x
x
x
  • Ein Arbeiter in Schutzanzug desinfiziert einen Bus in Äthiopien.
  • Foto: picture alliance/dpa/XinHua | Michael Tewelde

Corona: Ist Afrika etwa unbemerkt immun geworden?

Die Zahl der gegen das Coronavirus immunisierten Europäer steigt – ebenso bei den Afrikanern. Doch während unser Schutz auf Impfungen basiert, gelangten die Menschen dort durch eine Infektion zu Antikörpern. Die extreme Durchseuchung zeigen neue Zahlen. Experten fordern deshalb eine andere Impfstrategie.

Mit genauen Zahlen ist es in Äthiopien schwierig – egal ob es um Einwohner oder Corona geht. Ungefähr 112 Millionen Menschen leben in dem Binnenstaat am Horn von Afrika, das zu den ärmsten Ländern der Welt gehört.

Wie sehr die Pandemie in dem Land eingeschlagen hat, ist weitgehend unklar – genau wie im Rest Afrikas. Offiziellen Daten zufolge entfallen nicht mal drei Prozent der weltweiten Corona-Fälle und nicht mal vier Prozent der Todesfälle auf den Kontinent. Doch die Zahlen liegen weit entfernt von der Realität.

Hohe Dunkelziffer an Corona-Infektionen in Afrika

Eine Studie des Tropeninstituts am LMU Klinikum München (LMU) und deren Partnern in Äthiopien gibt nun erstmals Einblicke auf die Lage vor Ort. Denn während die westliche Welt über Impfstofflieferungen in die armen Staaten diskutiert, hat das Virus die Menschen auf dem Kontinent bereits durchseucht. Der „Spiegel“ berichtete zuerst.

Das könnte Sie auch interessieren: „Durch die Hölle gegangen“ – Patricia Kelly meldet sich nach Impfdurchbruch aus Klinik

Dieser Fakt müsse bei der Impfkampagne bedacht werden, so die Forscher: „Wenn wir hier über die geringe Impfquote in afrikanischen Staaten sprechen, ist der Fokus oft fehlgeleitet“, erklärt Michael Hoelscher, Leiter der Abteilung für Infektions- und Tropenmedizin am LMU dem „Spiegel“. „Es ist völlig klar, dass die offiziellen Zahlen der Infizierten aus der Region nicht stimmen. Die meisten Menschen haben längst eine gewisse Immunität durch Infektion.“

Hoelschers Mitarbeiter und Fachleute aus Äthiopien haben zwischen August 2020 und April 2021 an verschiedenen Orten mehr als 2300 Menschen auf Antikörper gegen das Coronavirus getestet. Zu drei verschiedenen Zeitpunkten prüften sie, welcher Anteil der Untersuchten schon einmal infiziert war. Die Studie erschien im Fachmagazin „The Lancet Global Health“.

Studie zeigt rasante Ausbreitung des Coronavirus

Die Zahlen der Studie zeigen, dass sich das Coronavirus besonders unter medizinischem Personal ausbreitete. Im August und September hatten etwa elf Prozent der untersuchten Mitarbeiter in der Klinik der Hauptstadt Äthiopiens, Addis Abeba, Antikörper gegen das Virus im Blut. Im Frühjahr 2021 waren es bereits 54 Prozent – eine Verfünffachung. In der Großstadt Jimma dasselbe Bild: Im November 2020 waren rund 31 Prozent des Krankenhauspersonals infiziert, im Februar 2021 waren es rund 56 Prozent.

Doch nicht nur im Umfeld der Krankenhäuser, auch in der Allgemeinbevölkerung stieg die Zahl der Infizierten deutlich. Die Fachleute verzeichneten in Gemeinden in Jimma und Addis Abeba ein Wachstum der Infizierten um etwa 40 Prozent. Tests in einem Bezirk der Hauptstadt zeigten, dass 54 Prozent der Probanden im Januar 2021 Antikörper gegen das Coronavirus im Blut hatten. Im April 2021 waren es bereits rund 73 Prozent. Zur Einordnung: Offizielle Zahlen sprechen von bislang rund 360.000 Corona-Infektionen in Äthiopien – bei 112 Millionen Einwohnern dürften demnach eigentlich nur 0,3 Prozent Antikörper gegen das Coronavirus im Blut haben.

Afrika: Immunität aufgrund von Durchseuchung

Immunität mittels Durchseuchung – wäre das auch für Deutschland ein möglicher Weg gewesen? Der Forscher widerspricht: „Hierzulande hätten wir uns eine so hohe Durchseuchungsquote wie in diesen Staaten niemals leisten können“, sagt Hoelscher. „Der Schaden wäre immens gewesen“.


Starten Sie bestens informiert in Ihren Tag: Der MOPO-Newswecker liefert Ihnen jeden Morgen um 7 Uhr die wichtigsten Meldungen des Tages aus Hamburg und dem Norden, vom HSV und dem FC St. Pauli direkt per Mail. Hier klicken und kostenlos abonnieren.


Doch woran liegt das? Ein Grund sei die Altersstruktur: In Äthiopien ist mehr als die Hälfte der Bevölkerung Schätzungen zufolge jünger als 20 Jahre alt, in Deutschland liegt der Median ungefähr bei 48. Hinzu komme, dass Zivilisationskrankheiten wie Übergewicht und Bluthochdruck in der westlichen Welt deutlich verbreiteter sind. „Da schwere Covid-19-Vorerkrankungen insbesondere ältere Menschen und Personen mit Vorerkrankungen betreffen, erwischt uns das Virus härter als afrikanische Staaten“, erklärt Hoelscher.

Mangel an Impfstoff

Doch auch in Äthiopien seien Krankenhäuser an Belastungsgrenzen und die Menschen sterben an dem Virus – oft jedoch zurückgezogen in ihren Dörfern, nicht registriert von Statistiken. Und während die Zahl der positiven Coronatests steigt, ist der Impfstoff in afrikanischen Staaten weiter knapp. Die vorhandenen Impfstoffe müssen daher effizient genutzt werden, so die Forscher – die Impfkonzepte der Industrieländer zu kopieren, sei keine gute Idee. Stattdessen könne es sinnvoll sein, Impfwillige vorher zu testen und im Falle von bereits vorhandenen Antikörpern auf die ganze Impfung oder die zweite Dosis zu verzichten.

Das bedeute jedoch nicht, dass Afrika keinen Impfstoff brauche, so Hoelscher. Im Gegenteil: Die Strategie solle nur über den Mangel hinweghelfen. „Impfungen gegen Covid-19 sind auch in Afrika unbedingt notwendig“, betont der Experte. (vd)

Email
Share on facebook
Share on twitter
Share on whatsapp