x
x
x
Der U.S. General Kenneth McKenzie bei einer Pressekonferenz 2019.
  • Der U.S. General Kenneth McKenzie bei einer Pressekonferenz 2019.
  • Foto: dpa

„Tragischer Fehler“: US-Militär tötete in Kabul Unschuldige und Kinder

Der Abzug der internationalen Truppen aus Afghanistan endete im Chaos. Kurz vor Schluss starteten US-Militärs einen Drohnenangriff, um – wie sie annahmen – einen drohenden Anschlag am Flughafen zu verhindern. Doch das stellte sich als „tragischer Fehler“ heraus.

Das US-Militär hat eingeräumt, bei einem Drohnenangriff in der afghanischen Hauptstadt Kabul Ende August unschuldige Zivilisten statt Extremisten getötet zu haben. Der Luftangriff sei ein „tragischer Fehler“ gewesen, sagte General Kenneth McKenzie, der das US-Zentralkommando Centcom führt, am Freitag in einer Videoschalte vor Journalisten. Eine Untersuchung habe gezeigt, dass bis zu zehn Unschuldige, darunter bis zu sieben Kinder, ums Leben gekommen seien. Man halte es für unwahrscheinlich, dass das Fahrzeug und die getöteten Personen eine direkte Bedrohung für die US-Streitkräfte dargestellt hätten oder mit Isis-K, einem Ableger der Terrormiliz IS, in Verbindung gestanden hätten.

US-Verteidigungsminister: Aus dem schrecklichen Fehler lernen

US-Verteidigungsminister Lloyd Austin sprach den Familien der Getöteten sein Beileid aus und erklärte: „Wir entschuldigen uns und werden uns bemühen, aus diesem schrecklichen Fehler zu lernen.“ Er habe angeordnet, zu untersuchen, inwiefern Abläufe bei künftigen Drohnenangriffen womöglich geändert werden müssten.

Das könnte Sie auch interessieren: Meinung: Terroristen abschieben? So leicht ist es nicht

Nach der Machtübernahme der radikal-islamischen Taliban in Afghanistan Mitte August hatten die USA und ihre internationalen Partner eine groß angelegte Militär-Evakuierungsmission gestartet, um westliche Staatsbürger und schutzbedürftige Afghanen außer Landes zu bringen. Inmitten des Evakuierungseinsatzes wurden Ende August bei einer Terrorattacke des IS, der mit den Taliban verfeindet ist, vor dem Flughafen von Kabul Dutzende Afghanen und 13 US-Soldaten getötet. Die USA reagierten daraufhin mit Luftangriffen und nahmen Kämpfer von Isis-K ins Visier.

Dronenschlag in Kabul: „Große Menge Sprengstoff“ im Auto

Das US-Militär hatte zunächst mit einem Drohnenangriff in der afghanischen Provinz Nangarhar nach eigenen Angaben zwei ranghohe Vertreter von Isis-K getötet. In Kabul wiederum griff das US-Militär am 29. August unweit des Flughafens mit einer Drohne ein Auto an, in dem die Amerikaner ebenfalls Isis-K-Anhänger vermuteten. Argumentiert wurde, dadurch sei möglicherweise ein weiterer schwerer Terrorangriff am Flughafen verhindert worden.

Auf diesem Archivbild vom Sonntag, 29. August 2021, begutachten Afghanen die Schäden am Haus der Familie Ahmadi nach einem US-Drohnenangriff in Kabul, Afghanistan. Das US-Militär hat einen US-Luftangriff in der afghanischen Hauptstadt Kabul Ende August als „tragischen Fehler” bezeichnet. dpa
Auf diesem Archivbild vom Sonntag, 29. August 2021, begutachten Afghanen die Schäden am Haus der Familie Ahmadi nach einem US-Drohnenangriff in Kabul, Afghanistan. Das US-Militär hat einen US-Luftangriff in der afghanischen Hauptstadt Kabul Ende August als „tragischen Fehler” bezeichnet.
Afghanen begutachten am 29. August 2021 die Schäden nach dem US-Drohnenangriff in Kabul. Das US-Militär sprach von einem „tragischen Fehler”.

Medien hatten bereits kurz nach diesem Luftanschlag berichtet, dass mehrere Zivilisten bei der Drohnenattacke ums Leben gekommen seien. Die USA hatten dies nicht direkt zurückgewiesen, sondern eine Prüfung angekündigt. Generalstabschef Mark Milley hatte den Angriff aber noch nach ersten Berichten über mögliche zivile Opfer verteidigt.

CIA warnte Sekunden vor Angriff: Zivilisten im Auto

Das US-Militär hatte ursprünglich mitgeteilt, in dem zerstörten Fahrzeug habe sich „eine große Menge Sprengstoff“ befunden, die womöglich zu weiteren Opfern geführt habe. Man wisse nun mehr, sagte Pentagon-Sprecher John Kirby am Freitag. Der Sender CNN berichtete, dass der US-Auslandsgeheimdienst CIA kurz dem Angriff davor gewarnt habe, dass sich wahrscheinlich Zivilisten in dem Fahrzeug aufhielten. Die Warnung sei nur Sekunden vor dem Luftschlag erfolgt, so CNN unter Berufung auf mit der Situation vertraute Quellen. Eine offizielle Bestätigung gab es dafür zunächst nicht.

McKenzie sagte ausdrücklich: „Ich bin heute hier, um das geradezurücken und unseren Fehler einzugestehen.“ Der Schlag sei in dem ernsten Glauben ausgeführt worden, dass er eine unmittelbare Bedrohung der Streitkräfte verhindern würde. „Aber das war ein Fehler.“ Das US-Militär bedaure dies zutiefst.

Das könnte Sie auch interessieren: Die skurrilen Erlebnisse von Reportern, die zu Taliban reisten

Minutengenau legte McKenzie bei seinem Auftritt die Abläufe in den Stunden vor dem Luftschlag dar und präsentierte eine Karte, auf der die Bewegungen des getroffenen Autos nachgezeichnet wurden. Es habe sich nicht um einen „überstürzten Angriff“ gehandelt, betonte er. Man habe das Fahrzeug zuvor acht Stunden lang beobachtet und sei sehr besorgt gewesen, dass es sich in Richtung Flughafen bewegte. Die Amerikaner rechneten dort in den letzten Tagen vor dem Abzug des US-Militärs mit weiteren Anschlägen.

US-Regierung erwägt Entschädigungszahlungen

McKenzie entschuldigte sich für die dramatische Fehleinschätzung, verteidigte den Drohnenangriff aber mit der vermuteten Bedrohung und betonte, es habe sich um einen Selbstverteidigungsschlag gehandelt. Auf Nachfrage sagte der General, man erwäge Entschädigungszahlungen. Konkreter wurde er nicht. Er betonte aber: „Als Kommandant bin ich voll verantwortlich für den Angriff in seinem tragischen Ausgang.“


Starten Sie bestens informiert in Ihren Tag: Der MOPO-Newswecker liefert Ihnen jeden Morgen um 7 Uhr die wichtigsten Meldungen des Tages aus Hamburg und dem Norden, vom HSV und dem FC St. Pauli direkt per Mail. Hier klicken und kostenlos abonnieren.


Aus Afghanistan wurden trotzdem Forderungen nach Konsequenzen laut. „Gut zu sehen, dass die Wahrheit vom Pentagon anerkannt wird“, twitterte die Vorsitzende der Unabhängigen Afghanischen Menschenrechtskommission, Schaharsad Akbar. „Jetzt Wiedergutmachung und Gerechtigkeit“, forderte sie. „Es wirkt so, als wollten die USA mit einer Entschuldigung alles abschließen“, sagte der prominente afghanische Fernsehmoderator Muslim Schirsad. Doch das allein könne den Schmerz der Hinterbliebenen nicht lindern. Er forderte die USA auf, Entschädigungen zu zahlen.

Tragödie bei Luftangriff in Kabul: Fehler wiegt schwer für Biden

„Präsident Biden trägt die letzte Verantwortung“, reagierte der Republikaner Jim Inhofe, der auch im Verteidigungsausschuss des Senats sitzt. „Sein überstürzter Abzug der US-Truppen aus Afghanistan hat unser Militär mit der unmöglichen Aufgabe zurückgelassen, Terroristen ohne Personal oder Partner vor Ort zu bekämpfen.“ Ex-Präsident Donald Trump zufolge sind die USA noch nie so „blamiert und gedemütigt“ worden. Die Regierung habe zeigen wollen, dass sie „harte Kerle“ seien, viele Menschen seien wegen „inkompetenter Generäle“ getötet worden.

US-Präsident Joe Biden bei einer Pressekonferenz kurz nach dem Terroranschlag beim Kabuler Flughafen. dpa
US-Präsident Joe Biden bei einer Pressekonferenz kurz nach dem Terroranschlag beim Kabuler Flughafen.
US-Präsident Joe Biden bei einer Pressekonferenz kurz nach dem Terroranschlag beim Kabuler Flughafen.

Die letzten US-Truppen hatten Kabul Ende August, also kurz nach dem Drohnenangriff, verlassen. Damit endete der internationale Militäreinsatz in Afghanistan nach fast 20 Jahren. Die Regierung von Präsident Joe Biden war wegen des Truppenabzugs und der chaotischen Umstände international bereits massiver Kritik ausgesetzt. Der dramatische und so folgenreiche Fehler bei dem Drohnenangriff in Kabul wiegt daher für die Biden-Regierung besonders schwer. (dpa/ncd)

Email
Share on facebook
Share on twitter
Share on whatsapp