gesprungen. Und ausgerechnet im ersten Nicht-Corona-Jahr machen wir den größten Verlust der letzten Jahre. Genau das durfte eigentlich nicht passieren, ist aber die Situation, die wir jetzt vorfinden. Sie bereitet mir keine komplett schlaflosen Nächte, aber es ist nicht das Idealbild.“

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…die Chancen auf Besserung: „Wir haben einen großen Vorteil, denn die Umsatzsituation des Vereins ist recht gut planbar. Ticketing und Stadionauslastung, Vermietung von Business-Seats und Separees, große Vermarktungsrechte wie beim Ausrüster mit Puma – das sind alles Dinge, die langjährig abgeschlossen sind. Das ist das große Pfund des Vereins, dass wir für einen Zweitligisten auf relativ hohem Niveau planen können. Und es ist noch Potenzial drin, Mittel freizusetzen! Über 30 Millionen Euro der Kosten, die wir haben, sind Dienstleister, Kosten für Material, Energie, Versicherungen. Um das in Relation zu sehen: Unsere Nicht-Personalkosten sind so hoch wie der gesamte Kostenapparat von Greuther Fürth mit allen Mitarbeitern, allen Profis. Wir haben auch einen deutlich höheren Personalaufwand im nicht-sportlichen Bereich. Das muss man sich als Verein natürlich auch immer ansehen und mit Augenmaß draufschauen. Es ist leider kein Wunschkonzert.“

In Sachen TV-Geld kann St. Pauli noch zulegen

…die potenziell größten Einnahmequellen: „Wo wir richtig wachsen können, ist beim TV-Geld. Wir sind jetzt beim Ranking auf Platz sieben, da ist selbst in der 2. Liga noch Luft nach oben. Wir können Plätze gut machen gegen Düsseldorf, Fürth und Paderborn, jeder Platz ist ungefähr 600.000 Euro wert. Es hat uns auch enorm geholfen, dass wir im Pokal das Viertelfinale erreicht haben. Das heißt dann aus meiner Sicht: Die Prioritäten sind die Entschuldung des Vereins und die Stärkung des Sports. Das folgt einer ganz einfachen Logik, denn der sportliche Erfolg ist die Chance des Vereins zu wachsen, eine substanzielle Umsatzsteigerung hinzubekommen und wirtschaftlich stärker zu werden, um ihm die Plattform zu geben, die er braucht, um die anderen wichtige Dinge wie Werte – Stichwort: Ein anderer Fußball ist möglich – wirtschaftlich stabil zu leben.“

Genossenschaftsidee für den FC St. Pauli enorm wichtig

…die Bedeutung der Gründung einer Genossenschaft:  „Solche Ideen wie das Thema Genossenschaft kann nur ein Verein wie St. Pauli umsetzen. Für uns ist das enorm wichtig, denn es wird hier keinen Mäzen und keine Ausgliederung geben. Das heißt, wir müssen andere Formen finden, um Eigenkapital ins Umfeld des Vereins zu bekommen. Die Genossenschaft ist eine Idee, die wir zum Erfolg führen müssen. Wir müssen die Menschen dafür begeistern. Ohne geht der Verein nicht in die Knie, aber sie wäre, wenn sie erfolgreich umgesetzt wird, von enormer Bedeutung. Das Konstrukt ist wie für diesen Verein gemacht. Wir werden auf jeden Fall die Genossenschaft im ersten Halbjahr 2024 eintragen und gründen, und dann ist es ein recht komplexer Prozess, bis wir um Genossinnen und Genossen werben können. Aber ich gehe davon aus, dass das auf jeden Fall im kommenden Jahr passieren wird. Und es wird anders als bei einer klassischen Fananleihe eine variable Verzinsung geben.“

Wilken Engelbracht: „St. Pauli hat ein Riesenpotenzial“

…die Perspektive aus seiner Sicht: „Der Verein verfügt über eine super Substanz und kann einen Riesensprung machen, wenn er irgendwann mal 1. Liga spielt. Er hat ein Riesenpotenzial, wenn er sich sportlich weiterentwickelt, mehr gehört wird, eine breitere Bühne bekommt. Wir wollen ja nicht alleine Dinge verändern, sondern brauchen Vereine, die unsere Sicht teilen und mitziehen. Und was spricht dagegen, dass der Verein, wenn er sich richtig aufstellt, in der 1. Liga bestehen kann? Er wäre eine Bereicherung. Und ich glaube, dass das viele in der DFL und der 1. Liga genauso sehen.“

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