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Die Erfassung der Arbeitszeit ist Pflicht, urteilten Deutschlands höchste Arbeitsrichter.
  • Die Erfassung der Arbeitszeit ist Pflicht, urteilten Deutschlands höchste Arbeitsrichter.
  • Foto: picture alliance/dpa

Paukenschlag-Urteil: Zeiterfassung im Job ist Pflicht

Ist die Vertrauensarbeitszeit bald passé? Diese Frage stellt sich nach einem Urteil des Bundesarbeitsgerichts. Während in Politik und Wirtschaft noch über eine Änderung des Arbeitszeitgesetzes diskutiert wird, schaffen die Richter Fakten – mit Auswirkungen auf die Arbeitswelt vieler Menschen.

Einen Paukenschlag nennt der Bonner Arbeitsrechtsprofessor Gregor Thüsing das Grundsatzurteil des Bundesarbeitsgerichts in Erfurt zur generellen Pflicht, Arbeitszeit zu erfassen. Die Entscheidung der höchsten deutschen Arbeitsrichter könnte eine Art digitale Stechuhr zurückbringen. Was wird dann aus Vertrauensarbeitszeitmodellen, mobilem Arbeiten und Homeoffice mit wenig Kontrolle und Papierkram?

Jetzt ist höchstrichterlich entschieden: Es besteht in Deutschland eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung (1ABR 22/21). Die Präsidentin des Bundesarbeitsgerichts, Inken Gallner, begründete die Pflicht von Arbeitgebern zur systematischen Erfassung der Arbeitszeiten ihrer Beschäftigten mit der Auslegung des deutschen Arbeitsschutzgesetzes nach dem sogenannten Stechuhr-Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH).

„Wenn man das deutsche Arbeitsschutzgesetz mit der Maßgabe des Europäischen Gerichtshofs auslegt, dann besteht bereits eine Pflicht zur Arbeitszeiterfassung“, sagte Gallner in der Verhandlung. Nach dem deutschen Arbeitszeitgesetz müssen bisher nur Überstunden und Sonntagsarbeit dokumentiert werden. Gallner weiter: „Zeiterfassung ist auch Schutz vor Fremdausbeutung und Selbstausbeutung.“

Brisante Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts

Mit seinem Grundsatzurteil prescht das Bundesarbeitsgericht in der Debatte um die Änderung des Arbeitszeitgesetzes vor. Die Bundesregierung arbeitet daran, Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs aus dessen Stechuhr-Urteil von 2019 umzusetzen. Danach sind die EU-Länder zur Einführung einer objektiven, verlässlichen und zugänglichen Arbeitszeiterfassung verpflichtet. Die soll helfen, ausufernde Arbeitszeiten einzudämmen und Ruhezeiten einzuhalten.

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„Die Frage ist, ob Regelungen zu Vertrauensarbeitszeit so wie bisher noch möglich sind“, so Arbeitsrechtler Thüsing. Sieht es also schlecht aus für Homeoffice und mobiles Arbeiten? „Die heutige Entscheidung betrifft Arbeitnehmer deutschlandweit – egal ob ein Betriebsrat besteht oder nicht“, sagt Arbeitsrechtler Michael Fuhlrott aus Hamburg. „Wie das im Einzelnen umgesetzt werden soll, ist aber noch weitgehend unklar.“ Die Kehrseite von Vertrauensarbeit seien teils unbezahlte Überstunden, argumentieren Gewerkschafter.

Eigentlich ging es bei dem Fall nur um die Frage, ob Betriebsräte auf die Einführung eines elektronischen Arbeitszeiterfassungssystems pochen können. Der Betriebsrat scheiterte mit seiner Forderung, bei der es ihm um die bessere Überstundendokumention ging. Eine betriebliche Mitbestimmung oder ein Initiativrecht sei ausgeschlossen, wenn es bereits eine gesetzliche Verpflichtung zur Arbeitszeiterfassung gibt, begründete das Bundesarbeitsgericht seine Ablehnung. Dass der Rechtsstreit zu einem Grundsatzurteil führte, überraschte die Anwälte des Betriebsrats und des Arbeitgebers, der Sozial- und Gesundheitseinrichtungen betreibt. (dpa/miri)

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