Carolin Stüdemann Christian Felber
  • Die Wirtschaft muss wieder die Balance finden, meinen auch Carolin Stüdemann und Christian Felber.
  • Foto: Jan-David Korporal

„Traut euch, euch mit Wirtschaft zu beschäftigen“

Die MOPO stellt gemeinsam mit „Viva con Agua“-Geschäftsführerin Carolin Stüdemann in der Serie „Auf ein Wasser mit …“ Unternehmer:innen und Vordenker:innen vor, die eine bessere Welt schaffen. Heute spricht Carolin mit Christian Felber, der mit der Gemeinwohlökonomie eine neue Form der Bewertung der Wirtschaftlichkeit von Unternehmen und Staaten entwickelt hat. Sie beruht auf moralischen Grundwerten wie Menschenwürde, Nachhaltigkeit und Solidarität.

Moin Christian, schön dass du in Hamburg zu Besuch bist. 2010 hast du das Buch „Gemeinwohlökonomie“ veröffentlicht, das heute Basis für die Bewegung der GWÖ ist. Der Begriff ist vielen bestimmt noch nicht geläufig, kannst du erklären, was sich dahinter verbirgt?

Christian Felber: Gerne. Das Wirtschaftsverständnis der Gemeinwohlökonomie basiert auf den verfassungsmäßigen Grundwerten: Menschenwürde, Solidarität, Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit, Demokratie, kurz: Das Wirtschaften soll dem Gemeinwohl dienen.

Auf ein Wasser mit: Die Interview-Reihe von Viva con Agua und MOPO Viva con Agua
Viva con Agua
Auf ein Wasser mit: Die Interview-Reihe von Viva con Agua und MOPO

Gab es einen konkreten Auslöser, warum du angefangen hast, das Konzept der Gemeinwohlökonomie zu entwickeln?

Zum einen habe ich schon in meiner Kindheit eine tiefe ökologische Empathie entwickelt und deshalb begonnen, mich mit der Wirtschaftsweise auseinanderzusetzen. In meiner Zeit bei Attac Österreich ist mir dann ein Wertewiderspruch aufgefallen: Im aktuellen Wirtschaftssystem geht es primär darum, Kapital zu vermehren. Diese nicht nachhaltige Wirtschaftsweise wird durch Pseudowerte wie Effizienz, Leistung, Wachstum, Wettbewerb, Erfolg in der ökonomischen Bildung legitimiert. Gemeinwohl ist dabei höchstens ein Nebeneffekt, es wird aber zunehmend beschädigt. In den Verfassungen steht etwas anderes: „Die gesamt wirtschaftliche Tätigkeit dient dem Gemeinwohl“ (Bayerische Verfassung).

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Du unterscheidest also eindeutig die aktuelle Wirtschaftsweise von der Gemeinwohlökonomie?

Die ursprüngliche Bedeutung nach Aristoteles war es, dass das Wohl aller das Ziel sein sollte, während Geld und Kapital nur die Mittel sind. Mittel werden immer so eingesetzt, zugeteilt oder begrenzt, damit die Ziele verlässlich erreicht werden. Im Kapitalismus hingegen ist das Ziel die Mehrung von Kapital – die Wirtschaft steht also kopf. Die Gemeinwohlökonomie richtet sie wieder auf.

In zwei Sätzen: Was sollte das Ziel von Unternehmen sein?

Das demokratisch definierte Gemeinwohl zu mehren. Am Beginn steht ein sinnvolles Produkt, das menschliche Grundbedürfnisse befriedigt, ohne ökologische Lebensgrundlagen zu zerstören und ohne die demokratischen Grundwerte zu verletzen. Ein Unternehmen ist kein Selbstzweck, es muss neben der Finanz- auch eine Gemeinwohl-Bilanz geben.

Carolin Stüdemann, Geschäftsführerin von Viva con Agua. Quandt
Carolin Stüdemann, Geschäftsführerin von Viva con Agua.

Die gemeinwohlorientierten Produkte und Dienstleistungen sind häufig teurer als die üblichen Vergleichsprodukte. Wie schafft man einen Anreiz sowohl für Unternehmer:innen als auch für Kund:innen, darauf zu setzen?

Dass die klimafreundlichsten und ethisch verantwortungsvollsten Produkte teurer sind, ist eigentlich „pervers“ im Sinne von verkehrt. Die Preisdrücker haben niedrigere Kosten, da sie diese auf die Gesellschaft überwälzen oder externalisieren können. Wir schlagen vor, dass das Ergebnis der Gemeinwohl-Bilanz darüber entscheidet, wie hohe Steuern ein Unternehmen bezahlt, ob es öffentliche Aufträge erhält und wie frei es handeln kann. So werden Dumping-Produkte teurer als nachhaltige Produkte.

Es braucht also regulatorische Maßnahmen?

Immer, auch der Kapitalismus ist eine staatliche Regulierung. Wenn die klimafreundlichen Produkte preisgünstiger sind als Klimaaufheizer, dann haben wir eine intelligente ethische Marktwirtschaft, wir würden endlich die Marktkräfte für die Erfüllung und Erreichung unserer Ziele nutzen. Das wäre die Behebung der Systemfehler der kapitalistischen Marktwirtschaft.

Wäre Deutschland noch konkurrenzfähig, wenn andere Länder nicht mitziehen?

Der vermeintliche Wettbewerbsnachteil, der sich daraus ergeben könnte, ergibt sich nur unter der Bedingung des freien Handels. Die Lösung ist: Mit Staaten, die das Klima oder die Menschenrechte nicht schützen, handeln wir weniger frei. Umgekehrt handelt man freier mit den Staaten, die das Gemeinwohl, Menschenrechte, Arbeitsrechte, Klima und Biodiversität gleich effektiv und ambitioniert schützen. Dadurch kommt es dann zu keinem Wettbewerbsnachteil von vorbildlichen Unternehmen und Ländern. Das ist dann ethischer Welthandel.


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Gibt es in Deutschland Unternehmen oder Produkte, die gefördert werden, obwohl sie komplett gegen das Gemeinwohl agieren?

Agrarförderungen für industrielle Strukturen, Subventionen für fossile Brennstoffe. Exportförderungen für Unternehmen, die Menschenrechte verletzen. Unser Vorschlag ist, dass öffentliche Förderungen und Aufträge aller Art konsequent an die verfassungsmäßigen Grundwerte und das grundgesetzliche Prinzip „Eigentum verpflichtet. Es soll stets zugleich dem Wohl der Allgemeinheit dienen“ ausgerichtet werden sollen. Mit der Gemeinwohl-Bilanz für Unternehmen lässt sich das praktisch umsetzen.

Aktuell wird vieles vor allem auf Konsument:innen abgewälzt, die nachhaltige, aber teurere Produkte kaufen könnten, was bei Menschen mit geringerem Einkommen eine große Hürde ist.

Deshalb muss es neben gerechten Preisen auch gerechtere Einkommen geben – mit ausreichend hohen Mindestlöhnen und Medianeinkommen. Gleichzeitig gilt: Ein Leben mit weniger Waren und Dingen, die wir heute in Deutschland oder Österreich im Durchschnitt verbrauchen, und reicher an Beziehungen, Zeit, Kreativität, Erfahrungen macht glücklicher als die gegenwärtige Materialschlacht.


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Ein klarer Appell. Was möchtest du speziell den Hamburger:innen mitgeben?

Traut euch, euch mit Wirtschaft zu beschäftigen. Dazu muss man nicht Wirtschaft studiert haben, sondern nur etwas vom Leben verstehen und auf das eigene Herz hören. Schaut euch verschiedene Wirtschaftssysteme an: Kapitalismus, Sozialismus, Gemeinwohlökonomie, Kreislaufökonomie – und entscheidet dann, welches Wirtschaftssystem ihr unterstützen wollt. Überlasst diese Verantwortung für das Leben nicht anderen.

Fünf Dinge zum Mitnehmen:

  1. In Deutschland erhalten Topverdiener 8000 mal so viel Gehalt wie das Mindesteinkommen bei gleicher Arbeitszeit. (Quelle: Christian Felber)
  2. Dieser Faktor liegt in Amerika bei 360.000. (Quelle: Christian Felber)
  3. Die Gemeinwohlökonomie ist in 35 Länder bereits vertreten (Quelle: https://www.ecogood.org/)
  4. Rund 500 Unternehmen sind Mitglied oder haben bereits eine Gemeinwohlbilanz erstellt
  5. Bereits 3 Städte sind nach dem Gemeinwohl-Prinzip organisiert (Steinheim, Brakel, Willebadessen) (Quelle: https://stiftung-gemeinwohloekonomie.nrw/index/kreis-hoexter/)

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