„Geile Mentalität!“ St. Pauli macht Traumstart perfekt und feiert einen Rekord
St. Pauli, wie es singt und lacht. Die Kiezkicker sind die Nummer eins der Stadt, lassen das Millerntorstadion beben und mischen in der Bundesliga ganz oben mit. Mit dem umkämpften, etwas glücklichen und dennoch verdienten 2:1 (1:1)-Sieg gegen den FC Augsburg haben die Braun-Weißen den zweiten Dreier in Serie eingesackt und ihre Ausbeute auf sieben Punkte nach drei Spielen geschraubt – Vereinsrekord in der Bundesliga. Ein Traumstart!
Die Schlussphase – ein Freudenfest im ausverkauften Millerntor, ein Chor-Konzert. „Olé, Olé, Olé, Olé – super Hamburg St. Pauli“, schallte es bereits nach 80. Minuten von allen Tribünen. Danel Sinani hatte kurz zuvor mit einem direkten und frech auf die Torwartecke gezogenen Freistoß das 2:1 erzielt (78.) und das Publikum in Ekstase versetzt. In den folgenden Minuten ertönten Klassiker wie „Allez St. Pauli“ und nach dem von einem kollektiven Jubelschrei begleiteten Abpfiff um 17.27 Uhr brüllten die 29.546 Zuschauenden (minus Augsburger Gästeblock): „Die Nummer eins der Stadt sind wir!“
FC St. Pauli klettert auf Tabellenplatz vier der Bundesliga
Die Vormachtstellung in Hamburg hatten die St. Paulianer schon zwei Wochen zuvor mit dem hochverdienten Derbysieg untermauert, aber nach dem zweiten Dreier ist der Abstand zum HSV angewachsen und zwar erheblich, wenngleich die Kiezkicker immer wieder betonen, abseits der direkten Duelle nur auf sich zu schauen und nicht auf den Nachbarn, der auf dem vorletzten Platz hängt. Übrigens genau wie St. Pauli vor einem Jahr nach drei Spieltagen.

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Und jetzt? Tabellenplatz vier hinter Bayern, Dortmund und dem überragend gestarteten Aufsteiger 1. FC Köln. Sieben Punkte nach den ersten drei Spielen – das gab es bei St. Pauli in Liga eins noch nie. Eine Momentaufnahme, aber eine aus St. Pauli-Sicht fantastische, zugleich aber auch Ausweis der vorhandenen Qualität und Eingespieltheit sowie der hervorragenden Saisonvorbereitung und Einstellung der Mannschaft durch Trainer Alexander Blessin.
Alexander Blessin lobt „geile Mentalität“ seiner Mannschaft
„Eine geile Mentalität“, attestierte der Kiez-Coach seinen Spielern, die wie schon beim 3:3 im ersten Saisonspiel gegen Dortmund einen Rückstand aufgeholt hatte und diesmal nach einer „hochintensiven Angelegenheit“ sogar mit drei Zählern belohnt wurde. Sein Team sei nach dem frühen 0:1 durch Rieder (16.) „stabil“ geblieben. „Wir sind froh über die drei Punkte.“ Auch Linksverteidiger Louis Oppie nannte als Schlüssel zum Sieg „wieder einmal die Geschlossenheit, die Mentalität, zurückzukommen“.
Der Liveticker zum Spiel zum Nachlesen
Die Mannschaft ist gefestigt, glaubt an sich und den Spielstil, das ist nicht zu übersehen und auch die neuen Spieler in der Startelf haben das schnell verinnerlicht. Die Truppe funktioniert – auf dem Feld und abseits, wenngleich im Spiel noch lange nicht alles perfekt läuft und es in vielen Bereichen noch Luft nach oben gibt.
Kiezkicker tun sich gegen Augsburg zunächst schwer
Das hatte sich insbesondere in der Anfangsphase gezeigt. „Ein bisschen schwer“ seien seine Mannen ins Spiel gekommen, befand Blessin. Nach der Länderspielpause hatten die Kiezkicker zunächst nicht richtig ins Spiel gefunden. Die Gastgeber hatten zwar Räume, wussten diese aber nicht richtig zu nutzen. Das Passspiel – oft unpräzise. Damit brachten sich die Kiezkicker zum einen im Aufbauspiel mehrfach in die Bredouille und verloren zu schnell den Ball, zum anderen verpufften vielversprechende Angriffe aufgrund ungenauer Zuspiele.

Die Augsburger waren in den ersten 45 Minuten eigentlich nur einmal richtig gefährlich: beim Gegentor. Massengo setzte sich auf der linken Seite durch und flankte in den Strafraum, wo Louis Oppie pennte, sich Gegenspieler Rieder lösen und fast unbedrängt zur Gästeführung einköpfen konnte (16.) – eine kalte Dusche und ein merklicher Stimmungsdämpfer. „Ich hatte den Spieler auf dem Schirm, aber ich dachte, der Ball wird noch ein bisschen länger und dass ich den dann einfach ein bisschen wegblocken kann, aber da habe ich mich verschätzt“, räumte Oppie seinen Fehler ein.
St. Pauli nicht in Topform: „Zu viel Klein-Klein“
„Das Tor kommt auch aus dem Nichts. Ich glaube, dass wir gerade in der ersten Hälfte nicht unser bestes Spiel gemacht haben“, resümierte Hauke Wahl selbstkritisch. „Wir haben viel zu viel Klein-Klein gespielt, waren in den Zweikämpfen nicht zu 100 Prozent da.“
Erst zum Ende der Halbzeit gelang es den „Boys in Brown“ wieder mehr Druck zu entwickeln, sie ließen es aber weiterhin an der nötigen Präzision bei Pässen, Flanken und Abschlüssen mangeln. Ohne das Zutun eines Augsburgers wäre es auch mit dem Ausgleich nichts geworden, denn es war Zesiger, der im Strafraum einen Schuss von Hountondji mit dem ausgestreckten linken Arm blockte. Schiedsrichter Osmers hatte zunächst auf Ecke entschieden, doch der VAR intervenierte, Osmers schaute sich die Szene am Spielfeldrand an und die Sache war klar: Handelfmeter für St. Pauli.
Elfmeter: Hountondji schnappt Sinani den Ball weg
Nach kurzer Diskussion mit Danel Sinani schnappte sich Hountondji den Ball, scheiterte zwar mit seinem Strafstoß an FCA-Keeper Dahmen, versenkte aber den Nachschuss (45.) zum 1:1. Es war das dritte Tor im dritten Spiel für den Nationalstürmer des Benin. Eine starke Ausbeute. Zum Vergleich: St. Paulis bester Torjäger der gesamten vergangenen Saison, Morgan Guilavogui, hatte es an 34. Spieltagen auf sechs Liga-Treffer gebracht.

Die zweite Halbzeit war die bessere aus Sicht der Hausherren, die mit fortschreitender Spieldauer offensiv immer mehr Druck entwickelten und Chancen herausspielten, was auch an der Einwechslung von Manolis Saliakas (für Arkadiusz Pyrka) lag, der nach langer Verletzungspause sein Comeback gab und gleich mächtig Dampf auf der rechten Seite machte und dem Spiel durchaus eine entscheidende Wendung gab. Während zunächst der ebenfalls eingewechselte Stürmer Martijn Kaars seinen feinen Steilpass nicht ins Tor befördern konnte (65.), stieß der Grieche selbst nach einem perfekten langen Ball von Eric Smith in Richtung Strafraum vor, wurde Zentimeter vor der Grenze von Zesiger gefoult, sodass es nicht Elfmeter gab, wie viele Fans und auch Mitspieler zunächst dachten, sondern „nur“ Freistoß.
Danel Sinani lässt mit Siegtor das Millerntor beben
Auftritt, Danel Sinani. Ein großer, entscheidender Moment. Der luxemburgische Nationalspieler legte sich den Ball an der rechten Strafraumgrenze zurecht und schoss ihn mit links in die Torwartecke zum 2:1 (78.). Ein kleiner Geniestreich. Begünstigt übrigens, weil Zesiger den Schuss noch abfälschte.

Wer aufgepasst hat: Der Name von Cedric Zesiger taucht mehrfach auf. Er war der große Glücksbringer (aus St. Pauli-Sicht) und Pechvogel (aus Augsburger Sicht) des Spiels. Der Abwehrhüne verursachte den Elfmeter, den Freistoß vor dem 2:1, den er dann auch noch entscheidend abfälschte. Ein Nachmittag zum Vergessen und zum Eingraben. Die Greenkeeper des Kiezklubs werden froh sein, dass er es nicht versucht hat, denn der Rasenplatz im Stadion ist vor der Saison aufwändig erneuert worden.
Hauke Wahl warnt: „Zufriedenheit ist Rückschritt“
Ein gutes Fundament für den Klassenkampf sind auch die sieben Punkte. Der Unterschied zur Vorsaison, als St. Pauli als Aufsteiger nach drei Spielen noch gar keinen Zähler auf dem Konto hatte, sei in erster Linie die Erfahrung, sagt Wahl. „Wir wissen, wie Bundesliga gespielt wird.“ Zudem haben die Neuverpflichtungen im Sommer die Mannschaft sichtbar besser gemacht. „Das ist schon sehr, sehr viel Qualität. Ich glaube, dass ist das, was uns im Moment so stark macht. Die Breite im Kader und einfach auch die Erfahrung aus dem ersten Jahr.“
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Glücklich sind die Kiezkicker mit ihrem Traumstart, aber zufrieden ist Wahl nicht. Aus einem bestimmten Grund: „Ich glaube, Zufriedenheit ist Rückschritt“, sagt der Abwehrroutinier. „Wir sind happy, dass wir sieben Punkte haben, aber wir müssen noch 33 holen. Klar ist, dass wir die sieben nicht mehr holen müssen und dass uns das einfach extrem viel Rückenwind für die nächsten Spiele gibt.“ Nächster Halt: Stuttgart. Freitag, 20.30 Uhr. Alles kann, nichts muss. Aber beim FC St. Pauli geht im Moment einiges.
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