Regierungsstreit um Reformen: Im Herbst wird es ungemütlich
Sommer der Erholung? Eher nicht. Die Koalition streitet über zentrale Themen. Im Herbst könnte es ungemütlich werden.
In der schwarz-roten Koalition knirscht es vor dem angekündigten „Herbst der Reformen“. Union und SPD streiten vor allem über den Kurs in der Steuer- und Sozialpolitik. Bundeskanzler Friedrich Merz (CDU) sagte beim Tag der offenen Tür der Bundesregierung in Berlin, im Herbst werde sich die Bundesregierung sehr viel stärker auf wirtschafts- und sozialpolitische Themen konzentrieren müssen. „Das wird für uns im Herbst eine anstrengende Arbeit.“
Beim Parteitag der niedersächsischen CDU in Osnabrück sagte Merz am Samstag: „Ich bin mit dem, was wir bis jetzt geschafft haben, nicht zufrieden. Das muss mehr werden.“ Es brauche eine Neuausrichtung der Sozialpolitik.
Klingbeil: Sozialstaat nicht in Bausch und Bogen reden
Bundesfinanzminister und SPD-Chef Lars Klingbeil betonte die Notwendigkeit von Sozialreformen. „Wir müssen da jetzt richtig ran“, sagte Klingbeil in einer Gesprächsrunde mit Bürgern in seinem Ministerium. Er machte aber ein sozial ausgewogenes Vorgehen zur Bedingung. Man dürfe den Sozialstaat nicht in Bausch und Bogen reden. „Was nicht funktionieren wird, ist, dass man sagt, wir sparen jetzt 30 Milliarden beim Sozialstaat ein“, sagte der Vizekanzler. Es müsse am Ende ein Gesamtpaket sein, das alle in der Gesellschaft herausfordern werde. Klingbeil hatte zuvor Forderungen bekräftigt, dass Top-Verdiener höhere Steuern zahlen sollen.
Merz: Kommunikation muss besser werden
Die schwarz-rote Bundesregierung aus CDU, CSU und SPD ist seit Anfang Mai im Amt. Merz sagte am Samstag auf einem Parteitag der CDU Niedersachsen in Osnabrück, zwar seien eine neue Migrationspolitik und Impulse für eine wirtschaftliche Wende angestoßen worden. Der Kanzler zeigte sich dennoch unzufrieden.
Um zu zeigen, dass Deutschland erfolgreich aus der Mitte heraus regiert werden könne, wünsche er sich eine SPD, die den gemeinsamen Weg „migrationskritisch und industriefreundlich“ fortsetzt, forderte der Kanzler. Zudem müsse die Kommunikation der Koalition besser werden. Sowohl die SPD als auch die eigene Partei rief der CDU-Chef auf, nicht übereinander, sondern miteinander zu reden.
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Vor allem die vor der Sommerpause geplatzte Wahl von neuen Richtern für das Bundesverfassungsgericht hatte für Konflikte in der Koalition gesorgt. Breite Debatten gab es auch über die Entscheidung, entgegen der Ankündigung im Koalitionsvertrag die Stromsteuer nicht für alle zu senken.
Lars Klingbeil bleibt bei seiner Linie
Derzeit sorgt vor allem die Steuerpolitik für Streit. Auch nach der Kritik aus der Union bleibt Vizekanzler Klingbeil bei seiner Linie. Er sagte den Zeitungen der Funke-Mediengruppe, er habe als sozialdemokratischer Finanzminister und Parteichef eine Grundüberzeugung: „Menschen, die sehr hohe Vermögen und Einkommen haben, sollten ihren Teil dazu beitragen, dass es in dieser Gesellschaft gerechter zugeht. Gerade in diesen extremen Zeiten.“ Wenn CSU-Chef Markus Söder oder Unionsfraktionschef Jens Spahn andere Ideen hätten, wie die Haushaltslücke von 30 Milliarden Euro geschlossen werden könnte, höre er sich diese gerne an, sagte Klingbeil. Der SPD-Wirtschaftsexperte Sebastian Roloff konkretisierte im „Handelsblatt“, es ist „nur fair, Spitzeneinkommen zum Beispiel ab 20.000 Euro monatlich etwas mehr zu belasten“.
Söder schließt Steuererhöhungen aus
Die Union hatte bereits auf den Koalitionsvertrag verwiesen, der keine Steuererhöhungen vorsieht. Merz sagte in Osnabrück: „Mit dieser Bundesregierung unter meiner Führung wird es eine Erhöhung der Einkommenssteuer für die mittelständischen Unternehmen in Deutschland nicht geben.“
Auch CSU-Chef Markus Söder schloss Steuererhöhungen kategorisch aus. Er fordert das Gegenteil: „Wir müssen endlich anfangen, die Steuern zu senken“, sagte Söder im Sommerinterview der ARD-Sendung „Bericht aus Berlin“ an die Adresse von Schwarz-Rot in Berlin mit Blick auf den Koalitionsvertrag. „Wir haben uns eigentlich vorgenommen, die Einkommenssteuer zu reduzieren. Das wäre unser Ziel – gerade auch für den Mittelstand, gerade für die Fleißigen, für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer.“ Söder verlangte zudem dringend Reformen beim Bürgergeld.
Anke Rehlinger: Keine Denkverbote
Die saarländische Ministerpräsidentin und stellvertretende SPD-Vorsitzende Anke Rehlinger sagte der „Bild am Sonntag“: „Wir sollten uns nicht von vornherein irgendwelche Denkverbote auferlegen.“ Was die SPD sich überlege, sei „für die sehr reichen Menschen in diesem Land“. „Im Koalitionsvertrag haben wir die klare Aussage getroffen, kleine und mittlere Einkommen zu entlasten. Dazu eine Unternehmenssteuerreform für wirtschaftliche Impulse. Aber ich glaube, dass es gut ist, den Zoom ein bisschen aufzuziehen.“

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Rehlinger meint damit auch die Erbschaftssteuer. „Wir können nochmal einen Blick auf die Erbschaftssteuer werfen.“ Die biete sehr viele Gestaltungsspielräume, die oft „zu einer ganz geringen Steuerlast führen“.
Reformen des Sozialstaats
Für Sozialleistungen wie Bürgergeld, Wohngeld und Kinderzuschlag sollen ab September in einer neuen Kommission Reformvorschläge gemacht werden. Bundesministerin Bärbel Bas (SPD) richtete dazu eine Sozialstaatskommission ein. Das Gremium soll entsprechend dem Koalitionsvertrag bis Ende 2025 Ergebnisse vorlegen.
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Hintergrund sind in den kommenden Jahren erwartete weitere stark steigende Kosten in den Sozialsystemen. Wirtschaftsverbände beklagen seit langem, dadurch werde der Faktor Arbeit teurer. Wirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) hatte zudem eine Debatte über eine längere Lebensarbeitszeit ausgelöst.
Kanzler-Appell an die SPD
Merz bekräftigte, es brauche eine Neuausrichtung der Sozialpolitik. „Ich werde mich durch Worte wie Sozialabbau und Kahlschlag und was da alles kommt nicht irritieren lassen“, sagte er. „Der Sozialstaat, wie wir ihn heute haben, ist mit dem, was wir volkswirtschaftlich leisten, nicht mehr finanzierbar“ Er mache es den Sozialdemokraten bewusst nicht leicht, sagte Merz. „Aber der Appell richtet sich an uns alle: Lasst uns zusammen zeigen, dass Veränderungen möglich sind, dass Reformen möglich sind.“
Linnemann: Sozialstaat nicht mehr finanzierbar
CDU-Generalsekretär Linnemann sagte der „Neuen Osnabrücker Zeitung“: „So drängend waren Reformen selten. Das letzte Mal hatten wir so einen Moment vor 20 Jahren.“ Vor der Agenda 2010 habe es über fünf Millionen Arbeitslose gegeben.
„Heute sind es andere Herausforderungen, aber das Land steht wie damals mit dem Rücken zur Wand, weil der Sozialstaat nicht mehr finanzierbar geworden ist.“ In der „Agenda 2010“ setzte der damalige Kanzler Gerhard Schröder (SPD) tiefgreifende Reformen in der Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik durch. (dpa)
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