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Eine Frau (M) zündet vor dem Gebäude der Zeugen Jehovas im Stadtteil Alsterdorf eine Kerze an
  • Eine Frau zündet vor dem Gebäude der Zeugen Jehovas im Stadtteil Alsterdorf eine Kerze an
  • Foto: dpa

„Weg von den Fenstern!“ Erstmals spricht ein Zeuge der Amoktat

Nach dem Amoklauf in Alsterdorf laufen die Ermittlungen der Sicherheitsbehörden auf Hochtouren – Fragen sollen geklärt, Vorgänge rekonstruiert werden. Die Zeugen Jehovas versuchen unterdessen, zur Normalität zurückzukehren. Ein Mitglied, das die Tat überlebt hat, hat nun erstmals über die schrecklichen Erlebnisse gesprochen.

Er habe etwas abseits der Rednerbühne gesessen, erzählte der namentlich nicht genannte Mann der „Zeit“. Es sei an jenem Donnerstag eine friedliche Stimmung nach dem Gottesdienst gewesen, man habe in Gruppen geplaudert und gelacht. Er erinnere sich noch, wie sich die über ein Laptop zugeschalteten Mitglieder verabschiedet hatten.

Mitglieder verstecken sich in Heizungsraum

Als der Mann um kurz nach 21 Uhr mit seiner Frau zum Flur gehen wollte, um den Toilettendienst zu übernehmen, sei der Lärm losgebrochen. Der „Zeit“ sagte er, es seien Schüsse gefallen und Glas zerbrochen. Einer soll geschrien haben: „Weg von den Fenstern, weg von den Fenstern!“ Der Schütze, Ex-Mitglied Philipp F., drang durch ein Fenster in das Gemeindehaus an der Deelböge in Alsterdorf ein. Er erschoss sieben Menschen und feuerte insgesamt 135 Mal.

Der Zeuge erzählte weiter, dass seine Frau und andere „nach einem kurzen Moment der Starre“ in den Heizungsraum gerannt seien. Er habe die Tür zugedrückt, andere hätten sich fest umarmt, alle hätten gebetet.

Amokläufer Philipp F. (35). hfr
Philipp F. erschoss acht Menschen und verletzte vier schwer
Amokläufer Philipp F. (35).

Wenige Momente später traf schon die Polizei ein: Spezialkräfte rannten in das Gebäude, ohne Helm, weil sie keine Zeit verlieren wollten. Sie retteten vielen Menschen mit ihrem Einsatz das Leben, stoppten offenbar die Amoktat. Philipp F. erschoss sich ein Stockwerk höher. Neben ihm lag die P30 der Marke Heckler und Koch, die er legal besaß.

Der Mann habe nur geradeaus gucken können, als Polizisten ihn rausführten, nicht in den Versammlungsraum, in dem Tote und Verletzte lagen, sagte er der „Zeit“. Die Überlebenden stiegen in einen Bus, viele weinten: „Dann sahen wir uns um, sahen die leeren Sitze und wussten genau, wer fehlt.“

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Als Seelsorger der Zeugen Jehovas in die Wache gelassen wurden, in der der Mann saß, habe ihn und die anderen dies „umgehauen“; dass sie in der Nacht aufgestanden seien, um sie zu unterstützen, habe allen „unheimlich viel Kraft“ gegeben. Erst gegen 8 Uhr durften er und seine Frau die Wache nach intensiven Befragungen verlassen.

Der zerstörte und versiegelte Eingangsbereich des Tatorts in Alsterdorf. dpa
Amoklauf
Der zerstörte und versiegelte Eingangsbereich des Tatorts in Alsterdorf.

Der Mann sprach gegenüber der „Zeit“ von „unheimlicher Trauer“ und „Ohnmacht“, wenn er an den Täter denke. Er sagte: „Da ist auch Wut.“ Doch es schien ihm unangenehm, wütend zu sein, denn die Bibel spreche von Vergebung. Darauf wolle er sich konzentrieren. Es sei Gottes Aufgabe, über den Täter zu richten. (mp)

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