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Angesichts der Sorgen vor einem möglichen russischen Einmarsch trainierte die ukrainische Armee bereits Anfang Februar eine Verteidigung der Atomkraftwerke des Landes – hier in Pripyat in der radioaktiv verseuchten Zone rund ums ehemalige Atomkraftwerk Tschernobyl.
  • Angesichts der Sorgen vor einem möglichen russischen Einmarsch trainierte die ukrainische Armee bereits Anfang Februar eine Verteidigung der Atomkraftwerke des Landes – hier in Pripyat in der radioaktiv verseuchten Zone rund ums ehemalige Atomkraftwerk Tschernobyl.
  • Foto: picture alliance/dpa/Ukrinform

„Gezielt beschossen“: Welche Gefahr geht von Ukraines Atomkraftwerken aus?

Beobachter hatten seit Kriegsbeginn immer wieder davor gewarnt: Wenn Putins Truppen die Atomkraftwerke in der Ukraine angreifen, könnte das verheerende Folgen haben. Bislang konnte die heimische Armee die Meiler gegen die russischen Angreifer verteidigen – in der Nacht wurde aber zum ersten Mal ein AKW „gezielt beschossen“, hieß es aus Kiew. Ein Feuer brach aus, erhöhte Strahlung wurde allerdings nicht gemessen. Wie groß ist die Gefahr, falls das nochmal passiert – auch für den Rest Europas?

Die Lage sei „extrem angespannt“: Der Bürgermeister von Enerhodar, einem Ort in der Nähe des ukrainischen Atomkraftwerks Saporischschja, hat die Menschen am Freitagmorgen dazu aufgerufen, ihre Häuser nicht zu verlassen. „Wir empfehlen, zu Hause zu bleiben“, schrieb Dmytro Orlow im Nachrichtenkanal Telegram. 

In der Nacht war auf dem Gelände des AKW ein Feuer ausgebrochen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj sprach von einem „gezielten Beschuss“ von Reaktorblöcken durch russische Panzer. Der Brand konnte glücklicherweise bis zum Morgengrauen gelöscht werden, doch die Nachrichten lösten bei vielen Menschen große Sorgen aus. Wie gefährlich ist die Lage? Und was droht, wenn Putin weitere der insgesamt 15 Reaktoren des Landes angreifen sollte?

„Ein Desaster, das sogar weitaus schlimmer wäre als die Katastrophe von Fukushima von 2011“

Das Worst-Case-Szenario wäre wohl dramatisch: Würden etwa die sechs Meiler des Kernkraftwerks Saporischschja komplett zerstört, wären die Auswirkungen verheerend, sind sich Expert:innen einig. So twitterte etwa der ukrainische Außenminister Dmytro Kuleba am Morgen mit Blick auf Saporischschja: „Wenn es explodiert, wird es zehnmal größer als Tschernobyl!“

Auch in einer von Greenpeace beauftragten Studie fürchtet man „ein Desaster, das sogar weitaus schlimmer wäre als die Katastrophe von Fukushima von 2011“. Hunderte Kilometer um das AKW könnten über Jahrzehnte unbewohnbar sein. Von Auswirkungen nicht nur auf die Ukraine, sondern auf ganz Russland und ganz Europa sprechen die Autor:innen gar.

„Radiologische Auswirkungen auf Deutschland sind derzeit nicht zu befürchten“

Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) hatte angesichts der Kämpfe um die Atom-Ruine in Tschernobyl vergangene Woche bereits vor einem Atomunfall gewarnt. Die Ministerin sehe „mit großer Sorge das anhaltende Risiko eines Atomunfalls in der Ukraine aufgrund des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges Russlands“, sagte ein Ministeriumssprecher den Zeitungen der Funke Mediengruppe. 

Aber: Einen Super-GAU mit in einem der Atomkraftwerke fürchten Experten derzeit nicht. Der Kernphysiker Heinz Smital etwa erklärte jüngst im Gespräch mit dem „Spiegel“, es „bräuchte schon einen mehr oder weniger gezielten Angriff auf ein Atomkraftwerk, damit dort ein GAU ausgelöst wird.“ Das sehe er derzeit nicht. Allerdings: Das Interview fand vor dem aktuellen Brand in Saporischschja statt.


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Am Freitagmorgen schrieb Smital auf Twitter: „Soviel ich weiß, läuft nur mehr Block 4, das Feuer betrifft das Schulungscenter“. Die Gefahr einer Kernschmelze bestehe nicht unmittelbar, so der Kernphysiker weiter. „Tschernobyl hatte einen Graphitkern, brachte Radioaktivität in große Höhen und weite Verteilung bis Europa, das ist hier nicht der Fall.“ Die Situation sei trotzdem kritisch, so Smital.

Und wie groß ist die Gefahr aktuell für Deutschland? Das Bundesumweltministerium gab jüngst leichte Entwarnung: „Radiologische Auswirkungen auf Deutschland sind nach dem Stand der verfügbaren Informationen nicht zu befürchten“, hieß es am Mittwoch.

Ministerium warnt vor Einnahme von Jodtabletten

Auch vor einer anlasslosen Einnahme von Jodtabletten warnte das Ministerium eindringlich. Diese sollen laut dem  Bundesamt  für Strahlenschutz (BfS) im Falle eines nuklearen Unfalls als Schutz vor einer Einlagerung von radioaktivem Jod in die Schilddrüse schützen.

Lesen Sie auch: Kämpfe an AKW, Forderungen nach Nato-Einsatz – die aktuelle Kriegslage im Überblick

„Aufgrund der Entfernung zur Ukraine ist nicht damit zu rechnen, dass eine Einnahme von Jodtabletten erforderlich werden könnte“, schrieb das Ministerium auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur. Diese berge „erhebliche gesundheitliche Risiken, hat aktuell aber keinerlei Nutzen“. Zuvor hatte bereits der Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEA), Rafael Grossi, aufgrund der anhaltenden Kämpfe im Krisengebiet vor der Gefahr eines Atomunfalls gewarnt. Das Problem: Die Meiler in der Ukraine seien veraltet und daher gefährdeter.

Kiew: Putin überzieht die Ukraine mit „Nuklear-Terror“

Selenskyj warf Russland nach dem russischen Angriff auf Saporischschja „Nuklear-Terror“ vor. Kein anderes Land der Welt habe jemals Atomanlagen beschossen, sagte Selenskyj in einer in der Nacht zum Freitag veröffentlichten Videobotschaft. „Der Terroristen-Staat verlegt sich jetzt auf Nuklear-Terror.“ Offenbar wolle Russland die Atomkatastrophe von Tschernobyl „wiederholen“.

Das Unglück von Tschernobyl am 26. April 1986 gilt als die größte Katastrophe in der zivilen Nutzung der Atomkraft. Infolge eines fehlgeschlagenen Experiments explodierte damals der Reaktor Vier. Das Unglück, das gut 100 Kilometer nördlich der ukrainischen Hauptstadt Kiew geschah, gilt als die größte Atomkatastrophe der zivilen Nutzung der Kernkraft. Hunderttausende Menschen wurden zwangsumgesiedelt. Tausende starben. Bis heute sind weite Landstriche in den ehemaligen Sowjetrepubliken Ukraine, Belarus und Russland verstrahlt. (km/mik)

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