• Gerhard Bosselmann stellt seinen eigenen Gin her.
  • Foto: Philipp Schulze (dpa)

Besonderer Gin: In der Lüneburger Heide wird das Handwerk kreativ

Egesdorf –

Seit Corona entdecken Tagesausflügler – viele aus Hamburg – die Reize der Lüneburger Heide. Die ansässigen Handwerker und Händler wie der Bäcker, der Bierbrauer oder der Dorfladen-Besitzer profitieren davon – und verstehen sich dabei nicht als Konkurrenz. Denn mit der Nachfrage kommen sie kaum hinterher.

Kai Beitzer braut Bier in einem alten Schlachtraum, Marcus Leben veredelt Rindfleisch in einer ehemaligen Hotelküche und Gerhard Bosselmann brennt Heide-Gin im Kupferkessel auf seinem Grundstück.

„Sogar Bill Gates hat in einer Garage angefangen“, erzählt der 65-Jährige in seiner fast klinisch sauberen Mini-Destillerie in Egestorf mitten in der Lüneburger Heide.

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Alle drei haben eins gemeinsam: Sie können von ihrem Hobby (noch) nicht leben, betreiben es aber mit Leidenschaft. Und ganz wichtig ist ihnen, dass die Produkte sich langsam entwickeln.

Bosselmann ist dabei in der komfortabelsten Position, wird er doch Ende des Jahres seine 21 Bäckereien in Hannover verkaufen.

Weihnachtsedition bereits im Lager

Bis dahin pendelt der studierte Landwirt und steht früh auf, wenn es ans Mörsern von selbst gesammelten Wacholderbeeren, Schlehen und Hagebutten geht.

„Mein Gin geht so durch die Decke, ich brenne schon nachts“, sagt der Sohn einer Apothekerfamilie. Die Weihnachtsedition lagert bereits in besonderen kleinen Fässern.

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An der Wand der kleinen Manufaktur hängt die Urkunde von einer internationalen Meisterschaft der Ginbrenner in England, die er vor einem Monat als stolzer Zweiter abschloss.

Er verwirklicht seinen Kindheitstraum, findet in der Natur den Abstand und die Ruhe, die er nach dem Tod seiner Frau vor acht Jahren gesucht hat. Dreieinhalb Stunden dauert der Brennprozess für seinen Slow und Bitter Gin. Wenn andere abends Fernsehen, liest er ein Buch über Wasserphysik.

Neue Form von Tourismus durch Corona

„Ich lebe davon, dass die Natur intakt ist“. Das weiche Heidewasser eigne sich besonders gut für seinen Gin. Sorgfältig etikettiert und verpackt bringt Bosselmann die online bestellten Flaschen sogar selbst zur örtlichen Postfiliale. Seit eineinhalb Jahren betreibt er seine Destillerie, kennen tut ihn jeder in der Umgebung.

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Zumal die Manufaktur eine Anlaufstelle für Tagesausflügler aus dem Umland geworden ist. „Das macht so viel Spaß, dass viele Leute, die seit Jahren nach Mallorca geflogen sind, nun die Heide entdecken“, sagt er.

Seit Corona werde klar, dass unweit von Hamburg viele junge Leute ihre Existenz aufbauen und eine neue Form des sanften Tourismus entsteht. „Da wächst ein junges Netzwerk“, weiß Bosselmann.

Bis zu 7000 Liter Bier werden in jährlich in Egesdorf gebraut

Auch bei Kai Beitzer – im normalen Alltag im Schichtbetrieb als Teammeister im Hafen der Hansestadt – stehen Freitag und Samstag die Ausflügler Schlange vor der Garage.

Sein Fuhrenbräu – helles Keller- und Bockbier – wird tausend Stunden oder 42 Tage in dem 750-Liter-Tank gelagert, genießbar ist es gekühlt nur vier Wochen. „Industrie-Bier wird haltbar gemacht wie H-Milch, meins ist wie Frischmilch“, sagt der Hobbybrauer.

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Bis zu 7000 Liter werden in Egesdorf jährlich per Hand gebraut – das Besondere: Die bitteren Kräusen auf dem Hopfen schöpft Beitzer am Ende des offenen Gärprozesses ab.

„Alle 14 Tage braue ich und komme kaum hinterher. Die Leute haben mehr Zeit, sich um das Regionale zu kümmern“, erzählt der 53-Jährige.

Bosselmann will zukünftig komplett auf Bio umstellen

Und seine Frau Imke ergänzt: „Das Dorfleben greift hier ineinander. Die Lüneburger Heide hatte so ein verstaubtes Image, aber jetzt sprießen hier die guten, jungen Ideen nur so aus dem Boden.“

Bei Instagram und Facebook sind sie als locals.lueneburgerheide verbunden. Verkauft werden zahlreiche der neuen Produkte auf dem Degenhof – das frühere Hotel der Familie wurde in einen großzügigen Hofladen umfunktioniert.

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Zudem veredelt Marcus Leben Rindfleisch bis zu 16 Stunden bei Niedrigtemperatur im Smoker und will in den nächsten Jahren komplett auf Bio umstellen – nur seinen skeptischen Hausschlachter muss er noch überzeugen.

Der Schlachter liefert alle drei bis vier Wochen eine halbe Färse der Rasse Limousin, für Leben muss das Fleisch mindestens 21 Tage in der Luftkammer am Knochen abhängen.

Produkte müssen aus der Nähe kommen

„Das Fleisch wird dunkler und Wasser verdunstet, aber der Geschmack ist besser“, sagt der Koch. „Ich lasse es länger reifen als andere, der Nachteil ist der Gewichtsverlust.“

Leben und seine Frau Nadine, eine Ökotrophologin, sind Mitglied der Regionalwert AG geworden, einem Verbund von kleinen Unternehmen im Norden. „Für mich ist es wichtig, dass die Produkte aus der Nähe kommen. Und das haben wir hier geballt“, erzählt der 49-jährige.

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