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Papst Benedikt
  • Der emeritierte Papst Benedikt XVI.
  • Foto: picture alliance / Daniel Karmann/dpa | Daniel Karmann

„Bilanz des Schreckens“: Gutachten zu Missbrauch belastet Ex-Papst Benedikt schwer

Eine Münchner Anwaltskanzlei hat Fälle sexuellen Missbrauchs im Erzbistum München aufgearbeitet – und erhebt Vorwürfe gegen den emeritierten Papst Benedikt XVI. (94). Die Juristen sprechen von einer „Bilanz des Schreckens“.

Ein neues Gutachten über sexuellen Missbrauch im Erzbistum München und Freising erhebt schwere Vorwürfe gegen den emeritierten Papst Benedikt XVI. Der damalige Kardinal Joseph Ratzinger habe – so beurteilt es die vom Bistum beauftragte Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) – in seiner Zeit als Münchner Erzbischof Missbrauchstäter „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ wissentlich in der Seelsorge eingesetzt und darüber die Unwahrheit gesagt. In insgesamt vier Fällen werfen ihm die Gutachter Fehlerverhalten vor.

Anwalt zu Missbrauch in katholischer Kirche: „Bilanz des Schreckens“

Mindestens 497 Kinder und Jugendliche sind laut der am Donnerstag vorgestellten Studie zwischen 1945 und 2019 in dem katholischen Bistum von Priestern, Diakonen oder anderen Mitarbeitern der Kirche sexuell missbraucht worden. Mindestens 235 mutmaßliche Täter gab es laut der Anwaltskanzlei – darunter 173 Priester und 9 Diakone. Allerdings sei dies nur das sogenannte Hellfeld. Es sei von einer deutlich größeren Dunkelziffer auszugehen. Anwalt Ulrich Wastl sprach von einer „Bilanz des Schreckens“.

40 Kleriker seien auch nach Missbrauchsfällen weiterhin in der Seelsorge tätig gewesen beziehungsweise sei dies geduldet worden. Bei 18 davon erfolgte dies sogar nach „einschlägiger Verurteilung“, wie Wastls Kollege Martin Pusch sagte. Insgesamt seien bei 43 Klerikern „gebotene Maßnahmen mit Sanktionscharakter“ unterblieben.

Dafür verantwortlich – auch das macht das Gutachten klar – sind aus Sicht der Anwälte vor allem die Münchner Bischöfe und Generalvikare und damit auch der spätere Papst Benedikt XVI., der von 1977 bis 1982 Erzbischof von München und Freising war.

Ex-Papst Benedikt gibt Stellungnahme ab

Fehlverhalten in vier Fällen halten die Anwälte Ratzinger vor. In zwei davon soll er Priester, bei denen er „überwiegend wahrscheinlich“ von ihrer Missbrauchsvergangenheit wusste, nach Bayern geholt haben. In allen Fällen habe Benedikt ein Fehlverhalten strikt zurückgewiesen. Seine 82 Seiten lange Stellungnahme ist im Anhang des Gutachtens zu lesen, das inzwischen auf der Internetseite der Kanzlei veröffentlicht wurde.

In einem dieser Fälle geht es um einen Priester, der im Ausland rechtskräftig wegen Missbrauchs verurteilt worden war, in einem anderen um den bekannten Fall eines Priesters aus Essen, der trotz Vorfällen in Nordrhein-Westfalen in Bayern wieder als Seelsorger mit Kindern und Jugendlichen arbeitete.

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Besonders brisant: Die Gutachter gehen davon aus, dass Ratzinger in Bezug auf die Fälle nicht die Wahrheit gesagt hat. Denn laut der Studie legt ein Sitzungsprotokoll nahe, dass er – anders als er selbst behauptet – 1980 als Erzbischof von München sehr wohl bei dem heiklen Treffen dabei war, bei dem beschlossen wurde, dass der Priester nach Bayern übersiedeln soll.

Kirchenrechtler: „Ratzinger hat letzte Chance vertan, reinen Tisch zu machen“

Der Geistliche missbrauchte dort später erneut Kinder und wurde dafür rechtskräftig verurteilt. Noch wenige Tage vor der Veröffentlichung des Gutachtens hatte Benedikt über seinen Privatsekretär Georg Gänswein alle Vorwürfe gegen ihn zurückgewiesen. Der Jurist Wastl sagte, er halte Benedikts Angabe, er sei in dieser Sitzung nicht anwesend gewesen, für „wenig glaubwürdig“.

„Das ist sein persönliches Waterloo“, sagte der renommierte Kirchenrechtler Thomas Schüller. „Joseph Ratzinger hat die letzte Chance vertan, reinen Tisch zu machen. Er wird der Unwahrheit überführt und demaskiert sich damit selbst als aktiver Vertuscher. Er fügt der katholischen Kirche und dem Papstamt damit einen irreparablen Schaden zu.“ Der Vatikan kündigte an, sich das Münchner Gutachten genau anschauen zu wollen. Man werde es einsehen und könne dann angemessen die Details prüfen, erklärte der Sprecher des Heiligen Stuhls, Matteo Bruni.

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Auch Ratzingers direktem Nachfolger als Münchner Erzbischof, Kardinal Friedrich Wetter, wirft das Gutachten Fehlverhalten in 21 Fällen vor. Wetter habe die Fälle zwar nicht bestritten, ein Fehlverhalten seinerseits aber schon, sagte Pusch. Dem amtierenden Erzbischof, Kardinal Reinhard Marx, wird Fehlverhalten in zwei Fällen vorgeworfen. Es gehe dabei um Meldungen an die Glaubenskongregation in Rom. Marx wollte sich am Nachmittag zu den Ergebnissen des Gutachtens äußern.

Das Gutachten stellt der katholischen Diözese insgesamt ein schlechtes Zeugnis aus. Auch in jüngster Zeit habe kein „Paradigmenwechsel“ mit dem Fokus auf die Betroffenen stattgefunden, sagte Pusch.

Ratzingers Privatsekretär Gänswein teilte mit, dass Ratzinger den Missbrauch bedauere. „Der emeritierte Papst drückt, wie er es bereits mehrmals in den Jahren seines Pontifikats getan hat, seine Scham und sein Bedauern aus über den von Klerikern an Minderjährigen verübten Missbrauch aus und erneuert seine persönliche Nähe und sein Gebet für alle Opfer“, zitierte das Medienportal „Vatican News“ Gänswein am Donnerstag.

Benedikt habe „bis heute Nachmittag“ das Gutachten der Kanzlei Anwaltskanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) nicht gekannt und wolle es in den kommenden Tagen studieren und prüfen, erklärte Kurienerzbischof Gänswein weiter. (dpa)

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