Jesus als Influencer im TV: Wie peinlich war „Die Passion“ bei RTL?
Als der Sender RTL das Projekt „Die Passion“ ankündigte, musste man etwas Fantasie aufbringen, um sich vorzustellen, wie das aussehen würde: das Sterben Christi zur besten Sendezeit. Nun ist das Ostergeheimnis gelüftet.
Thomas Gottschalk hat als „Wetten, dass..?“-Moderator viele Dinge gesehen, etwa einen Landwirt, der mit verbundenen Augen Kühe am Schmatzgeräusch erkennen konnte. Am Mittwochabend kündigt er seinem Publikum mitten in Essen aber etwas an, das selbst in diesen Kategorien seltsam wirkt: Jesus – in einem Essener Linienbus. „Heute hätte er öffentliche Verkehrsmittel benutzt“, erklärt Gottschalk ungerührt.
Zu sehen ist dann der einstige „Deutschland sucht den Superstar“-Sieger Alexander Klaws, der sich lässig an einer gelben Bus-Haltestange festhält und aussieht, als sei er auf dem Weg zu einem Feierabend-Bier mit Freunden. Dazu singt er das Lied „Auf Uns“ des deutschen Popsängers Andreas Bourani, das 2014 populär wurde, als die deutsche Fußballnationalmannschaft Weltmeister wurde.
Schon sehr früh ist klar: „Die Passion“, die RTL an diesem Abend inszeniert, hat das Zeug zum polarisierenden Gesprächsthema. Der Sender will die letzten Tage im Leben von Jesus Christus kurz vor Ostern als moderne Musical-Variante mit deutschen Popsongs präsentieren – live aus Essen. So etwas hat Deutschland noch nicht gesehen. Das zeigt sich auch in den sozialen Netzwerken. Die Reaktionen auf Twitter überschlagen sich, bevor Jesus das Kreuz überhaupt gesehen hat. „Gott, erlöse uns“, schreibt Jan Böhmermann. Auf Facebook zeigen sich andere Zuschauer echt gerührt.
Knapp drei Mio RTL-Zuschauer sehen Alex Klaws als Jesus in Essen
Im Schnitt sehen 2,91 Millionen Menschen vor dem Fernseher zu, wie Klaws als Heiland durch das Essen der Jetztzeit streift, dabei Bibel-Sätze vorträgt und schließlich zum Tode verurteilt wird.
Gottschalk, der als Erzähler der Geschichte verpflichtet wurde, betont derweil den Ernst der Angelegenheit. „Wir erzählen Ihnen heute Abend weder ein frommes Märchen noch feiern wir hier einen Gottesdienst. Sondern wir erzählen eine Geschichte, die unsere Kultur geprägt hat“, erklärt er. Und die – so die sich wie ein roter Faden durch den Abend ziehende Botschaft – gerade jetzt wieder aktuell sei.

Er selbst habe die Geschichte schon vor mehr als 50 Jahren in der Kulmbacher Kirche St. Hedwig erzählt, sagt Gottschalk. Seine Eltern seien dort als Flüchtlinge gelandet. Heute gebe es wieder Millionen Flüchtlinge. Dann kommt der große Bogen: „Die Menschheit hat also nichts dazu gelernt. Seit 50 Jahren nicht. Und seit 2000 Jahren auch nicht.“
Zugleich ist der Entertainer bemüht, den Stoff für die kirchenferne Zuschauerschaft verständlich zu machen. Jünger Petrus ist in der modernen Lesart „so etwas wie der Sprecher der Gruppe“, Verräter Judas „so etwas wie der Manager“. Und Jesus? „Heute würde man sagen: Er ist ein erfolgreicher Influencer.“

Die Mischung aus modernem Anstrich, theologisch niederschwelliger Ansprache und einer Besetzung voller RTL-Promis gebiert im Laufe des Abends dann einige denkwürdige Szenen. Etwa Jesus alias Klaws, der von deutschen Polizisten verhaftet und in einen Transporter gepfercht wird. Dort trifft er auf Wolfgang Bahro, den ewigen Bösewicht Jo Gerner aus der RTL-Serie „Gute Zeiten, schlechte Zeiten“. Als Jesus ihm die Absolution erteilt, berühren sich Vorabend-Seifenoper und Christentum: „Noch an diesem Tag wirst du mit mir im Himmel sein.“
Nur bei RTL: Jesus im Einkaufszentrum in Essen
Eine Szene spielt auch in einem Einkaufszentrum, in dem Kinder ein Selfie mit Jesus wollen („Hey Leute! Da ist Jesus!“), eine andere an einer Imbissbude, an der sich der Heiland das Brot für das Abendmahl besorgt. Currywürste gibt es obendrauf – und einen erstaunten Ex-Fußballmanager Reiner Calmund, der gerade Wurst mümmeln will. Es gibt auch Werbepausen, Gottschalk verspricht zuvor: „Jesu Hinrichtung steht unmittelbar bevor.“ Dann wird etwa Haarpflege gezeigt.
In die Hauptrollen schlüpfen neben Klaws die Sängerin Ella Endlich (Maria), der Schauspieler Mark Keller (Judas) sowie Musiker Laith Al-Deen (Petrus). Schauspieler Henning Baum („Der letzte Bulle“) bekommt – obwohl auf der Buhmann-Rolle Pontius Pilatus besetzt – Szenenapplaus. Er ist gebürtiger Essener. Als Jünger sind etwa Trompeter Stefan Mross, „Brisant“-Moderatorin Mareile Höppner und der Sänger Gil Ofarim zu sehen, der jüngst in die Schlagzeilen geraten war, weil die Staatsanwaltschaft Leipzig ihn wegen Verleumdung und falscher Verdächtigung angeklagt hatte. RTL erklärte, an seinem Auftritt in Einspielfilmen ändere dies nichts, da bis zu einer juristischen Klärung die Unschuldsvermutung gelte.
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Kritik keimt in den sozialen Netzwerken auf, als der Song „Und wenn ein Lied“ gespielt wird, ein Lied der Söhne Mannheims. Xavier Naidoo hatte sich unter anderem mit der Gruppe einen Namen als Soulsänger gemacht. In den vergangenen Jahren wurde ihm Nähe zu rechtsextremen Verschwörungserzählungen vorgeworfen.
Am Ende steht Klaws erleuchtet weit über den Zuschauern auf einem Haus und singt: „Halt dich an mir fest, wenn das alles ist, was bleibt.“ Und Gottschalk zieht ein gewagtes Fazit von der Premiere eines für Deutschland einzigartigen TV-Events. „Es war keine Sekunde peinlich“, sagt er. Am Donnerstag bestätigt RTL: Es gibt konkrete Überlegungen für eine weitere Ausgabe 2023. (dpa)
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