Zehn-Sekunden-Grapsch-Urteil: Protest und Empörung in Italien
Sexuelle Belästigung bleibt sexuelle Belästigung – egal wie lange der Übergriff dauert: Diese Botschaft verbreiten gerade zahlreiche junge Italiener:innen mit kurzen Videos auf Social Media. Anlass dafür ist das Urteil eines Gerichts in Rom. Das hatte einen 66-jährigen Mann freigesprochen, der einer 17-Jährigen in die Hose gegriffen hatte. Begründung: Der Übergriff habe weniger als zehn Sekunden gedauert.
Auf Instagram und TikTok gibt es sie gerade massenweise: kurze Videos mit Hashtags wie #10secondi (auf Deutsch: „10 Sekunden“) oder #palpatabreve (etwa: „kurzes Betatschen“). Die Männer und Frauen, die sie hochladen, sind wütend. Meist schauen sie schweigend in die Kamera – und filmen sich dabei, wie sie sich zehn Sekunden lang an die Brust oder in den Intimbereich fassen. Oder fassen lassen. Daneben läuft eine Stoppuhr, die auf zehn Sekunden getimt ist. Den ersten Beitrag dieser Art postete der „White Lotus“-Schauspieler Paolo Camilli, seitdem folgten ihm Tausende Menschen. Unter vielen Videos sind entsetzte Texte zu lesen, teils gibt es User:innen, die sogar ankündigen, gegen die Gerichtsentscheidung angehen zu wollen.
Italien: 17-Jährige wird von Hausmeister begrapscht
Vor wenigen Tagen wurde in dem Prozess in der italienischen Hauptstadt über die Klage der 17-Jährigen entschieden – zugunsten des 66-jährigen Grabschers, der der Hausmeister ihrer Schule ist. Im April vergangenen Jahres soll er ihr auf einer Treppe von hinten in die Hose gefasst und unter ihren Slip gegriffen haben. Vor Gericht gab der Mann zu, den Hintern der 17-Jährigen berührt zu haben, sagte aber, er habe ihr nicht unter die Hose gegriffen. Den Übergriff tat er als Scherz ab. Das Gericht schlug sich auf die Seite des Angeklagten – und sprach ihn frei, weil keine „Straftat zu erkennen“ gewesen sei. Bizarre Begründung: Der Übergriff habe weniger als zehn Sekunden gedauert und sei deswegen zwar „ungeschickt, aber frei von lüsternen Absichten“. Die Staatsanwaltschaft hatte eine Haftstrafe für den Mann gefordert.
Das könnte Sie auch interessieren: Nach Porno-Vorfall: So will die Uni jetzt gegen Sexismus vorgehen
Die Freispruch-Begründung löste nun die Protestwelle aus. Die Meinung vieler Nutzer:innen ist: Übergriff bleibt Übergriff – unabhängig von seiner Dauer. Gegenüber der italienischen Zeitung „Corriere della Sera“ äußerte sich die 17-Jährige. Fassungslos sagte sie nach dem Urteil: „Die Richter fassen das als Scherz auf? Für mich war das kein Scherz.“ Sie habe die Hände des Mannes mehr als deutlich gespürt. Nun fühle sie sich doppelt betrogen – von ihrer Schule und vom Rechtssystem.
In Italien ist es nicht das erste Mal, dass ein sexueller Übergriff von einem Gericht als Witz abgetan wird. Ein 65-Jähriger wurde 2016 freigesprochen – seine Übergriffe gegen Kolleginnen wurden damals als „unreifer Humor“ eingestuft. In Italien ist jede vierte Frau bereits Opfer von sexueller Gewalt geworden. Viele Expert:innen sehen darin ein Zeichen, dass die Gleichberechtigung noch lange nicht in der italienischen Gesellschaft angekommen sei. (alp)