Seehund

Drei junge Seehunde auf dem Weg in die Freiheit (Archivbild). Foto: picture alliance/dpa/Hauke-Christian Dittrich

Aufgepäppelt und fit: Hubi, Steve und Scotty robben in die Freiheit

Getrennt von ihren Müttern waren Hubi, Steve und Scotty zu schwach, um zu überleben. Nach mehreren Wochen Vollpension in der Norddeicher Seehundstation wartet auf die jungen Seehunde nun die Nordsee.

Vorsichtig und langsam steuert Kapitän Carsten Füllwock sein kleines Boot „Alucat-Phoca“ direkt auf den Strand an der Ostspitze der ostfriesischen Insel Juist zu. Die drei jungen Seehunde an Bord, Hubi, Steve und Scotty, bekommen in ihren geschlossenen Transportkörben nichts von dem Anlegemanöver mit – dabei steht ihnen in wenigen Augenblicken ein großer Moment bevor.

Die drei Seehunde sind an diesem Sommerabend die ersten Jungtiere, die dieses Jahr nach einer Aufzucht in der Norddeicher Seehundstation wieder in die Freiheit entlassen werden. Als das Boot am Strand aufsetzt, geht es schnell: Nachdem sich am Bug eine Klappe öffnet, tragen die Tierpfleger Tim Fetting und Fabian Gathmann einen Korb nach dem anderen an den Strand. Dabei müssen sie pro Kiste und Tier mehr als 30 Kilo stemmen – seitdem die Seehunde von ihren Müttern verwaist und unterernährt Anfang Juni entlang der Küste gefunden wurden, haben sie während der Aufzucht in der Station ordentlich an Gewicht zugelegt.

Als die beiden Tierpfleger und Stationsleiter Peter Lienau die drei Körbe gleichzeitig öffnen und langsam Richtung Wasser kippen, wissen die jungen Seehunde erst noch nichts mit ihrer neu gewonnen Freiheit anzufangen. Sie schauen neugierig nach rechts und links und beschnuppern die Umgebung.

Raus ins Unbekannte

Dass die Tiere zunächst unsicher seien, sei ganz normal, erklärt wenig später Tim Fetting, der die Tierpflege in der Seehundstation leitet und schon seit mehr als 20 Jahren Seehunde auswildert. Hubi, Steve und Scotty seien schließlich in einem „großen Kindergarten“ mit mehr als 100 weiteren Artgenossen groß geworden. „Das Nordseewasser kennen sie, das haben wir auch in der Station. Aber alles andere kennen sie nicht.“

Dieser Seehund schaut noch etwas schüchtern aus der Transportbox hervor (Archivbild). picture alliance/dpa/Hauke-Christian Dittrich
Seehund
Dieser Seehund schaut noch etwas schüchtern aus der Transportbox hervor (Archivbild).

Schon nach wenigen Augenblicken werden die jungen Seehunde mutiger und robben Richtung Nordseewellen. Kaum im Wasser angekommen, tauchen sie gemeinsam um die Wette. Die Tiere wieder in Freiheit zu sehen, sei ein schönes Gefühl, sagt Fabian Gathmann. „Wir begleiten die Tiere lange Zeit.“ Klein und abgemagert kämen die Tiere an –Hubi etwa wog bei seiner Einlieferung gerade mal 8,2 Kilogramm. „Sie jetzt so im Wasser zu sehen, ist cool“, sagt Gathmann.

Für die Tierpfleger in den beiden Seehundstationen in Norddeich und in Friedrichskoog in Schleswig-Holstein, den einzigen berechtigten Aufnahmestellen in Deutschland, beginnt nun die Auswilderungszeit. Kurz vor den ostfriesischen Seehunden wurden auch in der Station in Dithmarschen mit Ariel, Heddies, Hugo und Vicky die ersten Jungtiere ausgewildert.

Weniger Störungen an niedersächsischer Küste

Damit die Jungtiere stark und fit werden, füttern Tierpfleger sie zu Beginn über einen weichen Silikonschlauch mit einem Lachsbrei als Muttermilchersatz. „Aber sie legen erst richtig an Gewicht zu, wenn sie selbstständig ihren Fisch fressen“, sagt Fetting. Bis zu fünf Kilogramm pro Woche könne dann ein Tier zulegen. Dafür verfüttern die Seehundstationen im Sommer tonnenweise Fisch. In der Seehundstation Norddeich haben die Jungtiere in diesem Jahr im Schnitt nach 56 Tagen ihr Auswilderungsgewicht von 25 Kilogramm erreicht.


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Insgesamt 185 Seehunde sind zurzeit in Friedrichskoog untergebracht. In Norddeich wurden bislang 121 hilfsbedürftige Tiere aufgenommen – damit sind dort in diesem Jahr etwa 30 Prozent weniger verwaiste Jungtiere aufgepäppelt worden als noch 2024. Die Tierpfleger werten das als gute Nachricht und führen das auf weniger Störungen durch den Menschen zurück. Normalerweise bräuchten Seehunde keine menschliche Hilfe, erklärt Tierpfleger Fetting. Doch die meisten verwaisten Tiere seien durch Menschen verursacht. „Das heißt, wir versuchen den menschlichen Fehler wieder auszugleichen.“

Denn die Hauptgeburten- und Säugezeit der Seehunde fällt mitten in die Tourismussaison. Immer wieder kommt es laut den Seehundstationen vor, dass Wattwanderer, Kitesurfer oder Sportbootfahrer zu dicht an Sandbänke kämen, an denen die Muttertiere bei Niedrigwasser ihre Jungen säugen. Dabei liegen die Geburts- und Liegeplätze im Nationalpark in der Regel in der Schutzzone eins, ein Bereich, der nur auf ausgewiesenen Wegen betreten werden darf. Erst vor wenigen Tagen hatte es auf der Insel Langeoog eine massive Störung gegeben. Dort hatte nach Polizeiangaben ein 26-Jähriger eine Gruppe von etwa 20 ruhenden Seehunden aufgescheucht, um besondere Fotos von den Tieren machen zu wollen. Ihm droht nun ein Bußgeld.

Warum junge Seehunde heulen

„Das ist das größte Problem: Wir bewegen uns ja im Wohn- und Schlafzimmer der Tiere“, sagt Fetting. „Das heißt, wir müssen uns das alles teilen. Wir müssen aber auch respektvoll miteinander umgehen. Respekt bedeutet, man hält Abstand zu wildlebenden Tieren, damit sie die nötige Ruhe finden.“ Wenn es zu Störungen während der Säugezeit auf der Sandbank komme, flüchte die Mutter mit ihrem Seehundbaby ins Wasser. Dadurch verliere das Jungtier viel Energie, obwohl es durch die Muttermilch eigentlich Kraft tanken solle, erklärt Fetting. „Das kann zu einem Teufelskreis werden.“

Nach erfolgreicher Aufzucht in der Seehundstation werden die Tiere auf der Insel Juist ausgewildert (Archivbild). picture alliance/dpa/Hauke-Christian Dittrich
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Nach erfolgreicher Aufzucht in der Seehundstation werden die Tiere auf der Insel Juist ausgewildert (Archivbild).

Wenn das Jungtier zu sehr geschwächt sein, könne es nicht mehr mit der Mutter mitschwimmen, werde verdriftet und irgendwo angespült. Wird ein Seehundwelpe längere Zeit nicht mehr von der Mutter gesäugt, fängt er aus Hunger herzzerreißend an zu heulen – daher auch der Name „Heuler“. Nicht jeder Heuler sei aber auch hilfsbedürftig, sagt Fetting.

Der Heullaut sei ein Kontaktruf, über den Mutter und Jungtier zusammenfinden. „Die Mutter kennt diesen Heullaut. Der ist sehr individuell. Jeder heult ein bisschen anders.“ Deshalb raten Experten einen möglichst großen Abstand zu einzelnen Jungtieren am Strand zu halten, damit sich die Seehundmama ungestört wieder ihrem Jungen nähern kann. Fetting hat dazu einen Tipp: Arm ausstrecken und den Daumen nach oben zeigen. „Der Seehund sollte am besten hinter diesem Daumen verschwinden. Wenn man das Tier mit dem Daumen abdeckt, hat man genügend Abstand zu dem Tier.“

Bestand in Niedersachsen stabil

Dass die Seehundstationen die mutterlosen Seehunde aufziehen, liegt auch an ihrem Schutzstatus im Wattenmeer. Durch intensive Jagd schrumpften die Bestände bis in die 1970er Jahre. Außerdem gab es immer wieder Rückschläge für die Population durch Seuchen, wie etwa die Seehundstaupe 1988. Um einen Überblick zu haben, werden die Bestände regelmäßig aus der Luft gezählt. Im niedersächsischen Wattenmeer hat sich die Population nach Angaben des Landesamtes für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (LAVES) in den vergangenen Jahren auf hohem Niveau stabilisiert.

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Bei Zählungen wurden im vergangenen Jahr 8557 Tiere erfasst, nur etwas weniger als 2023. Für dieses Jahr laufen die Zählflüge zurzeit noch, genaue Daten liegen erst in einigen Wochen vor. „Bislang sehen wir keine Auffälligkeiten. Die Seehunde machen einen guten und mobilen Eindruck“, sagt eine LAVES-Sprecherin auf Anfrage. „Die Seehundpopulation ist gesund und stabil. Das ist sehr erfreulich“, sagt auch Tierpfleger Fetting. Zusammen mit seinen Kolleginnen und Kollegen wird er noch bis Oktober nach und nach weitere Seehunde auswildern.

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