Ein Sanitäter versorgt einen verletzten Soldaten

Ein Sanitäter versorgt einen verletzten Soldaten. (Archivbild) (Foto: Evgeniy Maloletka/AP/dpa)

Deutscher im Ukraine-Krieg: „Schlimm ist, wenn wir auswählen müssen, wem wir helfen“

Russlands Angriffskrieg fordert in der Ukraine täglich Opfer – vor allem an der Front. „Schlimm ist für uns, wenn wir auswählen müssen, wem wir noch helfen“, sagt der Sanitäter Michael. Er befindet sich als Deutscher mitten im Kriegsgeschehen.

In ihren geländegängigen Kleintransportern können die Helfer in der Ukraine nur zwei Schwerstverletzte gleichzeitig transportieren. Auch Sanitäter Michael aus Deutschland ist in unmittelbarer Frontnähe im Donezker Gebiet im Einsatz.

Deutscher Sanitäter Michael hat schon einige Soldaten sterben sehen

„Wir müssen nach vorn fahren, den Verwundeten abholen, und anschließend wieder wegfahren“, berichtet der 39-Jährige. „Da müssen wir ihn erstversorgen. Und dann müssen wir ihn zum Stabilisierungspunkt fahren.“ So ein Umlauf könne gut zwei bis drei Stunden dauern. Nicht immer überlebt der Patient – Michael, der seinen Nachnamen nicht veröffentlicht sehen will, hat schon einige Soldaten sterben sehen.



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Russlands Angriffskrieg in der Ukraine dauert nun fast drei Jahre. Er habe nach Kriegsbeginn zu Hause in Norddeutschland gesessen und nachgedacht, erzählt der Sanitäter im Gespräch mit der Deutschen Presse-Agentur. „Habe mir dann gesagt: Pass auf, das machst du dein halbes Leben dann schon hauptberuflich“, begründet er den Schritt, in die Ukraine zu fahren. Die erste Reise war im März 2023.

Im zurückliegenden Jahr absolvierte Michael bereits vier Einsätze, jeder dauerte jeweils einen Monat. Dafür habe er auch unbezahlten Urlaub genommen, erzählt er. Verständnis für seinen freiwilligen Einsatz findet der 39-Jährige dabei nicht bei allen in seinem Umfeld. „Manche finden es bescheuert. Sie sagen: Das ist nicht unser Krieg“, sagt er kopfschüttelnd. Andere unterstützen ihn aber und bewundern seinen Einsatz, den sie sich selbst nicht vorstellen können.

„Schlimm ist für uns, wenn wir auswählen müssen“

Zunächst ist Michael 2023 zuerst mit einer deutschen und später einer US-amerikanischen Hilfsorganisation bei Kramatorsk und Pokrowsk im Gebiet Donezk im Einsatz. Danach beginnt er, in der polnischen Sanitätsorganisation „W miedzyczasie“ (Deutsch: „In der Zwischenzeit“) zu arbeiten, die bei der gefährlichen Evakuierung verletzter Soldaten von der Frontlinie tätig ist.

Gefragt nach den schlimmsten Fällen, hat der Berufssanitäter keine schnelle Antwort parat. „Schlimm ist für uns, wenn wir auswählen müssen, wem wir noch helfen und wem nicht“, sagt er nach längerem Zögern. Die sogenannte Triage, das Kategorisieren und Priorisieren von Patienten, falle beim Einsatz am schwersten.

Hunderttausende ukrainische Verwundete seit Kriegsbeginn

Durch den starken Artillerie- und Drohneneinsatz haben die Sanitäter vor allem mit Splitterverletzungen und dem Verlust von Gliedmaßen zu tun, so Michael.

Die ukrainische Präsidentengattin, Olena Selenska, bezifferte kürzlich die Zahl aller ukrainischen Kriegsinvaliden, zu denen nicht nur Amputierte gehören, seit Beginn der russischen Invasion auf etwa 300.000. Das britische Magazin „The Economist“ ging Ende November auf Basis verschiedener Quellen von etwa 400.000 ukrainischen Verwundeten aus. 60.000 bis 100.000 ukrainische Soldaten seien gefallen. Zahlen, die, wie die Journalisten einräumen, nur schwer überprüfbar seien.

Kein Unterschied zwischen ukrainischen und russischen Verletzten 

Wichtig ist dem Sanitäter aus Norddeutschland, dass in seinem Team nicht zwischen ukrainischen Soldaten und russischen Kriegsgefangenen differenziert wird. „Das hat für uns nie einen Unterschied gemacht, denn das steht mir in meinen Augen als Sanitäter nicht zu, so etwas zu entscheiden.“ Alle russischen Verwundeten seien genauso behandelt und versorgt worden wie die anderen. Zehn oder zwölf seien es inzwischen bereits gewesen. 

Psychologin hilft Rettern bei der Verarbeitung

Auch unter Beschuss blieb Michael nach eigener Schilderung bisher eher ruhig. „Das Erlebte verfolgt mich nicht, wenn ich allein oder zu Hause bin“, sagt er. Dennoch spreche er mit anderen darüber und in der polnischen Organisation gebe es auch eine freiberufliche Psychologin, die Rettern bei der Verarbeitung hilft. „Das, denke ich, ist ein ganz, ganz wichtiger Punkt.“

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Allen Risiken zum Trotz werde er 2025 wieder in die Ukraine fahren. „Ich habe halt auch einfach mittlerweile viele Freunde und Bekannte“, sagt Michael. „Auf jeden Fall würden wir uns immer noch gerne Odessa angucken.“ Doch für einen Besuch in der Stadt am Schwarzen Meer müsse der Krieg erst enden. (dpa)

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