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Eine Figur des emeritierten Papstes Benedikt XVI. hängt an einer Fassade am Kapellenplatz im Zentrum von Altötting.
  • Eine Figur des emeritierten Papstes Benedikt XVI. hängt an einer Fassade am Kapellenplatz im Zentrum von Altötting.
  • Foto: picture alliance/dpa | Peter Kneffel

Skandal-Gutachten über Ex-Papst: „Kirche entmachten“? Was Experten fordern

Gutachten zu sexuellem Missbrauch in der katholischen Kirche hat es schon einige gegeben – doch das Münchner Gutachten vom Donnerstag schlug ein wie eine Bombe. Die Schockwellen sind auch zwei Tage später noch heftig. Hat die Kirche überhaupt noch eine Zukunft?

Jahrelang gab es im Erzbistum München und Freising immer wieder Fälle von sexuellem Missbrauch. Als wäre das nicht schon schlimm genug, kommt nun ein Gutachten zu dem Schluss: Die Kirche hat versucht, das alles zu vertuschen und im Umgang mit Opfern kolossal versagt. Maßgeblich daran beteiligt: der ehemalige Erzbischof Joseph Ratzinger, der spätere Papst Benedikt XVI.

Kirchenrechtler: Ratzinger hat sich „komplett ruiniert“

Das Gutachten war vom Bistum selbst bei der Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) in Auftrag gegeben und Donnerstag vorgestellt worden. Es ist für die katholische Kirche vernichtend, sind sich Experten einig. So habe sich etwa Ratzinger mit seiner 82 Seiten langen Stellungnahme, die Teil des Gutachtens ist und in der er auf Fragen von WSW eingeht, „komplett ruiniert“, sagte der Kirchenrechtler Thomas Schüller von der Westfälischen Wilhelms-Universität in Münster zum Bayerischen Rundfunk (BR). „Er hatte die letzte Chance, ehrlich zu sein, Verantwortung zu übernehmen. Er hatte als hochbetagter Mensch die letzte Chance zu sagen, ich habe es nicht böse gemeint, ich war vielleicht auch unerfahren, aber ich sehe ein, ich habe Fehleinschätzungen vorgenommen.“ Doch stattdessen habe Ratzinger nur verlauten lassen: „Er war’s nicht, er war’s nicht“, klagte Schüller an.

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In der Tat hatte Ratzinger in seiner Stellungnahme sämtliche gegen ihn erhobenen Vorwürfe zurückgewiesen. Das fertige Gutachten habe der heute 94-Jährige bislang allerdings noch nicht ausführlich studiert, zitierte die Nachrichtenseite „Vatican News“ am Donnerstag Ratzingers Privatsekretär Georg Gänswein. Gleichwohl drücke der 2016 zurückgetretene Papst „wie er es bereits mehrmals in den Jahren seines Pontifikats getan hat, seine Scham und sein Bedauern aus über den von Klerikern an Minderjährigen verübten Missbrauch und erneuert seine persönliche Nähe und sein Gebet für alle Opfer“, so Gänswein weiter. Ratzinger lebt seit seinem Amtsverzicht in einem Kloster im Vatikan.


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Mit dem nun veröffentlichten Gutachten sind die Missbrauchsskandale der letzten Jahre endgültig im Zentrum der katholischen Kirche angelangt. Das bekräftigte auch der Sprecher der Opferinitiative „Eckiger Tisch“, Matthias Katsch, im Interview mit dem „Spiegel“. Darin sprach Katsch von einer „historischen Erschütterung“ der Kirche. „Wir erleben hier den Zusammenbruch eines Denkmals“, sagte er in Bezug auf die Vorwürfe gegen Benedikt. 

„Ich glaube nicht mehr, dass die Kirche allein die Aufarbeitung schafft“

Gleichzeitig werden Forderungen nach mehr Kontrolle laut. „Nachdem das eine Never-Ending-Story zu sein scheint, sollte der Staat alle Kindertagesstätten und Schulen unter Beobachtung stellen, bei denen es eine Trägerschaft der katholischen Kirche gibt, oder sogar über einen Entzug der Trägerschaft nachdenken“, forderte der Strafrechtsprofessor Holm Putzke. Die Kirchen müssten von Gesetzes wegen genauso behandelt werden wie jede andere Vereinigung. „Für irgendeine besondere Rücksichtnahme, man kann es auch als ,Beißhemmung‘ bezeichnen, besteht überhaupt kein Anlass“, sagte Putzke der Deutschen Presse-Agentur.

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Auch das Zentralkomitee der deutschen Katholiken (ZdK) forderte mehr politische Einflussnahme. „Ich glaube nicht mehr, dass die Kirche allein die Aufarbeitung schafft“, sagte ZdK-Präsidentin Irme Stetter-Karp am Freitag im Inforadio des rbb und brachte „einen Ausschuss im Parlament“ ins Spiel.

Maria 2.0: „Die römische Kirche muss sich entmachten“

Ähnlich äußerte sich Lisa Kötter, Mitinitiatorin der katholischen Reformbewegung Maria 2.0. Im Gespräch mit der MOPO sagte sie: „Der Staat muss endlich eingreifen. Die Justiz muss unabhängige Räume schaffen für Klagen, Aufklärung und Aufarbeitung und womöglich die Wiederherstellung von Gerechtigkeit oder wenigstens von Recht. So ein monarchisches Sonderrecht im Rechtsstaat darf nicht geduldet werden.“ Das sei schon lange eine Forderung von Maria 2.0 und auch von Betroffenenverbänden, so Kötter. „Denn wie soll die Organisation der Täter ihre eigenen Taten aufklären? Wie kann es ihr obliegen, über die Anerkennung der Opfer zu entscheiden?“

Lisa Kötter ist einer Mitinitiatorinnen der Bewegung Maria 2.0. Ralf Baumgarten
Lisa Kötter ist einer Mitinitiatorinnen der Bewegung Maria 2.0.
Lisa Kötter ist einer Mitinitiatorinnen der Bewegung Maria 2.0.

Kötter geht aber sogar noch einen Schritt weiter: „Die römische Kirche muss sich entmachten. Sie muss den Menschen trauen, so wie Jesus den Menschen traute, anstatt ihnen Angst zu machen und vor ihnen Angst zu haben. Oder sie wird schrumpfen zum ,heiligen‘, sich selbst ständig bestätigenden und sich gegenseitig weihenden Rest.“

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