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Katrin-Göring sprach beim MOPO-Interview über die Lage in Afghanistan, das Versagen der Regierung und mögliche Koalitionen nach der Wahl.
  • Katrin-Göring sprach beim MOPO-Interview über die Lage in Afghanistan, das Versagen der Regierung und mögliche Koalitionen nach der Wahl.
  • Foto: Patrick Sun

Grünen-Chefin im MOPO-Interview: „Was die Regierung macht, ist absurd“

Verzweiflung, Todesangst, Massenflucht: Dass Afghanistan so schnell nach Abzug der internationalen Truppen im Chaos versinken könnte, sei nicht vorhersehbar gewesen, behauptet die Bundesregierung. Das ist Quatsch, sagen die Grünen, die schon im Juni im Bundestag über einen Antrag zur raschen Evakuierung einheimischer Ortskräfte und Deutscher abstimmen ließen. Ihre Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt erklärt im MOPO-Interview, warum Heiko Maas und Co. komplett versagt haben – und sie dennoch nichts von Rücktrittsforderungen hält.

MOPO: Frau Göring-Eckardt, die Grünen haben im Juni über einen Antrag abstimmen lassen, ob und wie man Deutsche und afghanische Ortskräfte möglichst schnell nach Deutschland holt. Der Antrag wurde abgelehnt – auch von SPD und Union.
Katrin Göring-Eckardt: Ja, unglaublich. Wenn ich in einer Partei wäre, die das Wort „christlich“ im Namen trägt, dann hätte ich gesagt: „Wir wollen diejenigen sein, die da vorangehen. Die ihre Verantwortung kennen und ernst nehmen. Wir holen unsere Leute da raus und die, die für uns gearbeitet haben und jetzt gefährdet sind, auch. Und zwar sofort.“

Mit Ihnen in der Regierung wäre das also anders gelaufen?
Ja. Wir hätten im Kabinett darüber geredet: Was machen wir, wenn wir abziehen aus Afghanistan? Wenn die Amerikaner abziehen? Wir hätten den Schutz der Ortskräfte zum Teil der Abzugsstrategie gemacht. Diesen Antrag, über den jetzt im Bundestag abgestimmt wurde, haben wir bereits 2019 eingereicht. Doch die Bundesregierung hat die Aufnahme der Ortskräfte immer wieder verschleppt. Und es geht hier nicht nur um Deutschlands Verantwortung, sondern auch um das Bild, das der demokratische Westen insgesamt abgibt. Unsere Glaubwürdigkeit hat sehr gelitten.

Göring-Eckardt beim Redaktionsbesuch mit MOPO-Chefredakteur Maik Koltermann (v. l.), Politikredakteur Kristian Meyer und Politikchefin Miriam Khan. Patrick Sun
Göring-Eckardt beim Redaktionsbesuch mit MOPO-Chefredakteur Maik Koltermann (v. l.), Politikredakteur Kristian Meyer und Politikchefin Miriam Khan.
Göring-Eckardt beim Redaktionsbesuch mit MOPO-Chefredakteur Maik Koltermann (v. l.), Politikredakteur Kristian Meyer und Politikchefin Miriam Khan.

Der Einsatz ist ja auch für Ihre Parteigeschichte nicht unerheblich.
Ja, ich bin damals dabei gewesen, als der Afghanistan-Einsatz beschlossen wurde. Ich habe nach 9/11 mit meinen Fraktionskolleg:innen dafür gestimmt. Und es gab ja auch Dinge, die erreicht wurden: dass Frauen etwas freier leben konnten zum Beispiel oder dass Mädchen in die Schule gehen konnten. Aber jetzt steht zu befürchten, dass sie sich wieder komplett aus der Öffentlichkeit zurückziehen und teilweise auch um ihr Leben fürchten müssen.

Katrin Göring-Eckardt: Mit den Grünen wäre Rettung aus Kabul anders gelaufen

Was werfen Sie der Regierung vor?
Sich jetzt hinzustellen und zu sagen: „Wir haben das falsch eingeschätzt“, das finde ich absurd. Die Regierung hat Zugriff auf Geheimdienstberichte, es gab Warnungen der Deutschen Botschaft, NGOs wie Caritas, Diakonie oder Ärzte ohne Grenzen berichten seit Langem über die zunehmend gefährliche Lage vor Ort. Und trotzdem war Innenminister Seehofers größte Sorge, wenige Tage bevor Kabul an die Taliban gefallen ist, ob er weiter dorthin abschieben kann. Auf einen echten Abschiebestopp warten wir übrigens noch immer.

Hat die Regierung die Lage bewusst ignoriert?
Die Regierung hat versucht, sich der Debatte zu entziehen, und sich nur auf die positiven Szenarien vorbereitet. Und sie hat damit diese völlig chaotische Evakuierung zu verantworten. Das zeigt einmal mehr: Das Reden davon, dass man ganz viel Erfahrung braucht fürs Regieren, führt offenbar nicht dazu, dass man gut regiert. Eigentlich ist genau das Gegenteil der Fall. Mich schockiert das wirklich.

Grüne Göring-Eckardt: Umgang mit Ortskräften war eine Katastrophe

Bedeutet: Die Regierung hat versagt?
Die Regierung hat versagt, das muss man ganz klar und eindeutig sagen. Der Umgang mit den Ortskräften war eine Katastrophe mit Ansage. Das hat die Regierung zu verantworten, vom Außenminister, dem Innenminister, der Verteidigungsministerin bis hin zur Kanzlerin und dem Vizekanzler – schließlich sind es die beiden, die die Regierung koordinieren sollten!

Müssten dann nicht die Verantwortlichen, allen voran Außenminister Heiko Maas und Verteidigungsministerin Annegret Kramp-Karrenbauer, zurücktreten?
Ich finde, sie sollten jetzt endlich ihren Job machen. Jetzt geht es darum, zu helfen. Aber ihr Versagen muss zu einem späteren Zeitpunkt politisch aufgearbeitet werden. Aber davon, dass Heiko Maas oder Annegret Kramp-Karrenbauer jetzt kurz vor der Bundestagswahl zurücktreten, hat in Afghanistan niemand etwas. Das hilft keinem der bedrohten Menschen dort.

Was würde denn helfen?
Dass man die Menschen so schnell wie möglich rausholt.

Grüne Göring-Eckardt: Gespräch mit Afghanistans Nachbarländern suchen

Also sind die Grünen die Flüchtlingsretter-Partei?
Hier geht’s erst mal um Anstand. Und ich finde, jede Demokratin und jeder Demokrat muss diesen Anstand besitzen, die Menschen zu schützen, die für uns gearbeitet haben und jetzt deshalb in Lebensgefahr schweben. Die Menschen sind gerade innerhalb Afghanistans auf der Flucht. Die Grenzen sind dicht. Viele von ihnen werden sagen: Wir bleiben in einem Nachbarstaat, in der Hoffnung nach Hause zurückzukommen. Deshalb müssen wir nun auch das Gespräch mit Afghanistans Nachbarländern suchen, wie wir sie darin unterstützen können, für diese Flüchtlinge zu sorgen. Und deshalb müssen wir auch das UN-Flüchtlingswerk UNHCR finanziell und politisch weit mehr unterstützen.

Katrin Göring-Eckardt im Gespräch mit der MOPO Patrick Sun
Katrin Göring-Eckardt im Gespräch mit der MOPO
Katrin Göring-Eckardt im Gespräch mit der MOPO

Im Herbst wird in Deutschland eine neue Regierung gewählt. In welcher Wunsch-Koalition würden Sie denn regieren wollen?
Es geht bei Koalitionen nicht um Wünsche, sondern, darum, mit wem wir am meisten grüne Inhalte umsetzen können. Und klar ist, dass Klimaschutz die höchste Priorität haben muss! Doch die Kanzlerkandidaten von Union und SPD wollen noch nicht einmal einen früheren Kohleausstieg. Da sind Olaf Scholz und Armin Laschet Brüder im Geiste. Die Verhandlungen wären in jedem Fall schwierig. Was ich mir wünsche, ist daher, dass wir so stark wie möglich werden und die nächste Regierung anführen.

Geht den Grünen die Luft aus?

Neuste Zahlen aber zeigen: Die Grünen sind jetzt nur noch drittstärkste Kraft. Geht ihnen die Luft aus?
Sicher nicht. Die Umfragen zeigen, wie dicht Union, SPD und wir Grüne liegen. Alles ist drin, dieser Wahlkampf ist nichts für schwache Nerven. Aber ja, am Anfang sind auch Fehler passiert.

Welche denn?
Darüber wurde ja viel berichtet. Und Annalena Baerbock hat Fehler auch eingestanden. Nichts weggedrückt. Sondern das durchgestanden. So gehen wenig andere in der Politik mit Fehlern um. Und jetzt geht es darum, nach vorne zu schauen.

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Das klingt ein wenig naiv.
Wir wussten, das wird ein echt harter Wahlkampf, in dem uns nichts geschenkt wird. Aber wir erfahren viel Zustimmung, nicht nur an den Wahlkampfständen. Es ist uns als Partei in den letzten Jahren gelungen, Bündnisse zu schmieden mit Gewerkschaften, Klimaschützerinnen, Wirtschaftsvertretern und vielen anderen. Das trägt uns, wenn der Wind im Wahlkampf steif von vorne weht. 

Eigentlich liegt doch alles da: das Hochwasser, die Waldbrände. Das sind doch alles Themen, die Sie in Ihrer Kernkompetenz haben. Wie kann das sein, dass Sie offensichtlich nicht bei den Menschen verfangen als „Hey, wir kümmern uns um genau das!“-Partei?
Das sehe ich anders. Die Menschen wissen doch längst, dass die Klimakrise nicht nur eine weit entfernte Pazifikinsel bedroht, sondern auch bei uns ganz real ist und wir endlich handeln müssen.

Die Umfragezahlen geben das aber nicht her.
Wir stehen bei zwischen 17 und 20 Prozent. Mehr als doppelt so stark wie bei der letzten Wahl.

Sind die Grünen eine Verbotspartei?

Das war doch schon mal mehr.
Und da geht auch noch mehr. Bei der letzten Bundestagswahl lagen wir bei 8,9 Prozent. Seither hat sich eine Menge bewegt. Und trotzdem:  Wir wollen gestalten, unser Land voranbringen. Und das geht am besten mit einer grünen Kanzlerin. 

Die Grünen sind teils immer noch als Verbotspartei verschrien. Wollen Sie so auch regieren? Über Verbote?
Dieser Vorwurf verfängt doch längst nicht mehr. Regulierung und Rahmenbedingungen setzen sind ganz normaler Teil des Regierens. Es geht nicht darum, den Menschen etwas vorzuschreiben, sondern wir müssen an die Strukturen ran. Das ist politisch – und nicht individuell.  

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Und wie kriegt man die Menschen zu mehr Klimaschutz?
Die Menschen, die Unternehmen sind da oft schon viel weiter, als manche denken. Es ist wichtig, dass wir jetzt Tempo machen. Und zur Erinnerung: Die Klimaschutzziele haben sich nicht die Grünen ausgedacht, sondern Deutschland hat sich mit dem Pariser Klimaabkommen völkerrechtlich verpflichtet, die CO2-Emissionen zu senken. Das haben damals übrigens nicht wir unterschrieben. Leider, denn wir haben nicht regiert. Aber jetzt hat auch das Bundesverfassungsgericht dazu eine Entscheidung getroffen. Klimaschutz ist nicht etwas, das wir uns aussuchen können, es zu machen oder nicht. Und es reicht auch nicht, sich einfach Ziele zu setzen, sondern es braucht auch wirksame und soziale gerechte Maßnahmen, wie wir diese Ziele erreichen können. Die Bundesregierung, Union und SPD, haben etwa beschlossen, dass der CO2-Preis steigen wird. Aber sie haben keine Überlegungen angestellt, wie man einen Ausgleich schafft für die Menschen, die sich höhere Benzinpreise nicht mal so einfach leisten können. 

Und die Grünen schon?
Ja. Wir planen ein Energiegeld, mit dem wir den CO2-Preis, der auf klimaschädliche Güter gezahlt wird, 1:1 an die Bürgerinnen und Bürger zurückgeben. Dann kriegt jemand mit einem kleineren CO2-Fußabdruck – jemand mit einer kleineren Wohnung, oder wer nur ein kleines oder gar kein Auto hat – am Ende sogar etwas zusätzlich aufs Konto. Und diejenigen, die einen großen Fußabdruck haben – die tragen auch finanziell mehr bei. Das ist sozialer Ausgleich. 

Die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt kämpft leidenschaftlich für ihre Themen. Patrick Sun
Die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt kämpft leidenschaftlich für ihre Themen.
Die Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt kämpft leidenschaftlich für ihre Themen.

Stichwort: Sie hätten gern regiert. Sind Sie eigentlich manchmal traurig, dass, als Sie Spitzenkandidatin waren, das Momentum nicht so da war? Dass die Grünen damals nicht aufs Kanzleramt schielen konnten?
Traurig bin ich da nicht. Aber ich ärgere mich sehr, weil wir beim Klimaschutz und anderen Fragen schon so viel weiter sein könnten, wenn Christian Lindner bei den Jamaika-Verhandlungen nicht kalte Füße bekommen hätte und abgehauen wäre. Manche Maßnahmen, die wir jetzt wegen des Nichtstuns der Großen Koalition im Hauruck-Verfahren aufs Gleis setzen müssen, hätten wir längst anpacken können. Das zeigt: Nicht-Handeln hat einen hohen Preis. 

Darum sind Frauen oft die besseren Politikerinnen

Wir haben jetzt schon eine sehr lange Zeit eine Kanzlerin. Auch die Grünen haben eine Frau aufgestellt fürs Kanzlerrennen …
Ja, und die beiden Männer von Union und SPD machen gerade vor allem beim Klimaschutz gar keine gute Figur.

Also sind Frauen die besseren Politikerinnen?
Natürlich sind Frauen nicht per se die besseren Menschen. Aber: Ich glaube, die Tatsache, dass Frauen – gerade in der Politik – immer nochmal mehr kämpfen müssen, um gehört zu werden, das führt dazu, dass sie häufig tougher sind und mehr im Blick haben. Und dieses „Sich Durchsetzen müssen“ ist auch wichtig, wenn man zum Beispiel mit lauter Leuten am Tisch sitzt, die denken, dass das fossile Zeitalter immer so weiter gehen könnte. Meine Enkelin hat mich mal gefragt, ob‘s theoretisch denkbar ist, dass auch Männer Kanzlerin sein können. Meine Antwort: „Im Prinzip ja. Aber ich denke, diesmal nicht.“

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