Kälte, Angst vor Nachbeben: So dramatisch ist die Lage in der Türkei und Syrien
Zwei Tage nach der Erdbeben-Katastrophe an der türkisch-syrischen Grenze bleibt die Lage in den betroffenen Gebieten weiter dramatisch: Während Retter:innen unter Hochdruck nach Überlebenden unter den Trümmern graben, läuft ein Wettlauf gegen die Zeit, klirrende Kälte und Schnee. Zudem warnen Expert:innen vor weiteren Nachbeben. Vor allem im krisengebeutelten Syrien ist die Lage dramatisch – in dem Bürgerkriegsland mussten Menschen die Nächte bei eisigen Temperaturen im Freien verbringen.
Zerstörung, Schuttberge, Tote, Verletzte: Das Leid, das am frühen Montagmorgen über die Menschen in der Südtürkei und Nordsyrien hereinbrach, ist unermesslich. Bis Dienstagnachmittag lag die Zahl der Toten bei 5000, mehr als 23.500 Menschen wurden verletzt. Viele können nicht in ihre Häuser zurück, weil sie eingestürzt sind oder eine Rückkehr wegen möglicher Nachbeben zu gefährlich wäre. „Dieses Erdbeben hat 13,5 Millionen unserer Bürger direkt betroffen“, sagte der türkische Städteminister Murat Kurum.
Für die von der Katastrophe gebeutelten Gebiete ist mittlerweile viel internationale Hilfe unterwegs. Von Seiten der EU sind über 1000 Rettungskräfte auf dem Weg, auch aus Deutschland kommen Hilfsteams. Zusagen kamen auch aus Großbritannien, Israel, Indien, Russland und der von Russland angegriffenen Ukraine sowie den USA.
Trotzdem: die Situation der Überlebenden und die Suche nach Verschütteten ist kompliziert und wird stark beeinträchtigt – vor allem das Wetter macht den Einsatzkräften zu schaffen. So herrschen im Katastrophengebiet Temperaturen um den Gefrierpunkt, der türkische Wetterdienst sagte für die betroffenen Gebiete teils Schneefall und Regen voraus. Dramatisch: Am kältesten mit bis zu minus fünf Grad werde es voraussichtlich in der Provinz Kahramanmaras, dem Epizentrum des Bebens.
Syrien nach Beben: Viele Flüchtlinge betroffen
Zudem seien Straßen und Wege nicht zugänglich, man arbeite daran, sie wieder passierbar zu machen, so die zuständigen Einsatzkräfte. Trotzdem: Jede Stunde sei wertvoll, sagte Minister Kurum. Er betonte, dass bei vergangenen Beben Menschen auch noch nach 100 Stunden gerettet worden seien. Die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu berichtete, in der südtürkischen Stadt Antakya seien zwei Frauen nach rund 30 Stunden unter Trümmern lebend geborgen worden.
Verheerend ist die Lage vor allem im Bürgerkriegsland Syrien. Dort trafen die Beben nach UN-Angaben in erster Linie Menschen, die ohnehin schon schutzlos unter desaströsen Bedingungen lebten. Viele Binnenflüchtlinge, die vor der Katastrophe in baufälligen Unterkünften wohnten, mussten die Nacht bei Schnee und eisigen Temperaturen im Freien verbringen, wie eine Sprecherin des UN-Flüchtlingshilfswerks UNHCR sagte. „Bei den vielen Nachbeben und Erschütterungen hatten die Menschen Angst, in ihren Häusern zu bleiben.“ Noch immer werden Hunderte Familien unter den Trümmern vermutet.
Die Suche über Nacht sei aufgrund von Sturm und fehlender Ausrüstung nur sehr langsam verlaufen, hieß es von den Weißhelmen, die in den von Rebellen gehaltenen Gebieten Syriens aktiv sind. Eines der am schwersten betroffenen Gebiete ist Idlib, ebenfalls Rebellen-Region. Einige der betroffenen Gebiete seien zudem abgelegen und nur schwer erreichbar, zudem gebe es unter anderem nicht genügend Notunterkünfte, Decken und warme Kleidung für die Opfer.
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Was alles noch viel schlimmer macht und die Menschen zusätzlich sorgt: mögliche Nachbeben, denn Experten gehen davon aus, dass es in nächster Zeit ähnlich große Beben wie die am frühen Montagmorgen in nahen Regionen geben könnte. „Das war vermutlich nicht das letzte starke Erdbeben in dieser Region. Weitere können folgen, insbesondere in Richtung Nordosten weiter ins Landesinnere“, sagte Marco Bohnhoff vom Deutschen Geoforschungszentrum (GFZ) Potsdam. Lediglich für die Stelle des Hauptbebens sei davon auszugehen, dass die Spannung dort erst mal weg sei.
Die Frage, die nach der Katastrophe nun auch vermehrt aufkommt: Warum schlug kein Frühwarnsystem an? Dazu erklärt Bonhoff, dass eine Frühwarnung im konkreten Fall unabhängig vom eingesetzten System nicht möglich gewesen wäre. Die betroffene dicht besiedelte Region liege in unmittelbarer Nähe des Epizentralgebiets, womit es keinen Zeitraum für Warnungen gegeben hätte. Ein Frühwarnsystem könne in einem Fall wie diesem nur eine sehr begrenzte Wirkung entfalten. (alp)