Randale in Hamburger Innenstadt: Darum ticken Jugendliche heutzutage so aus
Jugendliche bewerfen Polizisten mit Flaschen und Böllern – weil sie keine Gratis-Klamotten bekommen. Die völlig vemurkste PR-Aktion eines Modelabels hat bei enttäuschten Jugendlichen zu Gewalt-Eskapaden an der Mönckebergstraße geführt. Drei Polizisten wurden dabei verletzt, Streifenwagen beschädigt. Warum ticken einige Jugendliche bei Frust so aus? Die MOPO hat mit dem Hamburger Diplom-Psychologen Michael Thiel (62) gesprochen – über mangelndes Selbstwertgefühl, Gruppendynamik und die fatalen Folgen der Corona-Pandemie.
Warum reagieren einige Jugendliche bei Frust mit Aggression?
Michael Thiel: Die meisten Jugendlichen waren bestimmt frustriert, gehen dann aber nach Hause oder unternehmen etwas anderes. Andere nehmen das als Anlass, ihre Aggressionen rauszulassen. Oft sind das Jugendliche, die ein niedriges Selbstwertgefühl haben. Die denken: um mich kümmert sich eh keiner, ich bin wertlos. Sie haben vielleicht keine Ausbildung, keinen Job, keine Freunde. Und das Gefühl, ihren Eltern ist es egal, wie es ihnen geht. In ihnen drin entsteht so das Bild, selbst ein Loser zu sein. In der Gruppe fühlen sie sich wertvoller und bekommen Bestätigung. Anerkennung anderer Jugendlicher spielt in diesem Alter eine große Rolle.
Jugendliche bewerfen Polizisten mit Flaschen und Böllern – weil sie keine Gratis-Klamotten bekommen. Die völlig vemurkste PR-Aktion eines Modelabels hat bei enttäuschten Jugendlichen zu Gewalt-Eskapaden an der Mönckebergstraße geführt. Drei Polizisten wurden dabei verletzt, Streifenwagen beschädigt. Warum ticken einige Jugendliche bei Frust so aus? Die MOPO hat mit dem Hamburger Diplom-Psychologen Michael Thiel (62) gesprochen – über mangelndes Selbstwertgefühl, Gruppendynamik und die fatalen Folgen der Corona-Pandemie.
Warum reagieren einige Jugendliche bei Frust mit Aggression?
Michael Thiel: Die meisten Jugendlichen waren bestimmt frustriert, gehen dann aber nach Hause oder unternehmen etwas anderes. Andere nehmen das als Anlass, ihre Aggressionen rauszulassen. Oft sind das Jugendliche, die ein niedriges Selbstwertgefühl haben. Die denken: um mich kümmert sich eh keiner, ich bin wertlos. Sie haben vielleicht keine Ausbildung, keinen Job, keine Freunde. Und das Gefühl, ihren Eltern ist es egal, wie es ihnen geht. In ihnen drin entsteht so das Bild, selbst ein Loser zu sein. In der Gruppe fühlen sie sich wertvoller und bekommen Bestätigung. Anerkennung anderer Jugendlicher spielt in diesem Alter eine große Rolle.
Und Anerkennung bekommen sie dann durch Gewalt?
Diese Jugendlichen haben gelernt: Wenn ich mich prügele, bekomme ich ein Gefühl von Macht und bin was wert. Einer fängt an, die erste Flasche fliegt, der Böller wird gezündet. In der Gruppe wird die Aggression noch extra gepusht, die Hemmschwelle sinkt, Grenzüberschreitungen werden leichter. Da wird sogar vor der Polizei nicht halt gemacht.

Es ist schwer zu verstehen, dass man wegen ein paar Klamotten so die Kontrolle verlieren kann.
Was dabei sicherlich eine Rolle spielt: Durch die Corona-Pandemie haben viele Jugendliche jetzt einen maximalen Nachholbedarf beim Spaß haben und Konsumieren. Sie reagieren deshalb auf jede Einschränkung mit extremem Frust. Wir Psychologen nennen das Reaktanz: Wenn unsere Freiheit durch Verbote eingeschränkt wird, machen wir genau das Gegenteil von dem, was von uns verlangt wird. So stellen wir unsere Entscheidungsfreiheit wieder her. Während der Pandemie wurde uns weitestgehend die Kontrolle über unser Leben genommen. Es wurde viel kontrolliert und vorgegeben, wie wir uns zu verhalten haben. Das macht auch Jugendlichen noch zu schaffen. Wovon ich auch ausgehe: Da Böller geflogen sind, sind einige Jugendliche vermutlich gar nicht wegen der Klamotten gekommen, sondern nur, um Randale zu machen. Denn wenn ich zu so einem Event in die Innenstadt fahre, nehme ich vielleicht eine Einkaufstasche mit, aber bestimmt keine Böller.
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Was bräuchten diese gewaltbereiten Jugendlichen eigentlich?
Kinder und Jugendliche müssen idealerweise das Glück haben, dass ihre Eltern sie bedingungslos lieben und ihre Signale schon als Baby verstehen und prompt darauf reagieren. So entsteht eine sichere Bindung und das innere Selbstbild: „Ich bin ok und liebenswert!“ Wer so ins Leben startet, braucht keine Gewalt, um sich besser zu fühlen. Wir alle benötigen mindestens einen Menschen in unserem Leben, der uns vermittelt: Auch wenn ich dein Verhalten nicht immer gut finde – so wie du bist, finde ich dich grundsätzlich klasse! Das stärkt unsere innere Widerstandskraft. Besonders Jugendliche brauchen außerdem die Möglichkeit, zu zeigen, was sie können, in dem sie Hobbys pflegen und ihre Talente entdecken dürfen, eine sinnvolle Ausbildung oder Arbeit finden. Niemand kommt als Gewalttäter zur Welt – er wird dazu gemacht, weil er oft viel zu früh viel zu viele Kränkungen erleiden musste.
Michael Thiels Podcast „Psychologen beim Frühstück“ gibt es unter www.psychologethiel.de.