Gefährliche Gehirnwäsche: Wie Putin die russische Bevölkerung „zombisiert“
Sie wurden beim Fahrradfahren erschossen, mit auf dem Rücken gefesselten Händen getötet, sie wurden vergewaltigt und gefoltert: Hunderte Menschen in der Ukraine sind in den vergangenen Wochen Opfer abscheulicher Kriegsverbrechen geworden. Sie wurden allem Anschein nach von russischen Soldaten begangen. Was weltweit Entsetzen auslöste, wurde in Russland geleugnet oder uminterpretiert – und die Bevölkerung glaubte es. Wie kann das sein? Oder anders ausgedrückt: Wie funktioniert eigentlich Gehirnwäsche?
Eigentlich sind die Fakten eindeutig: Nach dem Abzug russischer Soldaten aus Butscha und anderen Vororten Kiews wurden dort Hunderte Leichen entdeckt. Viele von ihnen waren bis zur Unkenntlichkeit verbrannt, andere wiesen Spuren von Folter auf. Satellitenbilder belegen, dass die Toten dort zum Teil wochenlang lagen. Dennoch bestreitet die russische Staatsführung bis heute, für die Kriegsverbrechen verantwortlich zu sein. Präsident Wladimir Putin verlieh den in Butscha eingesetzten Soldaten jüngst sogar eine Ehren-Auszeichnung.
Sie wurden beim Fahrradfahren erschossen, mit auf dem Rücken gefesselten Händen getötet, sie wurden vergewaltigt und gefoltert: Hunderte Menschen in der Ukraine sind in den vergangenen Wochen Opfer abscheulicher Kriegsverbrechen geworden. Sie wurden allem Anschein nach von russischen Soldaten begangen. Was weltweit Entsetzen auslöste, wurde in Russland geleugnet oder uminterpretiert – und die Bevölkerung glaubte es. Wie kann das sein? Oder anders ausgedrückt: Wie funktioniert eigentlich Gehirnwäsche?
Eigentlich sind die Fakten eindeutig: Nach dem Abzug russischer Soldaten aus Butscha und anderen Vororten Kiews wurden dort Hunderte Leichen entdeckt. Viele von ihnen waren bis zur Unkenntlichkeit verbrannt, andere wiesen Spuren von Folter auf. Satellitenbilder belegen, dass die Toten dort zum Teil wochenlang lagen. Dennoch bestreitet die russische Staatsführung bis heute, für die Kriegsverbrechen verantwortlich zu sein. Präsident Wladimir Putin verlieh den in Butscha eingesetzten Soldaten jüngst sogar eine Ehren-Auszeichnung.
Auch sonst findet sich in der russischen Öffentlichkeit kaum ein Wort des Bedauerns für die Opfer. Wieso ist das so?
Die Bevölkerung in Russland wird „zombisiert“
„Die Bilder aus Butscha wurden im russischen Fernsehen überwiegend gar nicht gezeigt. Und wenn sie gezeigt wurden, dann hieß es dazu: ,Alles Fake, da liegen ukrainische Schauspieler’“, erklärt die Russland-Expertin Dr. Regina Heller (51) im MOPO-Interview. Sie arbeitet am Hamburger Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik und erklärt: „Fakten, also unabhängig belegbare Informationen, werden von russischen Staatsmedien unter Heranziehen falscher Informationen widerlegt.“
Im Gegensatz zu Deutschland sei die Presse in Russland nämlich nicht frei. „Fast alle Medien dort stehen unter staatlicher Kontrolle“, erklärt Heller. „Die Funktion von Medien in Russland ist nicht die gleiche wie bei uns. Hierzulande dienen Medien der Information, in Russland sind sie ein Instrument der Regierung, um ihre Politik zu unterstützen. Es gibt täglich Vorlagen aus dem Kreml, was berichtet werden soll und wie.“ Wer das nicht tue, riskiere wortwörtlich sein Leben, sagt Heller. „Es gab in den letzten Jahren zahlreiche Morde an Journalisten, die nicht so berichtet haben, wie vom Kreml gewünscht.“

Die komplett vereinheitlichte Berichterstattung führe zu einer „Zombiesierung“ der russischen Bevölkerung, erklärt die Expertin weiter. Die Menschen würden „manipuliert, sodass alle im Prinzip wie Zombies sind. Man kann sich dem auch gar nicht wirklich entziehen: Fernseher an und los geht die Propaganda. Den ganzen Tag, auf allen Kanälen, immer das Gleiche.“
Das habe gravierende Folge, so Heller weiter: „Russinnen und Russen scheinen nahezu alles zu glauben, was aus dem Kreml kommt. Das geht sogar so weit, dass sie ihre Freunden oder Verwandten in der Ukraine der Lüge bezichtigen, wenn diese ihnen vom Krieg und den russischen Gräueltaten erzählen.“
„Die breite Masse in Russland lernt keine kritische Hinterfragung“
Wie kann das sein? Dass das Offensichtliche, dass Fakten derart verdreht werden und so eine neue, erlogene „Wahrheit“ entsteht, die alle glauben? Der Psychologe Alexander Bodansky (41) von der Universität Hamburg erklärt: „Augen, Ohren, unsere Sinne, das funktioniert überall auf der Welt gleich. Wie wir das, was sie auffangen, aber wahrnehmen und bewerten, das ist kulturell geprägt.“
Um beim Beispiel Butscha zu bleiben: „Die Fakten sind: Da liegt ein Toter. Die Gründe, warum dieser Mensch da tot liegt, sind aber Interpretation – und das macht den Unterschied“, sagt Bodansky zur MOPO. Vereinfacht ausgedrückt: Wenn ich nicht selbst weiß, warum dieser Mensch tot ist, glaube ich das, was man mir zu den Todesumständen mitteilt – und das wird in Russland vom Kreml gesteuert. „Der Kreml ist in Russland eine wichtige Sozialisationsinstanz“, erklärt Bodansky. Und das, was er mitteilt, „trifft auf eine willige Zuhörerschaft.“

Wieso aber hinterfragt die russische Bevölkerung diese Informationen nicht? „Die breite Masse in Russland lernt keine kritische Hinterfragung. Das wird in den Schulen nicht vermittelt, in den Unis auch nur ganz rudimentär“, sagt Heller. „Und auch in den Medien findet ja keine kritische Betrachtung statt. Es gibt nur eine ,Wahrheit‘, nämlich die des Kreml. Etwas anderes kennen die meisten Menschen in Russland nicht und sie glauben auch nicht, dass es überhaupt existiert.“
„Wir ignorieren Tatsachen gerne, die nicht zu unserem Weltbild passen“
Psychologe Bodansky ergänzt: „Die Annahme, dass etwas, das mir gesagt wird, nicht stimmt, ist für mich extrem kostspielig.“ Denn, erklärt er weiter: „Dann müsste ich ja meine komplette Weltanschauung über Bord werfen“ – und das sei sehr anstrengend, verwirrend und unrealistisch. „Der Mensch tendiert ganz generell dazu, eher Gedanken zu akzeptieren, von denen er vorher schon dachte, dass sie der Wahrheit entsprechen“, so Bodansky.

Umgekehrt bedeutet das: „Wir ignorieren Tatsachen gerne, die nicht zu unserem Weltbild passen“, erklärt der Psychologe. Man habe das auch ganz gut beim Thema Impfen gegen Corona beobachten können: Wer sich partout nicht piksen lassen will, ignoriert einfach ganz konsequent alle wissenschaftlichen Beweise, die ohne Zweifel fürs Impfen sprechen.
Insofern gibt es „die“ eine Wahrheit gar nicht, auch und vor allem in diesem Krieg nicht, sagt Bodansky. „Fakten entstehen immer in dem Netzwerk, das sie umgibt.“
„Russland versucht eine staatliche Gehirnwäsche“
Ist das, was Putin und seine Gefolgsleute mit Hilfe der Staatsmedien in Russland tun, also gezielte Gehirnwäsche? „Ich glaube schon, dass man das sagen kann: Russland versucht eine staatliche Gehirnwäsche“, sagt Heller. Konkret werde Russinnen und Russen „seit Jahren eingeimpft: In der Ukraine sind alle Nazis.“
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Dieses Narrativ sei entscheidend: „Der Sieg über die echten Nazis in Deutschland im Zweiten Weltkrieg, das ist für Russinnen und Russen, für die kollektive Erinnerungskultur sehr wichtig. Daran dockt der Kreml seit Jahren mit seiner Rhetorik von den angeblichen Nazis in der Ukraine an“, erklärt Heller.
Interessant in diesem Zusammenhang ist auch die Rolle Putins: „Wenn man sich Russland seit seiner Machtübernahme anschaut, dann fällt auf: Unter ihm ist das Land viel unfreier geworden, vor allem in Bezug auf die Medien“, erklärt Russland-Expertin Heller. „In den 90ern gab es eine deutlich unabhängigere, vielfältigere russische Medienlandschaft. Doch seit den frühen 2000ern ist das anders. Eine von Putins ersten Amtshandlungen war, die Medien unter staatliche Kontrolle zu stellen.“
Seine Macht und sein Einfluss seien derzeit unangetastet, beschreibt Heller weiter. „Wir erleben im Moment den sogenannten ,rally around the flag‘-Effekt. In Krisenzeiten versammelt sich ein Volk hinter seinem Anführer und in Russland wird das befeuert durch die ständige Propaganda vom bösen Westen und den Nazis in der Ukraine.“
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Das zu durchbrechen sei „schwer, aber nicht unmöglich“, erklärt Heller. „Es gibt in Russland traditionell schon eine kritische Distanz zum Staat und zu staatlichen Strukturen. Die Impfbereitschaft bei Corona etwa war nicht sonderlich hoch – trotz oder vielleicht gerade wegen des hauseigenen Impfstoffs.“ Heller sieht darin „ein unterschwelliges Potenzial, sich gegen Führung zu erheben, das im Moment aber nicht ausgelebt werden kann.“ Vielleicht aber in Zukunft: „Es bräuchte ein perfektes Zeitfenster und einen krassen Urknall wie etwa den völligen wirtschaftlichen Zusammenbruch, damit sich das Volk gegen Putin auflehnt.“