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  • Hamburger Schüler mit Masken im Unterricht: Zu flächendeckenden Schulschließungen soll es nicht mehr kommen.
  • Foto: picture alliance/dpa

Schulen in Hamburg: Wie schlecht geht es der Generation Corona wirklich?

Sollte man Schulen in der Pandemie schließen oder so lange wie nur möglich offen lassen? Diese Frage führt seit Wochen zu einem erbitterten Streit. Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD) steht bei der Debatte im Fokus. Kritiker werfen ihm vor, er habe kein ordentliches Konzept für die zweite Welle. Im MOPO-Interview erklärt Rabe, warum er so vehement daran festhält, dass die Schulen beim Präsenzunterricht bleiben.

MOPO: Herr Rabe, Unterrichtsausfall, Vernachlässigung, extremer Handy- und Internetkonsum und kein Sport: Wie schlecht geht es der Generation Corona wirklich?

Ties Rabe: Ich freue mich über die Frage, denn seit Monaten versuchen Verbandsvertreter, den Unterricht erneut einzuschränken. Kinder und Jugendliche werden dabei vergessen. Ich habe mich von Anfang dagegen gewehrt, denn Kinder, Jugendliche und Familien brauchen Schule. Kinder- und Jugendärzte sagen, dass durch die Schulschließungen Unsicherheit und Ängste sowie familiäre Konflikte zugenommen und sich Ernährung und Bewegungsmangel verschlechtert haben. Lehrkräfte berichten, dass zahlreiche Kinder das soziale Miteinander verlernt haben. Und in einigen Schulfächern wie zum Beispiel Mathematik gibt es offensichtlich Lernrückstände.

Wie soll der verpasste Stoff je wieder aufgeholt werden?

Rabe: Indem wir uns erst einmal vornehmen, den Unterricht nicht wieder einzuschränken. Denn hier geht es um die Zukunft und die Chancen der Kinder und Jugendlichen. Zudem bieten wir als einziges Bundesland in den Schulferien zusätzliche Lernangebote an.

Welche Kinder trifft es besonders hart?

Rabe: Wir machen uns um drei Gruppen Sorgen. Jüngere Kinder können ohne Unterstützung zu Hause nicht lernen. Kinder und Jugendliche aus bildungsfernen Familien bekommen zu Hause zu wenig Unterstützung. Sie haben, wie alle anderen auch, liebende Eltern, aber diese Eltern können zu Hause wenig helfen, weil sie zum Beispiel schlecht Deutsch können. Die dritte Gruppe betrifft Kinder aus sozial schwierigen Verhältnissen, die oft nicht einmal ein eigenes Kinderzimmer haben und zu Hause schlecht arbeiten können.

Viele Lehrer kritisieren die offenen Schulen, haben Angst um ihre Gesundheit. Was ist wichtiger: das Interesse der Lehrer oder das der Schüler

Rabe: Es ist beides miteinander in Übereinstimmung zu bringen. Deshalb haben wir hohe Sicherheitsstandards: Wir sind eines der wenigen Bundesländer, das kostenlose Masken an alle Schulbeschäftigten ausgibt, allen kostenfreie Tests ermöglicht und zusätzlich Geld für die Verbesserung des Infektionsschutzes in den Klassenräumen zur Verfügung stellt.

Die Bundesregierung wollte unbedingt die Schulen schließen. Fehlte ihr der Blick für die Nöte der Kinder und Familien?

Rabe: Die Bundesregierung ist nicht für Schule zuständig. Und an manchen Ideen merkt man das, beispielsweise an der Idee, dass sich jedes Kind nur noch mit einem einzigen Freund treffen darf. Aber am Ende haben sich aber alle geeinigt. Einschränkungen des Unterrichts gibt es nur in Hotspots.

Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD)

Hamburgs Schulsenator Ties Rabe (SPD)

Foto:

dpa

Im Bezirk Mitte hatten wir mindestens zwei Wochen lang eine Inzidenz von über 200. Hätte man da nicht die Schulen schließen müssen?

Rabe: In Hamburg ist die Mobilität so hoch, da macht es wenig Sinn, Bezirke getrennt zu behandeln. Viele Menschen überschreiten täglich die Bezirksgrenzen, ohne es überhaupt zu merken.

Diverse Schulen dürfen aber aufgrund hoher Infektionszahlen Wechselunterricht anbieten. Funktioniert das nicht gut?

Rabe: 18 Stadtteilschulen und fünf Gymnasien können Wechselunterricht in den älteren Jahrgangsstufen anbieten. Die Entscheidung darüber fällt die jeweilige Schulgemeinschaft.

Warum dürfen das nicht alle Schulen selbst entscheiden?

Rabe: Hybridunterricht bedeutet nur halb so viel Schulunterricht, und die Gefahr ist groß, dass man auch nur halb so viel lernt. In Schulen ohne größere gesundheitliche Gefahren macht es keinen Sinn, den Unterricht einzuschränken.

Ihnen wird vorgeworfen, Hamburgs Schulen seien nicht gut auf die zweite Welle vorbereitet gewesen, z.B. gab es keine Raumluftfilter, sodass jetzt ständig gelüftet werden muss.

Rabe: Alle Experten sind sich einig: Die beste Vorbereitung ist, alle 20 Minuten die Fenster ordentlich zu öffnen und anschließend wieder zu schließen. Raumluftfilter werden von der Mehrheit der Experten nicht befürwortet. Und was den Zeitpunkt betrifft: Vor den Sommerferien hielt eine Mehrheit der Virologen die Schmierinfektion für gefährlicher als die Raumluft, deshalb haben wir tonnenweise Desinfektionsmittel beschafft. Nach den Sommerferien gab es neue Erkenntnisse. Wir Kultusminister können nicht klüger sein als Virologen.

Bei bisher zwei Massentests an Hamburger Schulen wurden viele Infektionen aufgedeckt. Müsste man nicht viel mehr Schulen durchtesten? I

Rabe: Ist ein Kind infiziert, wird meistens die ganze Klasse oder sogar der Jahrgang getestet. Die Entscheidung trifft allerdings nicht der Schulsenator, sondern das Gesundheitsamt. Der Bundesgesundheitsminister hat den Schulen jetzt viele Schnelltests versprochen, darauf hoffe ich sehr. Leider hat er nur das bisherige Verbot von Schnelltests an Schulen aufgehoben, aber keine zusätzlichen Tests zur Verfügung gestellt. Diese Politik der Bundesregierung verfolge ich manchmal mit Staunen.

Was haben Sie für die Zukunft der Schule aus Corona gelernt?

Rabe: Ich hoffe, dass wir alle gelernt haben: Schule ist durch nichts zu ersetzen, weder durch Computer noch durch Heimunterricht. Denn Schule ermöglicht nicht nur Bildung, sondern auch soziales Lernen, Lebensorientierung und die Entwicklung der eigenen Persönlichkeit. Wir haben aber auch gelernt, dass wir in der Digitalisierung schneller und besser werden müssen.

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