Düstere Atmosphäre, Atomschutzbunker inklusive. In Castorf Neuinterpretation von Shakespeares „Hamlet“ spielt Paul Behren (l.) die Hauptrolle.

Düstere Atmosphäre, Atomschutzbunker inklusive. In Castorf Neuinterpretation von Shakespeares „Hamlet“ spielt Paul Behren (l.) die Hauptrolle. Foto: picture alliance/dpa/Schauspielhaus Hamburge | Just Loomis

Sechs Stunden „Hamlet“ – so ist das neue Stück im Schauspielhaus

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Im Schauspielhaus inszeniert Alt-Meister Frank Castorf die Shakespeare-Tragödie mit viel Füllmaterial als eine Gewalt-Retrospektive des 20. Jahrhunderts.

Um es positiv zu formulieren: In diesem „Hamlet“ steckt richtig viel drin. Und drumherum. Das ist wenig überraschend, denn Regisseur Frank Castorf ist berühmt und berüchtigt dafür, die Texte der zugrunde liegenden Werke als eine Matrix zu nehmen, auf der er seine eigene Weltsicht episch ausbreitet – prototypisches „Regietheater“, das Kulturkonservative gerne verdammen. Schade allerdings, wenn die frühere Avantgarde selbst in vergangenen Welten festzustecken scheint. 

„Hamlet“ am Schauspielhaus: Darum geht es

Castorf schnappt sich den „Hamlet“ und legt Heiner Müllers „Hamletmaschine“ darüber, eine kurze Szenenassoziation zu dem Dänenprinzen als Achse einer Gewaltspirale im 20. Jahrhundert. Dazu gesellen sich Dritt-, Viert- und Fünfttexte, etwa der sagen- und klagenhafte „Prometheus“, Dantes „Inferno“ und noch vieles, vieles mehr. Nach dem Mord an seinem Vater begibt sich Hamlet auf einen Rachefeldzug gegen seinen Onkel, der durch Heirat nun auch noch zum Stiefvater geworden ist. Er überführt ihn, als er eine Schauspieltruppe den Mord nachspielen lässt.


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„Hamlet“ ist ein Theater-Stück im doppelten Wortsinn oder eben sein eigenes Regietheater. Alle diese Themenkomplexe entspinnen sich in einem herrlich düsteren Bühnenbild: vorne Kohlenhaufen, hinten bauschige Rauchwolken vor dem abgetakelten Riesenschriftzug „Europe“, und mittendrin der Betoneingang in einem Atomschutzbunker. Die klaustrophobische Röhre ist Schauplatz der wichtigsten Szenen, live übertragen auf einen XXL-Bildschirm. Hier spricht Paul Behren – ein wirklich bockstarker, düsterer Hamlet – auch den „Sein oder Nichtsein“-Monolog.

Die Zeit des „Hamlet“ ist bei Shakespeare aus den Fugen, und diese Inszenierung scheint gleichfalls aus der Zeit gefallen. Der Referenzrahmen der kulturellen Anspielungen ist schwer in die Jahre gekommen. Wo singt man heute noch „Dicke“ von Westernhagen, ironisch oder nicht? Es wird Helmut Schmidt zitiert, als sei er noch Bundeskanzler ist. Und die DDR ist großes Thema („Alle Stasi außer Mutti“), Stalin, Lenin und Mao ebenfalls. Wenn es ganz aktuell wird, zucken die Augenbrauen: Annalena Baerbock kriegt subtil einen mit, und die Ukraine-Anspielung „Uns geht es doch eigentlich gut, seit wir die F16-Jäger haben“ wirkt mindestens kurios.

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Nebenbei betreibt Castorf eine Bauchnabelschau und strickt fröhlich an seiner eigenen Legende. Er lässt seine Darsteller:innen über ihn schimpfen (hahaha!) und über alte Inszenierungen und ihre Rezeption sinnieren (uiuiui!). Zu Beginn der zweiten Hälfte wird die Kritik an seinem Stil („immer dasselbe“) minutenlang artikuliert. Das heißt aber nicht, dass sie nicht richtig sein kann. Die mehr als sechsstündige Retro-Show mit allerlei Längen und Redundanzen schüren zudem den Verdacht, die ermüdende Dauer sei ein Selbstzweck: Weil ein Castorf das eben so macht.

5., 25.10., 2., 19.11., Schauspielhaus, Karten 12-69 Euro, Tel. 24 87 13

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