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Unterricht
  • Schüler einer Grundschulklasse melden sich im Unterricht (Symbolbild).
  • Foto: Matthias Balk/dpa

Sprache als Brücke: Wie sich ukrainische Kinder an deutschen Schulen zurechtfinden

Die Stadt Hannover setzt interkulturelle Bildungsassistentinnen ein, um geflüchtete Schülerinnen und Schüler zu unterstützen. Das schafft Vertrauen und minimiert Stress: Denn Kriegstraumata und Sprachbarrieren machen Kindern und Jugendlichen zu schaffen.

Wie schnell und spielerisch Kinder lernen, wird an diesem Vormittag in der Comeniusschule deutlich: Diesmal sind im Unterricht „Deutsch als Zweitsprache“ nur zwei Erstklässlerinnen dabei: Emilia (6) ist im November aus Russland nach Hannover gekommen, ihre Freundin Sofia (6) etwas früher aus der Ukraine. Thema ist der Straßenverkehr. „Der Zebrastreifen“ ruft Emilia akzentfrei, „das Motorrad“, „der Hund“. Beim Lesen im Bilderbuch wetteifern die Mädchen, wer die Klappen umdrehen darf, hinter denen sich weitere Bilder verbergen. „Das ist ein Schwein!“, ruft Sofia begeistert. Nach dem Blick zu ihrer Lehrerin dreht sich das Mädchen strahlend nach rechts, wo die interkulturelle Bildungsassistentin sitzt.

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Die 41-Jährige, die in Russland in einer russisch-ukrainischen Familie aufgewachsen ist, betreut drei Schulen im Stadtteil List. Sie fungiert als Bindeglied zwischen den ukrainischen Kindern und Jugendlichen, ihren Familien und den deutschen Lehrkräften. Auch russische Kinder sind dabei, deren Väter nicht in Putins Angriffskrieg ziehen wollten. Die Bildungsassistentin hilft den Familien, die Besonderheiten des komplizierten deutschen Schulsystems zu verstehen. Die Mutter von zwei Söhnen ist selbst vor 13 Jahren nach Deutschland gekommen, Grund war die Familienzusammenführung. In ihrer Heimat hatte die Chemikerin beruflich nicht mit Kindern zu tun.

Einzigartiges Konzept mit Spezialausbildung

Das Konzept ist nach Angaben der Stadt Hannover in dieser Form einzigartig. Um geflüchtete Schüler zu unterstützen, absolvierten im vergangenen Jahr 17 russisch- beziehungsweise ukrainischsprechende Personen eine spezielle Ausbildung. Aktuell sind sechs Personen an elf Standorten im Einsatz. Angeknüpft wurde an ein schon länger von der Landeshauptstadt finanziertes Programm. Vorwiegend an Grundschulen werden Bildungslotsinnen eingesetzt, die unter anderem Türkisch, Arabisch oder Bulgarisch sprechen.

Die drei Schulleitungen im Stadtteil List sind voll des Lobes über ihre Bildungsassistentin, die mit einer halben Stelle beim Kreisjugendwerk der Arbeiterwohlfahrt (Awo) angestellt ist. Zuvor war sie Familienbegleiterin bei der Awo. „Sie ist eine unschätzbare Hilfe“, sagt Ulrike Petri-Scholz, Rektorin der Comeniusschule. Ihr sei zu verdanken, dass die neuen Kinder aus der Ukraine und Russland inzwischen gut integriert seien, meint auch die Rektorin der Bonifatiusschule, Katharina Freimann.

Frust bei älteren Schülern: Sprachkenntnisse für Oberstufe oft nicht ausreichend

Am Gymnasium Ricarda-Huch-Schule wurde eine Sprechstunde für die geflüchteten Schülerinnen und Schüler eingerichtet. Besonders für die älteren von ihnen sei es frustrierend, weil sie um das Erreichen ihrer Bildungsabschlüsse bangten, erzählt die stellvertretende Schulleiterin, Sandra Behrens. Es sei unheimlich schwierig, innerhalb kurzer Zeit so gut Deutsch zu lernen, dass auch komplizierte Texte der Oberstufe etwa in Geschichte oder Politik analysiert werden könnten.

Valeria (15) ist im Mai des letzten Jahres aus der ukrainischen Stadt Odessa nach Hannover geflüchtet. Die Bildungsassistentin, die seit November an ihrer Schule arbeitet, ist inzwischen eine Vertraute für die Jugendliche. „Es ist viel einfacher, weil jetzt jemand da ist, der meine Probleme lösen kann“, sagt die Achtklässlerin auf Russisch. „Am Anfang war es stressig wegen der Sprache. Ich habe mir auch große Sorgen gemacht, wie mich meine Klasse aufnimmt.“

„Als ich sie auf Russisch ansprach, fing sie sofort an zu erzählen“

Bei den Älteren sei Mobbing immer wieder ein Thema, erzählt die Bildungsassistentin. Durch die gemeinsame Sprache finde sie schnell einen Zugang zu den Kindern und Jugendlichen. „Ein Mädchen in der Grundschule hat am Anfang kein Wort gesprochen und noch nicht einmal die Lehrerin angeschaut. Als ich sie auf Russisch ansprach, fing sie sofort an zu erzählen.“

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Geschult wurden die Bildungsassistentinnen auch für den Umgang mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen. Bei einigen Schülerinnen und Schüler seien Anspannung und Zerrissenheit zu spüren, sagt Schulleiterin Petri-Scholz. „Das Thema Krieg ist in den Familien sehr präsent, die Kinder telefonieren per Bildtelefon mit den Vätern.“ Im Unterschied zu syrischen Familien, die 2015/2016 kamen, wollten viele Familien so schnell wie möglich wieder zurück in die Ukraine. (dpa/mp)

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