„Park Fiction“ am Hafen: Hier startet der Autor seinen Streifzug durch Hamburg.
  • „Park Fiction“ am Hafen: Hier startet der Autor seinen Streifzug durch Hamburg.
  • Foto: imago images/Kraft

„Protz und Armut, Proll und Freigeist“: Eine Liebeserklärung an Hamburg

Der Hamburger Reise-Journalist Jochen Schliemann kehrt in seine Heimatstadt zurück. Ein Stadtbummel wird zu einer Liebeserklärung. Für ihn steht fest: Hier kann (fast) alles passieren. Lesen Sie hier, warum er Hamburg so sehr schätzt.

Da hinten glänzt sie. Die Elbphilharmonie. Im Sonnenlicht, direkt am Wasser. Geschwungenes Glas wird fast eins mit dem Himmel, darunter Backstein aus der Hafengegend. Exponierte Lage, alles sauber, alles neu, drum herum die HafenCity. Was für ein Bauwerk, was für eine Landmarke, was für eine Diskussion damals, aber auf jedem Hamburg-Souvenir rangiert sie seit ihrer Eröffnung auf Rang 1.

Ihr liegt fast der gesamte Hamburger Hafen zu Füßen. Der scheinbar endlose Fracht- und Container-Distrikt auf der Südseite, der – egal wie oft ich schon in Hamburg angekommen bin (per Auto, Boot oder Bahn) – immer wieder ergreifend ist. Auf der Nordseite hingegen die Landungsbrücken und die Elbpromenade, auf der sich die Touristen tummeln. An klaren Tagen reicht der Blick vom Balkon der „Elphi“ fast bis nach Övelgönne, wo der Elbstrand beginnt.

Hamburg, meine Perle: Reise-Journalist zurück in der Heimat

Und theoretisch sieht man auch uns. Seht ihr uns? Etwas ab vom Ufer, hinter der Hauptstraße, leicht höher gelegen, zwischen den Landungsbrücken und der Fischauktionshalle. „Park Fiction“, St. Pauli. Direkt neben der „Elbphilharmonie der Herzen“, dem ehemaligen „Pudel Club“, sitzen wir. Früher sind wir bei Sonnenaufgang vom Kiez hierhergetaumelt und haben weitergefeiert. Jetzt ist es 17 Uhr, die Sonne scheint, und die Leute auf der Elbphilharmonie sehen uns wahrscheinlich nicht – aber wir sehen sie.


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Kids mit freiem Oberkörper rangeln um den Ball auf dem Basketballplatz. Die alternative Bio-Mutter checkt mit einer Hand am Kinderwagen ihr Handy. Neben ihr, auf einer der kleinen Rasenflächen, die geschwungen sind wie die Fassade der Elbphilharmonie, döst ein Handwerker nach Dienstschluss, über ihm „wachsen“ große Palmen aus Plastik. Es wird gechillt, geredet, Musik gehört, und die rüstigen Rentner in Blau und Rot setzen ihre Radtour durch die Hansestadt dann doch lieber gleich fort, als der gesichtstätowierte Typ mit dem Unterhemd und dem Dobermann den alternativen Schlaks neben ihm kurz anschreit. Nur um ihn dann zu umarmen und mit ihm anzustoßen.

Der Norddeutsche Jochen Schliemann betreibt von Köln aus Deutschlands größten Reise-Podcast und kehrt nun zurück in seine Heimat: mit einer „Hamburg“-Folge und einem Live-Auftritt am 19. September in Planten un Blomen. Hier schreibt er – als Tourist und Heimkehrer – darüber, was nur die Hansestadt kann. / hfr
Der Norddeutsche Jochen Schliemann betreibt von Köln aus Deutschlands größten Reise-Podcast und kehrt nun zurück in seine Heimat: mit einer „Hamburg“-Folge und einem Live-Auftritt am 19. September in Planten un Blomen. Hier schreibt er – als Tourist und Heimkehrer – darüber, was nur die Hansestadt kann.
Der Norddeutsche Jochen Schliemann betreibt von Köln aus Deutschlands größten Reise-Podcast und kehrt nun zurück in seine Heimat: mit einer „Hamburg“-Folge und einem Live-Auftritt am 19. September in Planten un Blomen. Hier schreibt er – als Tourist und Heimkehrer – darüber, was nur die Hansestadt kann.

Bier ist verboten im „Park Fiction“. Bier gibt es die Straße runter am Hein-Köllisch-Platz. Vor dem Kiosk sucht eine Oma Pfandflaschen in Mülleimern, und neben dem Obdachlosen auf der Parkbank parkt ein weißer Mercedes, aus dem ein gegelter Typ mit Sonnenbrille aussteigt. Im lockeren Knoten hängt sein mintfarbener Pullover über sein pinkfarbenes Hemd. Er will in den Beachclub am Wasser, und in keiner anderen Stadt Deutschlands, vielleicht sogar Europas, leben Protz und Armut, Spießigkeit und Straße, Proll und Freigeist so nebeneinander wie in Hamburg. So nah, so krass, so selbstverständlich. 

Ob das gut oder schlecht ist? Es ist einfach so. Das Motto unseres Podcasts lautet „Urlaub machen kann jeder – Reisen muss man reisen.“ Urlaub machst du hinter Zäunen, am Buffet, auf der Plaza der Elbphilharmonie. Reisen heißt einen Ort anzunehmen, reinzugehen. Und ich, der ich in einem Vorort von Hamburg aufgewachsen bin und Großteile seiner Jugend hier verbracht habe, unterstreiche nach 20 Jahren als Reise-Journalist und meiner Rückkehr noch einmal ganz dick, was ich damals schon ahnte: Hamburg vereint alle möglichen Lebenswege so drastisch wie keine andere Stadt. Und: In Hamburg kann immer noch hinter fast jeder Ecke fast alles passieren.

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Der Frachthafen auf der anderen Seite der Elbe galt früher nicht als schick. Heute ist nicht nur der Blick auf ihn ein Markenzeichen. Er bietet Platz für jede Art von Ideen. Das „MS Dockville-Festival“ findet dort statt, ebenso wie viele der geheimen Electro-Partys Hamburgs. Das Oberhafen-Quartier auf der Nordseite bietet hingegen Ateliers und Kunst, die einst verruchten Hamm und Hammerbrook entwickeln sich langsam zu Kreativ-Vierteln. Und so sehr die Reeperbahn inzwischen dem Ballermann gleicht: In ihren Seitenstraßen reihen sich wahnsinnig gute, regionale Restaurants an alte Kneipen, vor denen sich Menschentrauben bilden, wenn nur wenige hundert Meter von hier der FC St. Pauli am Millerntor spielt.

Typisch Hamburg: Buntes Durcheinander

Als ich von dort in Richtung Schanzen- und Karolinenviertel gehe, kreuze ich den „Arrivati Park“, an dem ein kleiner HipHop-Jam stattfindet. Ein paar Leute wippen auf den Stufen mit. In der Schanze passiere ich in einer Minute Schickimicki-Restaurants, ein besetztes Haus in bester Wohnlage, junge Leute aus allen Ecken der Welt, während die zornigsten Biker des Planeten an mir vorbeirollen, und hinter ihnen ein Typ mit einem Fahrrad, auf dessen Anhänger Lautsprecher stehen, aus denen brüllend laut Phil Collins schallt. 1000 Lebensentwürfe auf 50 Metern.

Was übrigens immer noch ist wie vor 20 Jahren: Hamburg macht es einem nicht immer leicht. Ich wohne in Köln, ich weiß, wovon ich rede. Dort ist das so: Bussi, Bussi, „Toll, dass du hier bist, obwohl wir dich gar nicht kennen!“, und Tschüs. Hamburg ist anders, aber die Eindrücke sind nachhaltiger, und: In den richtigen Momenten schlägt diese Stadt immer noch jeden Ort der Welt.

Mit grünen Müllsammel-Kajaks gratis  über die Alster. Axel Heimken/dpa
Mit grünen Müllsammel-Kajaks gratis  über die Alster.
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Zum Beispiel wenn man in einen Treppenaufgang des pompösen und doch bodenständigen Chilehauses schleicht und begeistert nach oben schaut. Wenn man nach einem kleinen Trampelpfad plötzlich hinter einer Jugendherberge am besten Ausblick der Stadt rauskommt. Wenn man morgens nach einem schnellen Franzbrötchen durch die Fleete von Eppendorf und Winterhude paddelt und das Kajak umsonst bekommt, weil man Müll sammelt.

Und wenn man – völlig egal, ob dieser Tag nun eher Glamour oder Straße war – da endet, wo alle immer wieder enden: am Wasser. Auf einer Mauer, die Füße baumeln zum Wasser, die großen Kähne schippern vorbei, das Bier in der Hand wird langsam warm – und die Leute, die nur zwei Meter hinter uns, im schicken Restaurant, auf einen ganz anderen besonderen Tag anstoßen, prosten uns zu. Vielleicht haben wir doch alle etwas gemeinsam.

Mindestens in Momenten wie diesen ist Hamburg die beste Stadt der Welt – sowohl als Reisender als auch als Heimkehrer.

REISEN REISEN… heißt der Podcast von Michael Dietz und Jochen Schliemann. / hfr
REISEN REISEN… heißt der Podcast von Michael Dietz und Jochen Schliemann.
REISEN REISEN… heißt der Podcast von Michael Dietz und Jochen Schliemann.

REISEN REISEN… heißt der Podcast von Michael Dietz und Jochen Schliemann, dem Autor dieses Textes. Deutschlands beliebtester Reise-Podcast steuert alle zwei Wochen ein neues Traumziel an – von Japan bis Hamburg, von Kalifornien bis Südtirol. Hinzu kommen Themen wie „Nachhaltiges Reisen“ und Interviews mit prominenten Reisenden wie Farin Urlaub, Sophie Passmann oder Marteria. Am 19.9. tritt „Reisen Reisen“ live in Planten un Blomen auf – im Rahmen des „Draußen im Grünen“-Festivals.

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