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Eine junge Ukrainerin lernt, wie man eine AK-47-Waffe bedient. Die Bevölkerung ist aufgerufen, mit allen Mitteln ihr Land zu verteidigen.
  • Eine junge Ukrainerin lernt, wie man eine AK-47-Waffe bedient. Die Bevölkerung ist aufgerufen, mit allen Mitteln ihr Land zu verteidigen.
  • Foto: DANIEL LEAL/AFP

Putin hat sich verrechnet: Kann die Ukraine den Krieg wirklich gewinnen?

Mit ihrer Kampfkraft haben die ukrainischen Streitkräfte überrascht. Doch nun werden bittere Wochen erwartet, weil die russischen Truppen umso härter vorgehen, auch um den Preis ziviler Opfer. Ist Putins Niederlage völlig utopisch – oder nur eine Frage der Zeit?

Zwischen Partisanenkampf und Volksaufstand: Mit schnellen und flexiblen Schlägen haben ukrainische Soldaten die russische Offensive verlangsamt und stellenweise gar in den Rückwärtsgang gezwungen. Das hatten auch viele westliche Militärexperten kaum erwartet und überschlagen sich nun vor Bewunderung. Fest steht: Der russische Präsident Wladimir Putin hat sich mit seinem Angriffskrieg gründlich verrechnet.

Putin glaubte wohl an einen Sieg binnen vier Tagen

Nehme man die Versorgung der russischen Soldaten mit Treibstoff und Lebensmitteln zum Maßstab, müsse Putin an einen Sieg binnen vier Tagen geglaubt haben, sagte ein westlicher Regierungsvertreter in Berlin. Stattdessen habe sich die Kolonne der Angreifer – wegen Spritmangels, mechanischer Ausfälle und ukrainischer Angriffe – auf bis zu 70 Kilometer gestaut. Dazu sei ein Vertrauensverlust russischer Soldaten gekommen, von denen einige erst beim Überqueren der Grenze verstanden hätten, dass dies keine Übung, sondern ein echter Kriegseinsatz sei.


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Mit der Lieferung von leichten, schultergestützten Waffen unterstützen Nato-Staaten – inzwischen auch Deutschland – die Taktik der Ukraine. 1000 moderne Panzerfäuste und 500 Stinger-Flugabwehrraketen wurden aus Berlin geliefert. Sie zwingen russisches Fluggerät in Höhen von teils über 3000 Metern. Wodurch die Treffgenauigkeit sinkt.

Ex-Nato-General: „Putin hat nicht mit diesem heldenhaften Widerstand der Ukrainer gerechnet“

Putin lässt es nun verstärkt mit der Brechstange versuchen. Wo er keinen militärischen Erfolg habe, lasse er umso brutaler dazwischen schlagen, sagte der ehemalige Nato-General Hans-Lothar Domröse der Deutschen Presse-Agentur. „Die erhofften Bilder, winkende Frauen mit Blumensträußen und strahlende Kinder, die waren ja nicht da. Er hat wahrscheinlich nicht mit diesem heldenhaften Widerstand der ukrainischen Bevölkerung, angeführt von diesem vorbildlichen Präsidenten Selenskyj gerechnet.“

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Die Ukrainer kämpften schon jetzt partisanenartig und bereiteten damit der russischen Militärmacht Probleme. „Das ist ein Partisanenkrieg der allergrößten Art. Das ist ein Afghanistan 2.0, was er erlebt. Die ergeben sich nicht, ganz offensichtlich – und das ist wohl auch richtig“, meinte Domröse. „Das ist ein Fass ohne Boden. Das ist kein easy win für ihn. Das wird fürchterlich.“

Ex-Nato-General Hans-Lothar Domröse picture alliance / dpa | Valda Kalnina
Ex-Nato-General Hans-Lothar Domröse
Ex-Nato-General Hans-Lothar Domröse

Auch der frühere Nato-General Egon Ramms sagte am Sonntagabend im ZDF, der Krieg könne „von der Bevölkerung in der Ukraine weitergeführt werden, wenn die Streitkräfte im Prinzip keine Kampfhandlungen mehr machen.“ Und, so Ramms weiter: „Das ist das, was ich erwarte.“

Die Rollen seien klar verteilt, glaubt Domröse: Die Ukraine könne den Krieg moralisch gewinnen, Putin könne ihn technisch-taktisch gewinnen. Er werde die Ukraine im schlimmsten Fall zerschlagen und die Bevölkerung als Geisel nehmen. Erste Priorität müsse nun „humanitäre Hilfe haben. Bis hin zum Butterbrot. Alles was den Menschen hilft“, so der Generalleutnant a.D. „Jedem Menschen, den Babys, den Müttern, den Vätern. Menschlichkeit.“

Kann die Ukraine den Krieg wirklich gewinnen?

Was die Möglichkeit eines militärischen Sieges der Ukraine angeht, war Domröse aber überaus skeptisch. Ein anderer, noch aktiver ranghoher Offizier meinte, ein Sieg käme einer Art Wunder gleich. Allerdings könne die Ukraine den Vormarsch erheblich verzögern, während um die Welt die Bilder von Toten und Verletzen gehen, auch unter den russischen Soldaten.

Menschen aus derselben Familie liegen tot auf dem Boden, nachdem die russische Armee den Evakuierungspunkt von Irpin (Ukraine) bei Kiew beschossen hat. picture alliance/dpa/EUROPA PRESS | Diego Herrera
Menschen aus derselben Familie liegen tot auf dem Boden, nachdem die russische Armee den Evakuierungspunkt von Irpin (Ukraine) bei Kiew beschossen hat.
Menschen aus derselben Familie liegen tot auf dem Boden, nachdem die russische Armee den Evakuierungspunkt von Irpin bei Kiew beschossen hat.

Dagegen sagte Ramms, er halte einen Sieg der Ukraine durchaus für möglich. „Ich bin nach wie vor überzeugt, dass die Ukraine, das Volk und die Streitkräfte, diesen Krieg gewinnen können. Ich glaube, dass Russland den Kampfeswillen und die Moral der ukrainischen Bevölkerung und der ukrainischen Soldaten völlig falsch einschätzt.“ In nur zehn Tagen hätten die Russen schließlich 280 Panzer und 60 Jagdbomber verloren – fast so viele wie in Afghanistan in zehn Jahren.

Französischer Außenminister: „Der Preis für den Krieg wird unerträglich werden“

Auch der französische Außenminister Jean-Yves Le Drian glaubt trotz heftiger Verluste an einen Sieg der Ukraine über die angreifenden russischen Streitkräfte. „Ich glaube, dass die Ukraine gewinnen wird“, sagte Le Drian am Sonntag dem Sender France 5. „Was seit zehn Tagen am meisten auffällt, ist die starke Widerstandsfähigkeit der Ukraine, in einem Ausmaß, das sich die Experten nicht vorstellen konnten.“

Le Drian warnte allerdings, dass die russische Armee nun zu einer „Belagerungslogik“ übergehe. „Wir haben das Beispiel von Grosny, wir haben das Beispiel von Aleppo und es wird wieder passieren“, sagte der Minister. 1999 hatten russische Truppen die Stadt Grosny in Tschetschenien zerstört, 2016 waren sie an der Zerstörung von Aleppo in Syrien beteiligt. „Ich denke, was man in Mariupol entdecken wird, wenn der Krieg vorbei ist, wird schrecklich sein“, sagte Le Drian und warnte vor einem ähnlichen Schicksal für Odessa und Kiew.

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Der Minister zeigte sich zuversichtlich, dass die westlichen Sanktionen gegen Russland Putin langfristig von weiteren Aggressionen abhalten würden. „Wir haben beträchtliche Sanktionspakete verhängt, deren Auswirkungen schwer wiegen und meiner Meinung nach immer schwerer wiegen werden“, sagte er dem französischen Sender. „Der Preis für den Krieg wird unerträglich werden und Präsident Putin wird irgendwann vor die Wahl gestellt, entweder große Auswirkungen auf das Funktionieren Russlands zu haben oder Verhandlungen aufzunehmen.“ (mik/dpa/afp)

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