Fachärzte-Hammer der Bundesregierung: Freie Wahl bald nur noch für Privatpatienten?
Die neue Bundesregierung will angesichts steigender Kosten mehr Effizienz in der Gesundheitsversorgung erreichen – das betrifft auch Termine bei Fachärzten. Kassenpatienten sollen bald zuerst zum Hausarzt gehen, der sie dann zu einem Facharzt überweisen kann. Bringt das was?
Eine gezieltere Vergabe von Terminen bei Fachärzten soll nach Plänen von Bundesgesundheitsministerin Nina Warken auch den Patientinnen und Patienten nützen. Ziel sei die Hausarztpraxis als „erste Ansprechstelle mit einer beschleunigten Terminvermittlung zur fachärztlichen Weiterbehandlung“, sagte die CDU-Politikerin beim Deutschen Ärztetag in Leipzig. Damit wäre eine gute und verlässliche Versorgung aus einer Hand gewonnen. Zudem ließen sich Doppeluntersuchungen und lange Wartezeiten für Facharztbesuche vermeiden.
Union und SPD wollen laut Koalitionsvertrag ein verbindliches System einführen, bei dem Patientinnen und Patienten primär in eine Hausarztpraxis gehen, die sie bei Bedarf – mit einem Termin in einem bestimmten Zeitraum – an Fachärzte überweist. Dies soll eine „Termingarantie“ darstellen. Klappt es mit dem Termin in diesem Zeitkorridor nicht in einer Praxis, soll man sich daher auch von einem Facharzt oder einer Fachärztin in einem Krankenhaus behandeln lassen können. Ausnahmen gelten für Fachtermine bei Zahnärzten, Augenärzten und Gynäkologen. Für Privatpatienten soll die neue Regelung nicht gelten.
Gegen Koordination „mit der Brechstange“
Die Pläne der Koalition für eine bessere Patientensteuerung über ein Primärarztsystem stoßen bei Medizinern auf ein geteiltes Echo. Der Hausärzteverband begrüßt das Vorhaben, aus Sicht der Kassenärzte macht es jedoch nur für Patienten ab einem mittleren Alter Sinn.
Entscheidend sei aber die konkrete Ausgestaltung, sagte der Präsident der Bundesärztekammer, Klaus Reinhardt. Er warnte vor einer „Behandlungskoordination mit der Brechstange“ und dass eine schnellere Terminvergabe verordnet werden könnte, obwohl die Strukturen dies aktuell in keiner Weise hergäben. Schon vor dem Ärztetag hatte er deutlich gemacht, dass Patienten bisher mit der Organisation ihrer Versorgung weitgehend allein gelassen würden. Mancherorts habe jeder Zweite im Schnitt zwei Hausärzte.

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Die Deutsche Stiftung Patientenschutz erklärte mit Blick darauf, Patienten seien nicht grundsätzlich undiszipliniert. Es gebe gute Gründe für das Aufsuchen von zwei Hausärzten. „Nicht selten liegen Arbeitsort und Wohnort weit auseinander. Auch sind Urlaubsvertretungen dafür verantwortlich, dass im Quartal zwei Hausärzte gezählt werden“, sagte Vorstand Eugen Brysch. Im Mittelpunkt stehen müssten eine bessere Verteilung der Vertragsärzte und die vertraglich zugesicherten 25 Wochenstunden Präsenzzeiten für Kassenpatienten.
Kassenärzte: Ab 50 Jahren viele mit „irgendwelchen Zipperlein“
Die Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Andreas Gassen, sagte der „Bild“, das Modell mache „ungefähr ab 50“ Sinn. „Da sind relativ viele schon mit irgendwelchen Zipperlein in ärztlicher Behandlung.“ Das System könne funktionieren, „wenn es sich um ältere multimorbide Patienten handelt, also Menschen, die verschiedene Erkrankungen haben, aus unterschiedlichen Bereichen, wo zum einen eine ordnende Hand im Sinne der hausärztlichen Praxis notwendig ist, um alle Befunde zusammenzuführen und wo auch gezielt zu fachärztlichen Kollegen überwiesen werden kann“.
Hausärzte: „Wir machen das“
Unterstützung bekommt die schwarz-rote Koalition vom Hausärztinnen- und Hausärzteverband. Deren Vorsitzende Nicola Buhlinger-Göpfarth sagte der „Bild“, die Einführung des Modells würde je Hausarztpraxis zwei bis fünf zusätzliche Patienten am Tag bedeuten: „Und da sage ich Ihnen als Hausärztin, das ist ein Versprechen: Das machen wir.“ Generell seien Patienten in einem Hausarztprogramm besser versorgt.
Grünen-Experte: Hausärzte dürfen keine „Facharzttürsteher“ sein
Der Grünen-Gesundheitsexperte Janosch Dahmen unterstützt das Steuerungskonzept, mahnt aber zugleich eine Entlastung der Hausärzte an. „Ein verpflichtendes Primärarztsystem kann helfen – aber nur, wenn es richtig gemacht wird“, sagte Dahmen der dpa. Das Gesundheitssystem leide unter zu vielen unnötigen Arztbesuchen, langen Wartezeiten und unkoordinierten Abläufen.
Ärztliche Arbeitszeit eine „kostbare Ressource“
Die Pläne der Koalition für eine stärkere Steuerung sollen zu mehr Effizienz im Gesundheitssystem beitragen. Wegen steigender Milliardenkosten drohen in der gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung absehbar neue Finanznöte.
Warken kündigte an, bürokratische Auflagen und Dokumentationspflichten für Ärzte zu reduzieren. Wegen Fachkräftemangels und immer älterer Ärzte und Patienten gelte es, achtsam mit der ärztlichen Arbeitszeit umzugehen. Diese „kostbare Ressource“ müsse vor allem den Patienten zugutekommen.
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„Wir können nicht erwarten, dass der ärztliche Bedarf in Deutschland in einem immer größer werdenden Maß durch Ärztinnen und Ärzte gedeckt wird, die im Ausland ausgebildet wurden“, sagte die Ministerin – auch wenn diese heute schon eine nicht mehr wegzudenkende Säule seien. Der medizinische Bereich profitiere wie kein zweiter von diesem Zuzug. „Wir sind dankbar dafür.“
Ärzte für Abgabe auf Zucker und Alkohol
Ärztepräsident Reinhardt mahnte mit Blick auf Reformen für eine finanzielle Stabilisierung: „Die Politik muss anerkennen, dass das Gesundheitswesen kein bloßer Kostenfaktor ist, den man mit pauschalen Sparmaßnahmen auf Effizienz trimmen kann.“ Ziel sei ein System, das qualitativ hochwertig und zugleich für kommende Generationen bezahlbar bleibe. Er warb dafür, der gesetzlichen Krankenversicherung „zusätzlich zweckgebundene Abgaben auf gesundheitsgefährdende Produkte wie Zucker, Alkohol und Tabak zuzuführen“. Das stabilisiere die Finanzen und fördere auch die Gesundheit der Menschen. (dpa/mp)
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