Jeder zehnte Job weg! Kahlschlag beim TV-Riesen
Streaming ist die Zukunft: Der Medienkonzern ProSiebenSat.1 orientiert sich neu. Anstelle des klassischen TV-Geschäfts rückt die hauseigene Plattform Joyn noch stärker in den Mittelpunkt. Es werden Hunderte Arbeitsplätze in Deutschland abgebaut. Das Nachrichten-Angebot soll nicht betroffen sein.
Noch in diesem Jahr will ProSiebenSat.1 in Deutschland rund 400 Stellen abbauen. Das entspreche rund jedem zehnten Arbeitsplatz im Unterhaltungs-Kerngeschäft und in der Holding, teilte eine Sprecherin des börsennotierten Medienkonzerns am Dienstag in Unterföhring bei München mit.
ProSiebenSat.1: 400 Jobs fallen noch 2023 weg
Der Konzern hatte eine Neuausrichtung angekündigt, nachdem er im Herbst 2022 die Streaming-Plattform Joyn vollständig übernommen hatte. ProSiebenSat.1 rückte sie in den Mittelpunkt seines Unterhaltungsgeschäfts. Nun folgt nach Unternehmensangaben eine Neuaufstellung der Organisation, besonders im Entertainment-Segment. Ziel sei „eine effizientere Struktur, eine wettbewerbsfähige Kostenbasis sowie klar auf die digitale Transformation ausgerichtete Prozesse“, teilte der Konzern mit.
Die rund 400 Vollzeitstellen sollen durch ein Freiwilligen-Programm sozialverträglich abgebaut werden. Betriebsbedingte Kündigungen will das Unternehmen „weitestgehend“ vermeiden. So sollen etwa Stellen, die frei werden, nicht nachbesetzt werden.
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ProSiebenSat.1 erweiterte in der Vergangenheit deutlich seine Informationsangebote und baute dazu neue Studioräume für Sendungen für die Kanäle ProSieben, Sat.1 und Kabel eins auf. Seit diesem Jahr werden Nachrichten wieder selbst produziert, davor hatte man das extern von der Axel-Springer-Marke „Welt“ zugekauft. Der Informationsbereich ist von den Kürzungsplänen nicht betroffen, wie es von der Unternehmenssprecherin hieß.
In seinem österreichischen Markt will der Konzern bis zu 35 Stellen in diesem Jahr streichen. Dort sind 550 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt.
ProSiebenSat.1: Auch 35 Stellen in Österreich betroffen
Der Stellenabbau fällt in eine bewegende Zeit beim Konzern ProSiebenSat.1, der neben TV-Sendern und Streamingangeboten auch Internethandel und Datingplattformgeschäft betreibt. Der Werbemarkt schwächelt schon länger. Für das Gesamtjahr 2023 rechnet der ProSiebenSat.1-Konzernvorstand bislang mit einem Umsatz zwischen 3,95 und 4,25 Milliarden Euro.
Zudem gab es viel Wechsel in der Führungsriege. Im Herbst 2022 rückte Bert Habets, der davor Spitzenposten beim Konkurrenten RTL innehatte, auf den Chefposten. Rainer Beaujean ging überraschend. Seither wurde auch der Weggang von Vorstandsmitgliedern im Bereich Finanzen und Entertainment verkündet.
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Außerdem wurde der Konzernvorstand für das Geschäftsjahr 2022 nicht von den Aktionären entlastet, das soll voraussichtlich erst 2023 erfolgen. Hintergrund ist eine laufende interne Untersuchung zu möglichen Unstimmigkeiten beim Tochter-Gutscheingeschäft Jochen Schweizer mydays. Es geht darum, etwaiges Fehlverhalten im Zusammenhang mit regulatorischen Fragen bei der Tochterfirma zu überprüfen.
Der Aufsichtsrat behält sich vor, Schadenersatzansprüche gegen Vorstandsmitglieder gegebenenfalls zu prüfen. Laut ProSiebenSat.1 wurden Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (Bafin) und die Staatsanwaltschaft in München eingeschaltet – beide Behörden machten unlängst auf Anfrage keine genauen Angaben.
Berlusconi-Familie ist Großaktionär bei ProSiebenSat.1
Indes scheint die Debatte zum italienischen Großaktionär Media for Europe (MFE) um die Familie des verstorbenen Politikers Silvio Berlusconi nicht weiter hochzukochen. Deutsche Medienregulierer hatten wegen der Überschreitung der 25-Prozent-Schwelle Prüfungen begonnen.
Es ging um die Frage, ob das Unternehmen MFE durch die ihm zuzurechnenden Programme vorherrschende Meinungsmacht erlangt. Außerdem wurde der Aspekt der Staatsferne betrachtet – in Deutschland sind Medien staatsfern organisiert. Speziell diese Prüfung sei seit dem kürzlichen Tod des ehemaligen italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi eingestellt worden, sagte der Präsident der Bayerischen Landeszentrale für neue Medien (BLM), Thorsten Schmiege.
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Zugleich appellieren die Medienregulierer nach dem Prüf-Fall an die Bundesländer, den Medienstaatsvertrag anzupassen. Er sollte dahingehend klarer gefasst werden, dass ausländische und staatsnahe Organisationen aufgeführt und klare Kriterien eingeführt werden, wenn diese auf dem deutschen Medienmarkt Fuß fassen wollen.
Zur Meinungsmacht kamen demnach die Prüfer von MFE und ProSiebenSat.1 zugleich zu dem Ergebnis, dass der Beteiligungsveränderung keine Gründe der Sicherung der Meinungsvielfalt entgegenstehen. Zudem erhielten die bayerischen Medienregulierer nach eigenen Angaben ein Schreiben von MFE, in dem man sich zur Unabhängigkeit und zur Informationsvielfalt der Medienangebote vor Ort bekenne. (dpa/mp)